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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

3. 11. 2011 - 14:42

Audio, Video, Disco

Das französische Duo Justice hat einen saftigen Spaltpilz gepflanzt. Auf mit Disco-gedüngtem Progrock-Boden. Ein abgedrehtes, verschrobenes, naives und augenzwinkerndes Album der Woche.

Also ganz ehrlich. Die große Verwunderung über das zweite Justice Album kann ich wirklich nicht nachvollziehen. Das französische DJ und Produzenten-Duo Gaspard Augé und Xavier de Rosnay haben vor vier Jahren mit ihrem Debüt "†" die Undergroundszene auf den Kopf gestellt. Mit ihrem brachialen, technoiden Hau-Drauf-Dancerock. Dass dieses Konzept ein nicht weit in der Zukunft liegendes Ablaufdatum hat, lag damals schon auf der Hand. Und was die möglichen Richtungen einer Weiterentwicklung betrifft, so haben Justice mit "Audio, Video, Disco" - wie nicht anders zu erwarten - die erstbeste und naheliegendste Abzweigung genommen.

Justice live

Dubomatic (http://www.flickr.com/photos/abou76/2039142090)

Was ich höre ...

... ist ein komplett nachvollziehbarer Referenzmischmasch, der weder neu, noch innovativ ist - und auch gar nicht sein will. Justice sind bei Gott nicht die ersten Elektroniker, die aus dem uferlos erscheinenden Progrock-Meer schöpfen. Ebenso wenig verheimlichen es die beiden Franzosen, denn legt man "Audio, Video, Disco" ein, so wird einem mit dem Eröffnungsstück "Horsepower" gleich mal gehörig der gute Indiegeschmack ausgetrieben. Die Anfangsakkorde und Linien klingen wie eine digital verzerrte Version der Genesis-Zeit, als Phil Collins noch hinter dem Schlagzeug gesessen und Peter Gabriel hinter dem Mikrophon gestanden hat (man höre sich einfach "Trespass", "Nursery Cryme" oder auch "Foxtrot" an). Der blecherne, stampfende Beat, mit dem dieser Track dann großteils weitergeführt wird, erinnert sofort an die silbrig glitzernden Robotermasken ihrer Landsleute Daft Punk.




Irgendwie passt das Video zur Single "Civilisation" ziemlich gut zu den französischen "Gaga-Boys". Ob wohl auf einem der Felsen, die hier zu sehen sind, 2001 die beiden Herrn Nicolas Godin und Jean-Benoît "JB" Dunckel sich ihre 10.000Hz-Legende ausgedacht haben?

Bei der ersten Single "Civilisation" klingen noch Reste jener Produktion an, die lange Zeit als das bekannteste Aushängeschild für Ed Banger Records galt. Doch auch hier brechen Justice immer wieder durch Tempo-Wechsel und klassische Breaks mit ihrem bisherigen Konzept. Gemeinsam mit Ali Loves Stimme bekommt diese Nummer dann auch noch einen Chemical Brothers-Twist, nur eben mit dem bei französischen Künstlern immer wieder auftauchenden Drang zum romantischen Kitsch. Und das darauffolgende "Ohio" schlägt wohl allen New Rave-Fans mit seinen schwülstigen Chorgesängen (gesungen übrigens von Vincenzi Vendetta, dem Vocalisten der famosen Australier Midnight Juggernauts) und verschwurbelnd schleppenden Beats den Glowstick ins Gesicht. Wobei Gaspard Augé und Xavier de Rosnay mit ihrer Zurückgelehntheit schon an ihre Kumpanen AIR andocken.

Justice bandfoto

AdrianBoot

Was ich sehe ...

… ist ein derart durchsichtiges Plastik-Popformat, dass ich gar nicht anders kann, als es als das zu nehmen, was es ist: ein Album, geboren aus kindlicher Naivität, eine Huldigung an die eigene musikalische Sozialisation mit einer gnadenlos unreflektierten "wir machen was wir wollen und kümmern uns einen Scheiß drum, wie andere das finden"-Einstellung. Wobei sich Justice auch dabei nicht allzu ernst nehmen können. Sonst hätte das stylische Duo Tracks wie "Canon" und auch "Brianvision" (eine Pseudo-Hommage an Queens Gitarrist Brian May) sofort von der Playliste streichen müssen. Denn in diesen flachen Stadion-Krautrock-Elektropop-Skizzen steckt nicht viel mehr als ein kleiner, kecker Musikschalk.

Album Cover: Audio, Video, Disco

Warner Music International

Der bandähnliche, organischere Klang von Justice funktioniert dafür bei "On'N'On" hervorragend. Eine schleppende Rocknummer mit einem wirklich wundervoll aufgehenden Refrain, bei dem dann auch der Dance-Sound wieder in den Frequenzvordergrund rücken darf. Vor allem aber lebt dieser Song von Morgan Phalens feinem Gesang. Das Titelstück "Audio, Video, Disco" liefert auch visuell den Eindruck, als wollten Justice nun auf den Zug der Elektro-Bands aufspringen wollen, die mit verschiedensten Instrumenten und Gastmusikern einen Weg weg von der DJ- und Laptop-Performance suchen. Doch hier täuscht man sich ebenfalls, ist der Song "Audio, Video, Disco" mit seiner an AIR oder auch streckenweise an Phoenix erinnernden Harmoniezuckerwatte nichts weiter als ein visualisierter Jugendtraum zweier Produzenten, die genau wissen, was sie können und was nicht.

Was ich lerne ...

... ist, dass Justice keine Band sein wollen. Sie sind auch keine reinen Dance-DJs und Produzenten. Und bei weitem keine innovativen oder virtuosen Musiker. Die beiden Franzosen haben sich jedoch ihren verspielten und kindlichen Zugang zur Musik bewahrt und liefern daher ein Album ab, das für jene, die sich an ihre Erwartungshaltungen und einzementierten, musikalischen Wertvorstellungen halten, nur als nervenaufreibende Tortur empfunden werden kann. Für alle anderen bietet "Audio, Video, Disco" die Möglichkeit, sich ein picksüßes, nach Kirsche schmeckendes, koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk den Rachen hinunterzustürzen, und es sich richtig schmecken zu lassen. In vollem Wissen darüber, dass dieser Geschmack zwar nicht lange halten wird, es im richtigen Zwischendurch-Moment genossen jedoch das Gefühl vermitteln kann, als gäbe es nichts Besseres.