Erstellt am: 3. 11. 2011 - 15:09 Uhr
"Der Bettvorleger züchtigt sich mit Weidenruten"
Haymon Verlag
Der Hypertext der Biologie verlangt Kategorien. Woher sollen passive Tierfreunde denn sonst wissen, dass Enten und Schnabeltiere wenig miteinander gemeinsam haben? Eben. Seit hunderten, nein, tausenden von Jahren beglücken uns echte Wissenschaftler und solche, die eh alles machen, mit faunischen Schubladen. Die Chinesen (die alten, nicht die Staatsgäste) etwa kannten 26 Gattungen. Die schönsten: "dem Kaiser gehörende Tiere", "unfassbare Kreaturen" und "einbalsamierte". Mittlerweile ist alles biologisch und genetisch nachvollziehbar. Fad, aber gerecht.
Tiere funktionieren zwar immer noch in Form marketinggenialer Pickerl-Bonus-Systeme, die x-te Spinnendoku im Fernsehen wird für viele Menschen (für mich halt, oder sonst noch wen?) zum schnellen Umschaltreflex. Zum Glück gibt es noch Tiere mit Neuigkeitswert. Erfundene nämlich. Die schönsten und hässlichsten dieser Gattung (die sich in hübsche Untergattungen aufteilt) sind im Buch "Nadelstreif & Tintenzisch" zusammen gefasst. Michael Stavarič hat die Texte geschrieben, Deborah Sengl die Viecher gezeichnet.
Sebastian Phillip
Hier geht es um Tiere, die so genau wohl noch nie beschrieben worden sind. Der Ödlandotter zum Beispiel oder die Piorkowska. Mein Lieblingstier ist aber die Lebendfalle:
Auch lesenswert: der Schlichte Särgling, der Sandhechler, das Biest, das dem Begräbnis folgt, die Neonröhre, der Gürtelschnalzer, der Starkstrom und der Gieraffe.
Die Lebendfalle versucht sich gern als Nachtwächter, sie schläft mit offenen Augen und schnappt bedingungslos ein. (...) Lebendfallen werden irrtümlich häufig der Gattung der Wutschnäuber zugezählt, was selbstredend nur Laien passiert, wo doch in der Fachwelt längst Konsens darüber herrscht, dass Wutschnäuber drei Nasenflügel besitzen und einen hervorstehenden After. Die Lebendfalle hingegen kommt ganz ohne Nase und After aus, was sinnvoll ist, wo sie doch andere Sinnesorgane nützt, um Arschlöchern eins auszuwischen.
Auch fesch ist das "Biest, das Skrupel hat zu töten, wenn man galant nach seiner Mutter fragt", kurz BSM:
Das BSM hat die Gabe, Polen und Russen in einer Geschwindigkeit und Menge durch die Luft zu blasen, dass ein normaler Mensch bei diesem Anblick verrückt wird und weder husten noch schlafen kann, niemals wieder. Das BSM überträgt alle nur denkbaren Krankheiten, es lässt allerdings einem jeden freie Wahl. (...) Das BSM ist seit vielen Jahrzehnten ein vollwertiges Mitglied der amerikanischen Regierung und wird von jedem neuen Präsidenten - unter der Hand - in sein Kabinett berufen. Das BSM ist sich keinesfalls zu schade für Drecksarbeit, es putzt Toiletten oder löscht ganze Landstriche aus, je nach Mandat und Auftragslage.
Haymon Verlag
Die Texte lassen schmunzeln, manchmal lachen, kaum gähnen. Wem selbst die bewusst knappen Buchstabenkombinationen zu mühsam sind, kann sich auch auf die fantastischen Zeichnungen von Deborah Sengl konzentrieren, die auch sonst sehr lässige Tierkunst macht.
Wir (die Menschen ebenso wie die Buchkritiker) neigen dazu, dem Fantastischen stets eine ideologische Aussage oder den popkulturell total verschmierten Begriff des "Spiegels" aufzuzwingen. Im konkreten Fall mag das sogar sein, doch das Schöne an diesem Buch ist, dass eben diese Bedeutungsschwangerschaft völlig wurscht ist. Wer was zwischen den Zeilen lesen will, darf das gerne tun. Wer die Texte einfach lustig und die Zeichnungen hübsch findet, ist auch nicht schlechter dran. "Nadelstreif und Tintenzisch" ist die perfekte WC-Literatur. Und das ist das höchste Gütesiegel, das Bücher bekommen können.