Erstellt am: 4. 11. 2011 - 19:50 Uhr
Ein Gulasch für New York
1Hr Restaurant auf Tumblr
1 HR Restaurant am Samstag in FM4-Connected ab 13 Uhr
Christian Lehner
Das schöne an dieser Kunst: Man kann sie essen. Sie riecht auch gut. „Zartes Rindsgulasch mit Nockerln“, präsentiert der Kellner den zweiten Gang. Die Papillen tanzen vor Freude. Zuvor setzte es die Eigenkreation „Warmer Humus mit geräucherter Forelle auf Petersilienschnittlauch-Salat mit Kürbiskernöl“. Vom East River zieht eine Brise herauf über den erhöhten Platz vor dem UNO-Hauptquartier und trägt den Duft der Speisen weiter in die Innenstadt. New York Touristen staunen und schießen Fotos. Vorerst wagt niemand sich zu uns ins 1HR Restaurant zu setzen. „This is for free? In NYC?!!“, staunt ein Passant, der sich später als Neighborhood-Aktivist vorstellen wird und das „1HR Restaurant“ prompt für eine Aktion zwei Tage später bucht.
Christian Lehner
„Kein Problem“, nimmt René Stessl die Einladung an. Der gelernte Koch und studierte Künstler ist flexibel. Alles, was er für sein „1HR Restaurant“ benötigt, hat auf einem Handwagen Platz. „Die Utensilien stammen von der Heilsarme - vom Tisch über die Stühle bis zum Geschirr. Daran stößt sich aber niemand“, erzählt Stessl, während er mit wenigen Handgriffen das Restaurant auf die 43rd Street wuchtet.
Christian Lehner
Die besten Ideen kommen unter der Dusche. Oder im Flugzeug. „Auf dem Weg nach New York hatte ich den Einfall, meine zwei Skills zu kombinieren“, so der gebürtige Südsteirer. Gekocht wird zu Hause in der Künstler-WG in Brooklyn. Die Speisen wandern anschließend in Wärmeboxen und dann auf das push cart. Via tumblr-Blog kann man die bisherigen Stationen des temporären Restaurants verfolgen: Brooklyn, der Central Park, Downtown Manhattan – Stessl hat schon in den entlegendsten Winkeln und unmöglichsten Orten (Williamsburg Bridge) serviert und so einen eigenen, kulinarische Stadtplan entworfen.
Christian Lehner
Genehmigung gibt es keine. Auch deshalb muss alles schnell gehen. Probleme hatte Stessl nur ein Mal: „Am Times Square war sofort die Polizei zur Stelle. Aber der Cop war freundlich und hat mich zumindest den ersten Gang servieren lassen. Ich glaube, der wollte selbst mitessen, durfte aber nicht!“.
Christian Lehner
Stessl sieht sich als Individualist. Mit der hippen „pop up culture“ will er eher nicht assoziiert werden; mit den „secret dinners“ in Williamsburg oder den flashmobartigen Restaurantaktionen in der New Yorker U-Bahn auch nicht. Das ist ihm zu viel Spektakel und Event und diene ohnehin oft nur der Clickrate auf Youtube.
Christian Lehner
Stessls Motive sind bescheidener Natur. Er möchte kleine Irritationen des Alltags auslösen und auf „positive Weise“ die Gewohnheiten des Ortes stören: „Das Interessante sind natürlich die Reaktionen der Menschen. Am Anfang sind sie skeptisch. Aber wenn sie sich erst einmal hinsetzen und das Essen schmeckt, gehen die Augen über vor Freude.“
Tatsächlich dauert es an diesem Tag bis zum Nachtisch, bis der erste Gast die Scheu überwindet und sich mit mir am „Milchreis mit Fruchtgelee“ erfreut. Aber auch das ist für Stessl kein Problem. Immerhin ist der Koch, Kellner und Restaurantchef in Personalunion so selbst zu einem feinen Rindgulasch gekommen. Da sich Stessl in Hauptsache selbst sponsert, verzichtet er gewöhnlich auf die kulinarischen Herrlichkeiten, der er wildfremden Menschen gratis auf der Straße serviert. „Das ist das schon etwas hart, wenn man selbst an Chicken Wings kievelt“, gesteht der kochende Künstler. Trinkgeld gibt es ja auch keines.
Christian Lehner
Serviert werden in New York übrigens nur österreichische Menüs. Aufgrund des öffentlichen Alkohlverbotes muss Stessl aber auf die Verabreichung „korrespondierender Getränke“ verzichten. Statt dem berühmten Seidel Bier zum Gulasch wurde Mineralwasser serviert.
Christian Lehner
Sperrstunde. Während ich den letzten Löffel in den Mund schiebe und eine Gruppe von Touristen noch immer rätselt, was da gerade passiert, baut Stessl ab und verschwindet anschließend im Menschenknäuel von Midtown. Ausgezeichnet war’s.
Christian Lehner
„Only in New York!“, gilt hier übrigens nicht. Stessl ist für die kalte Jahreszeit zurück nach Europa gereist. Mit dem „1HR Restaurant“ in Deiner Nähe ist also demnächst zu rechnen.