Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Rock'n'Roll Fun"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

2. 11. 2011 - 18:42

Rock'n'Roll Fun

Don't Call Them a Supergroup: Aus den Überresten der Bands Helium, Sleater-Kinney und The Minders erwächst Wild Flag. So kann eines der besten Rock-Alben des Jahres entstehen.

Dass das Debütalbum von Wild Flag nach der Band selbst benannt ist und so also ebenfalls "Wild Flag" heißt, ist freilich kein Zufall. Neben dem üblichen Mission-Statement, das da sagen will: "Wir sind da, dies ist unser Sound!" handelt diese Platte nämlich genau davon: Was es heißt, in einer Band zu sein, das Zusammenspielen mit anderen Menschen, die Liebe und der Terror, ein Leben für die Kunst und den Rock'n'Roll.

Tiptop Zusammenspiel

Wild Flag

Wild Flag

Wild Flag

Vielleicht muss man es betonen: Wild Flag sind nicht Sleater-Kinney. Sleater-Kinney, eine der besten Rock-Bands der letzten 15 Jahre oder aller Zeiten, mit sieben mindestens sehr guten bis großartigen Alben in der Biografie und live vermutlich eine der zehn besten Erfahrungen, die man in diesem Leben machen kann. Eine Band, die vor allem auch immer von der wasserdichten Interaktion und dem innermusikalischen Schlagabtausch zwischen Carrie Brownstein und Corin Tucker an Gesang und Gitarre und Janet Weiss an den Drums gelebt hat. Corin Tucker hat nach der Auflösung von Sleater-Kinney im Jahr 2006 ein sehr okayes Solo-Album eingespielt, Janet Weiss ist mit Quasi und Stephen Malkmus unterwegs gewesen und Carrie Brownstein hat mit Fred Armisen in "Portlandia" Hipster-Chic, alternatives Ökodasein und weltverbessernden Nachhaltigkeits-Lifestyle - also klarerweise auch ein bisschen sich und uns selbst - abgebildet und auseinandermontiert.

Die Band Wild Flag jetzt und ihr - das soll schon verraten sein - großartiges Debüt-Album sind ein gegenseitiges Austesten und erwecken durch die perfekt nachhörbar vorgelebte Liebe zum Rock'n'Roll die Magie einer zärtlichen Dampfwalze. Ein Zusammenkommen von vier Frauen, die das sehr, sehr gut können, das Spielen in einer Rockband. Neben Carrie Brownstein und Janet Weiss von Sleater-Kinney sind da noch Mary Timony, die in den 90ern mit ihrer Band Helium zwei sehr gute, wieder- oder neuzuentdeckende Alben veröffentlicht hat, an Gitarre und Gesang und Rebecca Cole von der nicht gar so brennend berühmten Band The Minders an der Orgel.

wild flag

Wild FLag

Wild Flag haben "Wild Flag" live eingespielt, also gemeinsam und gleichzeitig als richtige Band. Einzig der Gesang ist separat aufgenommen worden. Zwei Gitarren, eine Orgel, ein Schlagzeug. Mehr findet hier nicht statt - na gut, außer vielleicht ein paar Handclaps da und dort.

Nervöse Gitarrenmusik

Wild Flag

Wild Flag

"Wild Flag" von Wild Flag ist bei Merge erschienen

10 rasante Stücke gilt es zu erfahren, meist knapp gehalten und atemlos vorgetragen, aus Punk und Post-Punk, Pop und Sixties-Psychedelik zusammendestilliert auf die Essenz. Timony und Brownstein wechseln sich am Lead-Gesang ab und kommen sich produktiv in die Quere, wenn die Platte sich zu sehr dem Sound einer der Vorgänger-Bands anzunähern droht. Wie Weiss nach wie vor nuancenreich und mit dem effektivsten Punch unter der Sonne die Drums mit harter und zarter Hand bearbeitet, wird nie aufhören, relativ atemberaubend zu sein, aus den Tasten von Cole fließt ein quengeliger Wave-Geist im Sinne der B-52s, es gibt Oooh-Ah-Harmoniegesänge und schief aus den Saiten geleierte Gitarren-Soli.

Wild Flag sind jetzt schon eine sauber aufeinander abgestimmte Einheit - aber man soll sie bitteschön nicht "Supergroup" nennen: "Supergroups sind meistens schlechte Bands und ein bisschen albern", sagt Carrie Brownstein, "Wild Flag ist nicht irgendwie so ein Nebenbei-Spaßprojekt, wir arbeiten hart und bemühen uns. Und bemühen uns, eine richtige Band zu sein. "Wild Flag, die Band, und "Wild Flag", das Album, leben von der Dynamik, dem Mit- und wunderbar Gegeneinanderspielen. Der Zauber von schlichter Gitarrenmusik, schweißtreibend vorexerziert, das beste Rock-Album des Jahres so far - nur allzu gerne träumt man davon, der im gleichnamigen Stück besungenen "Electric Band" beizutreten. Es ist ein aufregendes Leben.