Erstellt am: 10. 11. 2011 - 12:35 Uhr
Tagebuch zum Jahr des Verzichts (33)
marc carnal
2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.
Sonntag, 30. Oktober
■ Attestiert man Fluggästen Flugfähigkeit, denkt dabei niemand an Streichkäse. Attestiert man Geigern Streichfähigkeit, denkt so mancher wohl doch an Streichkäse.
■ Über den Sommer schien es, als würde sich die Verzichts-Gruppe nach und nach auf mich alleine beschränken, doch spätestens mit dem fleischlosen November sind alle wieder mit an Bord. Herr Josef will gar bis Weihnachten Alkohol und Fleisch abschwören, Frau L. verzichtet derzeit auf Fleisch, Fast Food und Boulevardmedien.
Ich mag der einzige sein, der das zuvor festgelegte Verzichts-Programm eisern durchgezogen hat, eine gewisse Lust an der Entsagung ist aber in so manchem Ur-Mitglied nachhaltig aufgekeimt.
Den alkoholfreien Jänner wollen beispielsweise einige Mitstreiter im nächsten Jahr wiederholen.
Montag, 31. Oktober
■ Ein kurzfristig eingeschobener Ausflug ins schöne Budapest bietet mir und Teilen der Interessensgruppe "Verzicht" die Gelegenheit, noch einmal ordentlich Fleisch zu spachteln.
Ansonsten erleben wir kaum Berichtenswertes, was ja auch den wahren Zauber einer Exkursion ausmachen kann.
marc carnal
marc carnal
Dienstag, 1. November
Weltvegantag - Wir wollen es mal nicht übertreiben!
■ Wissensgebiete und Fähigkeiten, die mich eigentlich brennend interessieren würden. (In Klammer, warum ich sie mir nicht aneigne)
- Astrophysik (zu wenig Vorbildung, Faulheit, zu deppert)
- Schach (Faulheit)
- Soundbearbeitung (Faulheit)
- Paragleiten (Feigheit, keine Kohle)
- Photographie (Faulheit, keine Kohle)
- Gedächtniskunst (Faulheit, zu deppert)
- Zeitgeschichte (Faulheit)
■ Einen Monat nichts außer Essen und Haushaltsartikel gekauft. Keine bemerkenswerte Leistung, denn mehr hätte ich mir ohnehin nicht leisten können.
■ Nachdem ich fast zwei Jahre beruflich vegetarisch gekocht habe, fällt es mir nicht schwer, ohne Fleisch abwechslungsreich zu kochen. Nachdem ich aber seit Jahrzehnten nicht-vegatarisch esse, fällt es doch etwas schwer, ganz auf Fleisch zu verzichten.
Mittwoch, 2. November
■ Aufgabe für diese Woche: Das ohnehin inflationär verwendete Wort „Kult“ vor völlig unpassende Begriffe setzen.
- 1945 starb Adolf Hitler, der Kult-Diktator.
- Eine weitere Filiale wurde in St. Pölten eröffnet, der Kult-Landeshauptstadt von Niederösterreich.
- Schätzungsweise vierzehn Menschen starben bei einem Terrorangriff der Kult-Terrororganisation Al-Qaida.
- Kartoffeln, Karotten und Pastinaken, das Kult-Gemüse, werden schließlich zu einer sämigen Masse püriert.
■ Die größte Hürde bei Fleischverzicht – das wird jeder Vegetarier bestätigen – ist die geringe Auswahl fleischloser Gerichte in vielen Restaurants.
Donnerstag, 3. November
■ Ich gehöre wohl der letzten Generation an, die Photographie noch mit zwei ph schreibt und sich nach wie vor schwer tut, sich an die neue Schreibweise zu gewöhnen und bin wohl auch Kraft meines Jahrgangs einer der Jüngsten, die entwickelte Photos in manchen Fällen noch über digitale stellen. Werde ich einst den Früchten meiner Lenden notieren, sie mögen „Die Photos abholen“, werden sie Inhalt, Schreibweise und die Tatsache, dass ich Hinweise auf Zettel schreibe, seltsam oder zumindest sehr altmodisch finden.
■ Mein Lebenstraum: Die 2500 Euro „ein Leben lang“ beim Rubbellos gewinnen und jeden Tag Barbara Karlich schauen.
■ In Russland gibt es Rubellose.
Freitag, 4. November
■ Frühstück heute: Drei Zigaretten und einmal Lüften
■ Auch an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an den mir unbekannten Herrn H., der mir mit einem ausgesprochen freundlichen Begleitschreiben eine wunderbare Einkaufsliste zugeschickt hat.
■ Mittagstisch mit einer großen Runde Kollegen, die sich prächtige Schnitzel reinziehen, während ich mich an Krautfleckerl zu laben vorgebe. Immerhin erst an Tag vier erwähnenswertes Verlangen nach Totem.
Samstag, 5. November
■ Bewerbung
Hiermit bewerbe ich mich um die ausgeschriebene Stelle als Moderator von „Wetten, dass…?“. Wie meinem Lebenslauf im Detail zu entnehmen ist, konnte ich bereits einige Erfahrungen in der Medienbranche sammeln. So moderierte ich jahrelang eine wöchentliche Sendung in der Radiofabrik Salzburg oder belästigte für den allseits beliebten Wiener Kabelsender OKTO in lächerlichen Verkleidungen redliche Passanten. Da ich regelmäßig beträchtliche Geldbeträge auf Gegner der Österreichischen Nationalmannschaft setze, bin ich auch mit Wetten durchaus vertraut.
Nachdem die kommenden Tage dem Umzug gewidmet sind, besteht die Möglichkeit, dass die nächste Woche kein Tagebuch geführt wird.
Eine verschmerzbare Möglichkeit!
Ich bin überzeugt, Ihr Anforderungsprofil perfekt zu erfüllen. Ich bin jung, undynamisch, ausgesprochen attraktiv, pünktlich, kann mit Stresssituationen gut umgehen und arbeite sehr selbstständig und gewissenhaft.
Leider verfüge ich über keinen eigenen PKW, würde aber ggf. eine Fahrgemeinschaft gründen. Ein Dienstantritt im Januar 2012 deckt sich perfekt mit meinen sonstigen beruflichen Plänen.
Über ein persönliches Vorstellungsgespräch würde ich mich ausgesprochen freuen.
Mit freundlichen Grüßen verbleibt
Marc Carnal