Erstellt am: 2. 11. 2011 - 16:57 Uhr
Fußball-Journal '11-121.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit der traditionellen Kader-Bekanntgabe-Pressekonferenz vor Länderspielen; der ersten von Marcel Koller.
Das neue Team von Marcel Koller umfasst folgende Personen:
Co-Trainer sind der Schweizer Fritz Schmid (vormals GC, Tottenham, Basel und SFV) sowie der Leiter der ÖFB-Trainer-Aus-/Fortbildung, Thomas Janeschitz. Neuer Torwarttrainer wird Otto Konrad, Conditioning Coach: der Brite Roger Spry
Neuer Teamarzt: Dr. Richard Eggenhofer. Er löst den Langzeit-Arzt Ernst Schopp ab.
Physiotherapeuten: Mike Steverding und Michael Vettorazzi, Sporttherapeut: Christoph Ogris, Chef-Sportwissenschaftler: Dr. Gerhard Zallinger, Team-Administrator: Christian Schramm, Zeugwart: Jovo Marjanovic, Pressechef bleibt Peter Klinglmüller.
2012 wird wohl noch ein Sportpsychologe vulgo Mentaltrainer dazu kommen.
Den Länderspiel-Termin am Freitag den 11.11. nützt man für einen Kennenlern-Lehrgang, der am Dienstag den 8.11. beginnen wird. Der Kader für das Testspiel in Lviv am 15. 11. gegen die Ukraine:
Tor: Pascal Grünwald, Heinz Lindner (Austria), Robert Almer (Düsseldorf/D)
Abwehr: Florian Klein, Georg Margreitter, Manuel Ortlechner (Austria), Emanuel Pogatetz (Hannover/D), Sebastian Prödl (Werder/D), Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Franz Schiemer (Salzburg), Christian Fuchs (Schalke/D)
Mittelfeld: David Alaba (Bayern/D), Florian Mader, Zlatko Junuzovic (Austria), Julian Baumgartlinger, Andreas Ivanschitz (Mainz/D), Veli Kavlak (Besiktas/TUR), Christopher Trimmel, Christopher Drazan (Rapid)
Angriff: Martin Harnik (Stuttgart/D), Marko Arnautovic (Werder/D), Erwin Hoffer (E. Frankfurt/D), Marc Janko (Twente/NED)
Auf Abruf: Markus Suttner (Austria), Jakob Jantscher (Salzburg), Stefan Kulovits (Rapid), Manuel Weber (Sturm), Philipp Hosiner (Admira), Roman Kienast (Sturm), Stefan Maierhofer (Salzburg)
Auf Abruf, und wohl beim U21-Team: Tormann Tor: Jörg Siebenhandl (Neustadt), Christopher Dibon (Admira), Daniel Royer (Hannover/D), Stefan Schwab (Admira).
Der U21 entzogen: Alaba und Dragovic, wie immer, sowie diesmal auch Drazan und Heinz Lindner.
Verletzt: Jürgen Macho (Panionios/GRE), Christian Gratzei (Sturm), Ekrem Dag (Besiktas/TUR), Thomas Schrammel (Rapid), Paul Scharner (Westbrom/ENG), Jürgen Säumel (Sturm), Roman Wallner (Salzburg)
Noch nicht fit genug: György Garics (Bologna/IT); ohne Spielpraxis: Michael Gspurning (Seattle/US), Yasin Pehlivan (Gazian-tep/TUR), Andreas Ibertsberger (Hoffen-heim/D), Ümit Korkmaz (Frankfurt/D).
Rücktritt: Martin Stranzl (Gladbach/D), Alexander Manninger (Juventus/IT); lieber für Bosnien spielt Amel Hadzic (Ried).
Out: Helge Payer (Rapid), Hans-Peter Berger (Admira), Markus Berger (Academica/POR), Daniel Beichler (Ried), Christoph Leitgeb (Salzburg), Andreas Lasnik (Breda/NED), Andreas Hölzl (Sturm), Alexander Grünwald, Roland Linz (Austria), Rubin Okotie (St. Truiden/BEL) uvam.
Der U21-Kader für die EM-Qualifikationsspiele am 10. und 15. 11. gegen Bulgarien (zuerst auswärts, dann daheim) steht fest, wird aber erst morgen bekanntgegeben.
Ausständig auch die Kader für den U16-Test am 9.11. in der Schweiz und den Test der eben trainerlos gewordenen U18 am 12.11. in Bulgarien.
"Das Package gefällt mir", sagt der ehemalige Pressesprecher der Bundesliga, der aus Neugier bei dieser ersten Pressekonferenz, bei der der neue ÖFB-Teamchef Marcel Koller schon etwas zu berichten hatte, vorbeigeschaut hat.
Das 'Package', also das neue Koller-Team, sein durchaus umfangreicher Betreuerstab macht tatsächlich einen guten Eindruck. Nicht nur weil die Trottelsager-Buam und damit die letzten Relikte einer untergehenden Fußball-Unkultur entfernt wurde, nicht nur weil beide Co-Trainer als echte Fachleute (und nicht bloß als verdiente Ex-Kicker auf Versorgungsposten) gelten, weil die medizinische und die sportwissenschaftliche Abteilung aufgestockt und aufgewertet wurde. Sondern hauptsächlich weil dieses Personal deutlich zielgerichteter eingesetzt werden wird.
So sollen die Co-Trainer nicht, wie bisher, als inhaltlich unbeschäftigte Hütchen-Aufsteller agieren, sondern sich vor allem als permanente Scouts üben. Eine Aufgabe mit der die Vorgänger deutlich überfordert waren: Manfred Zsak konnte in seinen "Berichten" ja nicht einmal die Namen der beobachteten Spieler richtig aufsagen.
Das Package sieht also gut aus.
Die diversen, eher vorsichtigen Ankündigungen Kollers was sein Ziel bei diesem Testspiel in der Ukraine (endlich wieder ein Freundschaftsspiel auswärts, das hatte Constantini zwecks Schönung seiner persönlichen Statistik ja strikt vermieden - und das war für die Qualifikationsspiele in der Fremde keine gute Vorgabe ...) betrifft, hatten ebenso Hand und Fuß.
Offenbar will er seine Philosophie dort einmal antesten, ein paar zentrale Vorgaben ausrufen und die Umsetzung kontrollieren. Auch das etwas, was es in der verheerenden Ära Constantini nie gab: Vorgaben, Feedback, Controlling. Alles, was bisher im Nachwuchsbereich schon möglich war, könne man jetzt ins A-Team hochziehen, sagte Sportchef Ruttensteiner. Endlich. Das hat er nicht gesagt, aber gemeint.
Endlich. Ist es möglich. Auf internationalem Level zu arbeiten
Überhaupt: Alles, was von Koller (und auch Ruttensteiner) heute Vormittag an Infos bekanntgeben wurde, entspricht durchaus ganz simplen internationalen Standards.
Aber allein die Tatsache, dass man sich - nach Jahren der hinterwäldlerischen Dumpfheit - endlich auch praktisch damit beschäftigt, ließ den ganzen Saal bereits deutlich freier atmen. Weil sich ein Gemeinschaftsgefühl des Austausches breitmachte - und die genervte und patzige Bunkerstimmung, die schon bei Hickersberger, dann auch bei Brückner und vor allem bei Constantini alles versaut hat, ablöste.
Simple Tools wie die Datenbank für ein präziseres Scouting hatte es, in Ansätzen, bereits gegeben - die bislang am Ruder befindliche alte (eigentlich: älteste, völlig vergammelte) Schule hatte auf eine Verwendung verzichtet.
Schlimm war nur die Ankündigung dass Zsak und Wohlfahrt mit Jobs im Nachwuchs "versorgt" werden sollen - für Zsak ist sogar die U18 im Gespräch, die Neo-Assi Thomas Janeschitz nicht mehr betreuen kann, für Wohlfahrt der bisherige Otto-Konrad-Job bei der U21. Ich halte das für eine gefährliche Drohung und unverantwortlich den jungen Nationalspielern gegenüber.
Die Knautschzonen des aktuellen Aufgebots
Das Aufgebot selber enthält keine Überraschungen - wie auch. Marcel Koller hat alles eingeladen was aktuell zur Verfügung steht und halbwegs in Form ist.
Dass er einen objektiven Blick hat, belegt die Einberufung von Florian Mader - die ist schon seit Ried-Zeiten mehr als überfällig; und auch die Begründung Kollers dafür: sachlich und realistisch.
Für die aktuellen Problemzonen kann Koller nichts, die haben ihm die Vorgänger vererbt. Sowohl die Tormann-Krise (die durch das langsame Vorgehen in der Causa Gebauer nicht verbessert wird) als auch die Krise bei den Außenverteidigern haben Constantini und Co ausgelöst bzw. verschärft.
Koller läuft allerdings Gefahr historische Fehler zu wiederholen. Sollten in den nächsten Tagen Klein und Fuchs ausfallen wird die Abwehr-Formation womöglich Schiemer-Prödl-Pogatetz-Ortlechner lauten müssen, ganz wie beim Vier-Pfosten-Debakel von Constantini.
Alte Baustellen: die Außenverteidiger-Katastrophe
Da wurde im Vorfeld der Kader-Nominierung deutlich zu wenig sorgfältig nachgedacht. Klar: Dag, Schrammel, Garics, auch die praxislosen Ulmer und Ibertsberger fallen aus - aber Tanju Kayhan oder Thomas Piermayr, Martin Hinteregger, Stephan Palla, Schimpelsberger, Hinum, Hauser, Andreas Schicker, Rath, Hart und auch der nur abrufnominierte Markus Suttner wären zumindest einen Scouting-Blick wert. Auch der durch allzu viel Zögerlichkeit wohl verprellte Anel Hadzic (um dessen Rückholung ich mich bemühen würde) könnte das, rechts wie links.
Natürlich hat die Problemzone Außenverteidigung damit zu tun, wie diese Position in Österreich bislang interpretiert wurde: holzfüßig, als Putzer hinter einem Offensiv-Spieler, kaum ein Trainer sieht dort die wichtige Aufbau-Station.
Das bessert sich, graduell, aber nur langsam.
Immer noch ist das Bewußtsein für gezieltes Scouting ungenügend. Aktuell bestes Beispiel: der jugendliche brasilianische Linksverteidiger Danilo Soares, eine Perle der Austria Lustenau, wird nicht etwa von heimischen Großklubs, sondern von der deutschen Bundesliga gejagt.
Blockbildung nach Großklub-Einkaufspolitik
Allerdings hat das Außenverteidiger-Manko auch damit zu tun, dass sich Koller bislang ausschließlich auf die großen Vereine konzentriert hat.
Auffällig: Sein Kader umfasst neben den Legionären ausschließlich Spieler von Austria, Salzburg und Rapid.
Zwar lobte Koller die aktuelle Performance von Ried ausdrücklich, aber weder von dort, noch aus Graz (Manuel Weber nur auf Abruf?) kommt frisches Blut. Mit Christoph Leitgeb hat scheinbar auch niemand gesprochen.
Stichwort Flo Mader: Da hat man (nicht Kollers Schuld, das ist das Defizit seiner Vorgänger) drauf gewartet, dass er von Ried zur Austria kommt, ehe er berufen wird. Dieser "österreichische" Weg der automatisierten Blockbildung, die Tatsache, dass sich Teile des Nationalteams über die Einkaufspolitik der reicheren Vereine definieren, ist reif für den Schrottplatz.
Das heute versprochene intensivere Scouting muss diese Barrieren überwinden, besser heute als morgen.
Und dann: reingetappt in die U21-Falle; volle Wäsch'
Ein weiterer Fettnapf in den Koller sofort tappte: er schießt der U21, die mitten in einer schwierigen Quali steht und die beiden entscheidenden Spiele gegen Bulgarien (die über Wohl und Wehe bereits entscheiden werden) vor sich hat, die wichtigsten Spieler raus. Sowohl Tormann Lindner als auch Christopher Drazan sind Stützen dieser Mannschaft, ebenso wie der hin- und hergeschobene Kapitän Dibon. Jetzt den spielpraxislosen Royer wieder runterzuschicken und dafür Drazan hochzuziehen, das bringt nur Konfusion in eine Campaign. Und Jörg Siebenhandl nach seiner völlig überzogenen A-Team-Einberufung jetzt als Tausch-Objekt für die U21 zu entdecken - seltsam.
Die jungen Akteure könnte Koller das gesamte Frühjahr über testen - bis Juni hat die U21 (ziemlich doofe Terminplanung, just im September, wenn wieder Abzüge drohen, hat man die beiden schwersten Gegner vor der Brust, wer hat denn das so dämlich ausgehandelt?) kein Bewerbspiel.
Aber nein, es muss justament jetzt sein.
Das ist alles andere als vorbildlich, frustet die Nachwuchs-Coaches gleich von Beginn an und wird wohl als Fingerzeig des Drüberfahrens gelesen werden.
Hier taktisch/intern so unsensibel vorzugehen entspricht gar nicht Kollers sonst so abwägender Art.
Durchsetzungsfähigkeit; sowie kleine und große Gefahren
Noch einmal zum Terminplan.
Ein Spiel im 29. Februar (Finnland) und eines am 1. Juni (Ukraine) und kein zusätzliches Trainingslager - das kann's ja nicht sein in Punkto Vorbereitung für die WM-Quali ab Herbst '12.
Wenn sich Marcel Koller da nicht Raum und Zeit verschafft, dann kann er die Umsetzung seiner hochfliegenden Pläne eher abhaken - denn wie und wann sollen die alten Spieler denn die neuen Tricks lernen?
Die neue Philosophie, die neue Politik im Umgang mit Liga, Medien und Legionären, die neue Kommunikations-Dichte, die neue Erreichbarkeit werden allesamt entwertet, wenn die Abstellungs-Politik weiterhin aus Sonntagsreden (wir erinnern uns an die falschen Flötentöne anlässlich der U20-Abstellungen und ihre fatalen Folgen) besteht, und es nur wenigtägige Trainingslager und keine seriösen Tests gibt.
Da können die neuen freiatmenden Umgangsformen in Lviv noch so glänzen.