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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

2. 11. 2011 - 14:30

Vlog #13: Eingeraucht

Wieder einmal habe ich während der Viennale versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Und nur Raucher im Kino getroffen. Harry Nilsson, Art Garfunkel und Hesher.

Neben dem Kino ist meine zweite große Sucht das Rauchen. Und irgendwie ergänzen sich die beiden ganz gut. Nach jedem Film, der meinen Kopf und meinen Bauch angefüllt hat mit Befindlichkeiten und Geschichten, muss ich kurz aus der Welt austreten. Ich stelle mich, für gewöhnlich allein, an die Luft, rauche mir eine an und sinniere. Ein Klischee, ich weiß, aber eines, das ich lieb gewonnen habe, das mit mir verschmolzen ist. Zwanghaftes Verhalten kreiert Routinen: auf der Viennale lebe ich von programmierten Handlungsabläufen. Keine Minute ist leer, immer ist etwas zu tun. Gespräche, Filme, Essen. Die Zigarette gaukelt mir vor, diesen engen Zeitplan aufzulockern, ist in meinem Kopf ein Synonym für Freiheit.

Der Schleim der Freiheit

Marlene Dietrich

http://sanjuro.cocolog-nifty.com/blog/2011/02/rauchverbot-028.html

Marlene!

Jetzt merke ich natürlich schon die Verfallserscheinungen. Diese ganze Freiheit hat mich verschleimt. Morgens segeln braune Klumpen aus meinem Rachen, immer wieder bekomme ich Hustenanfälle, erkältet bin ich ohnehin das ganze Jahr hindurch. Und plötzlich erscheint mir der Griff zur Zigarette gar nicht mehr so attraktiv und verwegen wie in den Vorjahren. Aber dann hängen wieder die letzten Bilder in meinem Kopf, der Abspann kriecht über die Leinwand und ich spaziere langsam (ich hasse Menschen, die aus dem Kino rennen) ans Tageslicht. Langsam, um mich wieder daran zu gewöhnen, an die banalen Farben und Gesichter, an das Unfilmische der Wirklichkeit. Vielleicht auch um das zu bewältigen, folgt automatisch der Griff in die Jackentasche, dann zwei flotte Handbewegungen und ein von übertriebenen Erlösungsgesten begleiteter erster Lungenzug.

Und ich fühle mich schlecht. Daher mein Masterplan auf der diesjährigen Viennale wieder mit dem Rauchen aufzuhören. Die Weichen dafür waren gestellt: mir kommt entgegen, dass es draußen jetzt schon ungemütlich kalt ist und dass man in keinem Kinofoyer mehr rauchen darf. In den Kaffeehäusern und Restaurants setze ich mich in den Nichtraucherbereich. Aschenbecher weggeräumt, herum liegende Zigarettenschachteln in den Müll geworfen und entsorgt. Alles super. Und dann kommt das Kino.

Samstag

Wirklich interessiert habe ich mich für den amerikanischen Sänger Harry Nilsson nie. Was ich von ihm kannte, war das traumverlorene, gleichzeitig radikal gegenwärtige Titellied von John Schlesingers Midnight Cowboy (lange Zeit einer meiner Lieblingsfilme) und natürlich seinen Soundtrack zu Otto Premingers Kultfilm Skidoo, für den Nilsson unter anderem die Credits eingesungen hat. Insofern war ich durchaus neugierig, allerdings nicht ekstatisch, ihm zu begegnen. Es hat sich gelohnt.

Mann mit Zigarette

www.listal.com

Die formal unspektakuläre, aber außergewöhnlich gut recherchierte und montierte Dokumentation Who is Harry Nilsson? breitet die komische, tragische Lebensgeschichte des Ausnahmekünstlers vor einem aus. Schon als Bub sieht er aus wie eine Spitzmaus. So ein Kind, das man immer übersieht und das in den Krippenspielen zu Weihnachten eines der Tiere spielen muss. Starpotenzial tendiert gen null, würde man heute sagen. Dieter Bohlen würde ihn von der Bühne jagen. Damals, in den Sechzigern, galt die Stimme noch mehr als die Verpackung. Ein Produzent positioniert Nilsson als verlorenen US-Beatle, die Beatles nennen ihn als ihren Lieblingssänger. Später nimmt er mit dem Produzenten Richard Perry sein erfolgreichstes Album auf: Nilsson Schmilsson. Eine perfekte Symbiose seines Songwritings mit kommerziellen Ansprüchen, gleichzeitig breite Spielfläche für eine der außergewöhnlichsten männlichen Stimmen des 20. Jahrhunderts.

Mann mit Zigarette

http://brassbutton.wordpress.com/2010/06/15/harry-nilsson-2/

Die Singles „Without You“ (später von Mariah Carey neu eingespielt) und „Coconut“ machen den schmächtigen Blonden zum Star. Der Absturz folgt auf Fuß: Nilsson entschließt sich dazu, seinen eigenen Weg zu gehen. Private Probleme und das kommerziell und künstlerische Nachfolgealbum „Son of Schmilsson“ klemmen ihn in einer Abwärtsspirale ein. Im Alter von nur 52 Jahren stirbt er an einem Herzinfarkt. Eine fast zu klassische Biografie mit Höhenflug und Absturz. Ich bin fasziniert und kämpfe mit mir. Denn Nilsson raucht unentwegt. Kaum eine der seltenen Archivaufnahmen, in der er ohne Zigarette im Mundwinkel zu sehen ist. Ich schmecke sie fast, sehe nur mehr das Elend in meinem Verzicht. Aber ich reiße mich zusammen. Und esse eine Mandarine.

Sonntag

Schon wieder ein Sänger. Art Garfunkel in Nicolas Roegs Bad Timing, über den ich vorgestern schon geschrieben habe. Wien in den frühen Achtzigern: die schlecht ausgeleuchteten Kaffeehäuser schimmern rauchgrau. Jeder, wirklich jeder hat hier eine Zigarette in der Hand. Die Aschenbecher quellen über. Ich weiß nicht mehr wohin mit meiner Sehnsucht. Wieso muss man sich entscheiden? Für die eigene Gesundheit und gegen Zigaretten. Es scheint sich das Wesen des Lebens selbst in meiner Entscheidungsfindung zu spiegeln. Der Verzicht ist überall. Ich sehne mich nach einer Welt der Zukunft, in der Organe im Labor nachgezüchtet werden, in der ich mir ein kaputtes Teil einfach austauschen lassen kann. Aber ich weiß auch, dass dann alles wertlos werden würde. Und die Welt zugrunde gehen würde. Niemand würde sich mehr kümmern. Nichts hätte mehr einen Wert. Jetzt ringe ich mit mir, weil ich etwas zu verlieren habe. Hat Art Garfunkel damals schon gewusst, dass er sich ins Grab raucht? Vermutlich. Vermutlich war es ihm egal. Im Internet lese ich, dass er im November 2010 das Rauchen aufgegeben hat. Für seine Stimme. Sollte ich zu singen beginnen?

Dienstag

Ich kenne viele, die mit Joseph Gordon-Levitt ins Bett gehen möchten. Ich gehöre nicht dazu. Wiewohl mich der Anblick von ihm in Feinrippunterhose schon begeistert. Wie seine Darstellung des Hesher insgesamt. Ein Slacker-Ungustl, der tagein, tagaus eigentlich nichts anderes macht, als seiner Umwelt gehörig auf den Geist zu gehen. Ein asoziales Subjekt, das keine Probleme damit hat, einen Jungen mit seinem Kleinbus niederzufahren. Oder mit ihm über Muschis zu reden. Oder ihm nach einem Streit als abschließendes Argument einfach ins Gesicht zu furzen. Wenn man dann noch Natalie Portman als schüchterne Supermarktkassiererin in den Topf wirft, dann bekommt man ein ziemlich verzückendes Dreigestirn an verzweifelten Figuren, die ihre jeweiligen Lebenskrisen mit verschiedenen Instrumenten bearbeiten.

Mann mit Zigarette

Koch Media

Langfilmdebütant Spencer Susser trifft nicht immer den richtigen Ton in seinem untergriffigen Psychodrama, aber er liefert mit „Hesher“ den ungewöhnlichsten und überzeugendsten Feelgood-Film des Jahres ab. Dann nämlich, wenn der egomanische Hesher auf einer Beerdigung eine Rede hält, darüber, dass er jahrelang deprimiert war, dass er nur einen Hoden hat, sich aber irgendwann gedacht hat, dass einer besser als keiner ist. Das ist ein ganz großer Selbstermächtigungsmoment des zeitgenössischen Kinos, eine dem gemeinen Schicksal entgegen gereckte Faust, die schreit: Mich kriegst du so leicht nicht unter. Und natürlich raucht Hesher unablässig.

Auch im Scheitern kann man erfolgreich sein. Und ich bin wieder einmal gescheitert: nach drei Tagen des Nikotinersatzkaugummikauens bin ich zurückgekehrt in den warmen Schoß der Zigaretten. Und ich hasse mich dafür. Gleichzeitig weiß ich aber, dass die Schienen gelegt sind für mein nikotinfreies Leben. Nur bin ich gerade entgleist. Aber das Kino lehrt mir: Sieger werden Verlierer sein. Und aus dem Scheitern wachsen die schönsten Utopien. Film ab!