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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

26. 12. 2011 - 13:23

Tausend Tage tief

Ein kleines Spielchen als tägliche Herausforderung. Jeden Tag ein neuer Lauf. Mittendrin statt zwischendurch. Ein Erlebnisbericht.

Der Heilige Abend war Tag 200, ein runder Tag also. Das war aber bestimmt nur Zufall. Bei der Mutter am Land, Essen ist fertig, der Baum wird geschmückt. Das iPad ist immer dabei. Zwar dezent, nett und nebenbei, aber eigentlich wäre ich heute schon auch gerne mal wieder in den Top 20. Zur Feier des Tages. Eine halbe Stunde lang auf der Couch klappt partout keine bessere Zeit, aber ich weiß instinktiv, dass ein guter Lauf immer dann kommt, wenn ich fünf Minuten länger spiele, als ich eigentlich geplant hatte. Es funktioniert. Ich probiere weiter und hole eine halbe Sekunde heraus. Platz 9, einstweilen. Zweieinhalb Stunden lang ist noch alles möglich. Danach beginnt, wie immer pünklich um 19 Uhr, Tag 201.

Ein Bildschirmfoto aus "1000 Heroz": Ein Hero mit Helm springt auf eine Gummikugel.

Red Lynx / Ubisoft

Angefangen hat alles harmlos und unschuldig, irgendwann im Sommer, bei der Entdeckung eines dieser vielen Spiele um 1 Euro 59. Herumknausern bei Smartphone-Games mag ich nicht, wenn ein Spiel mich länger als zehn Minuten gut unterhält und positiv überrascht, ist es immer ein bisschen Kleingeld wert. Trailer, Bilder und Beschreibung von "1000 Heroz" machten zuversichtlich: Lustige Figuren laufen in einer schlichten, aber funktionellen Comic-Welt herum, hurteln über Mühlenräder, springen in Kanonen und zappeln über Schwingbrücken. Gekauft.

Das Prinzip der 1000 Tage stand bei mir zunächst gar nicht so im Vordergrund, aber die damit einhergehende Reduktion war sofort eine freudige Abwechslung in einer sonst von viel zu vielen Features und Auswahlmöglichkeiten durchtränkten Videospielwelt. Die Sandbox kann mich mal, hier wird jeden Tag bloß ein neuer Level freigeschalten, der so gut wie immer in rund einer halben Minute durchlaufen ist. Die Steuerung ist selbsterklärend. Kein Tutorial. Kein Level-Editor. Herrlich.

Als ich zu spielen beginne, ist bereits Tag 82. Der zweite Abschnitt ist gerade losgegangen: "The Hungry Age of Famished Farmers", der bis inklusive Tag 220 läuft. "1000 Heroz" ist ein Spiel, das uns die Evolution des Menschen näher bringt, auf seine ganz eigene Weise. Hero Nummer 82 ist ein Steinzeitmädchen und heißt Zigga The Tresher. Ich werde 351ster von 3865 und orte Potenzial.

Ein Bildschirmfoto aus "1000 Heroz": Kurzporträts von vier verschiedenen Heroz in der Levelauswahl.

Red Lynx / Ubisoft

Das Merkwürdige an "1000 Heroz" ist die Bewegungsphysik. Die oder der Hero bewegt sich nicht wie in der physischen Welt und auch nicht, wie wir es von einer Videospielfigur in einem 2D-Hüpfspiel gewohnt sind. Stattdessen fühlt es sich an, als lenke man eine schwere, längliche Feder, die vertikal auf einen rollbaren Untersatz montiert ist. Für das freie Auge kaum erkennbare Variationen in der Steuerung machen den Unterschied aus, ob die Figur träge durch das Gelände holpert oder in Windeseile durch die Ziellinie saust. Ein Sprung einen Sekundenbruchteil zu früh platziert, und alles war für die Katz'. Ein zu langer Sprung, und statt einem beherzten Satz nach vorne eiert der Hero unbeholfen in der Luft herum. Gleich neu starten, und dann gleich nochmal neu starten.

Ein Bildschirmfoto aus "1000 Heroz": Ein weiblicher Hero springt in eine Kanone.

Red Lynx / Ubisoft

Ich habe allgemein eine Schwäche für Videospiele, die für 5-Minuten-Pausen und eine schnelle Runde kurz vorm Schlafengehen konzipiert sind. "1000 Heroz" fällt punktgenau in diese Kategorie. Allerdings beginne ich bald, so um den Tag 100, mich dem Spiel nicht mehr nur beiläufig zu widmen, sondern in einer Intensität, die üblicherweise ausufernden Rollenspielen und komplexen Strategie-Games vorbehalten ist. Das Gute daran: Auch eine intensive Beschäftigung lässt einen hier nur selten länger als eine Stunde am Stück sitzen, und das ist wirklich schon lange. Ich bin doppelt zufrieden: Eine frisch entwickelte, unterhaltsame Leidenschaft für ein ungewöhnliches Videospiel, und das auch noch, ohne allzu viel Zeit in das neue Hobby versenken zu müssen. Geplagte Online-Rollenspieler/innen mit gebeuteltem Zeitbudget könnte der Neid fressen.

Ein Bildschirmfoto aus "1000 Heroz": Eine Hero springt in Richtung eines Mühlenrads.

Red Lynx / Ubisoft

Bei Tag 150 ist meine Geselligkeit weiterhin ungetrübt, und doch fällt meinem sozialen Umfeld langsam dieses seltsame Spiel mit den schirchen Manderln auf. Gut, ich erzähle auch jeder und jedem zweiten, mit der oder dem ich länger als zehn Minuten plaudere, davon. Zu dieser Zeit wird "1000 Heroz" gerade vom Bezahl- zum Gratisspiel umgewandelt und ich lege fortan auch allen iPhone-Besitzer/innen, die ich treffe, eindringlich nahe, doch einfach mal eine Runde auszuprobieren. Kost' ja nix. Währenddessen bin ich selbst schon einige Stufen weiter, denn ich habe mich längst in den offziellen Webforen des Games bekanntgemacht. Die regelmäßigen Top-20-Läufer treiben sich dort herum, posten ihre Bestleistungen und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter. Das Durchschnittsalter ist auffallend höher als in anderen Gamer-Communities und der Ton dementsprechend gesittet. Ich stelle ein paar Fragen, bin freundlich, aber auch ein bisschen neidig und übe weiter.

Ein Bildschirmfoto aus "1000 Heroz": Eine Hero läuft ins Ziel.

Red Lynx / Ubisoft

Der Titelbildschirm des Computerspiels "1000 Heroz": bunte Ziffern und Buchstaben aus Stein auf einem Steinhügel.

Red Lynx / Ubisoft

"1000 Heroz" ist für iPhone/iPod Touch und iPad erschienen. Das Spiel ist kostenlos, der Zugriff auf alle bisherigen Levels kostet allerdings weiterhin 0,79 bzw. 1,59 Euro.

Tag 180. Meine bessere Hälfte gibt klein bei und ändert ihren Status zum Spiel von "Oh Gott!" auf: wortlos ein bisschen mitspielen. Ob es sich um schlichte Resignation oder graduell entwickeltes Interesse handelt, weiß ich nicht, aber ich freue mich. Einige der rund 100 anderen Geeks, die mit mir regelmäßig um die oberen Plätze auf den Highscore-Listen wetteifern, gründen nun Clans. Die Länderverteilung ist dabei interessant: Amerika, Australien und Deutschland gemeinsam gegen Frankreich.

Mittlerweile ist Christtag und Schwester, Schwager und Nichte sind gekommen. Nach der Jause hat der neue "1000 Heroz"-Tag gerade begonnen und das sorgt immer für eine besondere Dynamik beim Spielen. Ich schaffe bereits innerhalb der ersten Viertelstunde einen sehr guten Lauf. Platz 4, einstweilen. 23 Stunden lang ist noch alles möglich. Danach beginnt, wie immer pünklich um 19 Uhr, Tag 202.