Erstellt am: 2. 11. 2011 - 11:57 Uhr
Der dornige Weg in die Selbstständigkeit
Lesen ist nicht seine Stärke, Georgi arbeitet mit seinen Händen. Und obwohl Georgi nie viel mit Lesen zu tun hatte, lag genau darin sein Unglück.
Georgi arbeitete in einem Bildhauerei-Atelier. In dieser Kunstmanufaktur fertigte mein Freund von morgens bis abends die Werke von einem berühmten österreichischen Künstler an. Seine Kreationen wurden in der ganzen Welt ausgestellt. Georgi mochte seinen Job, war fleißig und stets pünktlich. Seine mangelnden Deutschkenntnisse kompensierte er durch sein Geschick und verständigte sich mit seinem Chef durch Körpersprache. Er arbeitete in der Firma „schwarz“, der Arbeitsmarkt ist für bulgarische Staatsbürger geschlossen. Eines Tages trudelte ein Brief vom AMS im Atelier ein, der eine Untersuchung der Arbeitsverträge ankündigte. Der einzige Weg, dass Georgi seine Stelle behalten konnte, war die Gründung einer fiktiven Firma, die dann für seinen Chef arbeiten sollte. An den Tätigkeiten und am Gehalt änderte sich natürlich nichts.
Georgi war wohl ein begnadeter Handwerker, der Umgang mit der riesigen Verwaltungsmaschine im Staat Österreich überforderte ihn aber grenzenlos. Er fühlte sich wie Josef K. aus Kafkas "Prozess". Seine fehlenden Deutschkenntnisse brachten ihn auch nicht überall weiter. Aufgrund seiner "Ostmensch"-Einstellung fühlte sich Georgi in allem schuldig. Sein Reisepass erschien ihm zu dreckig. Auf dem hinteren Deckel war ein runder Fleck von einem Glas. „Super, die denken jetzt auch noch, dass ich ein Säufer bin“, dachte sich Georgi. Als er endlich seinen Pass am Schalter abgeben sollte, sagte er entschuldigend: “Kaffee, nicht Cognac” und lächelte die Beamtin verlegen an. Sie reagierte gar nicht, Georgi bekam panische Angst. Die Wirtschaftskammerangestellte verlangte eine Bescheinigung von der Krankenkasse. Alles, was Georgi verstand, war „krank“. Um zu zeigen, dass er nicht krank war, sondern in bestem körperlichen Zustand, die nötige Gewerbebescheinigung zu bekommen, machte Georgi am Schalter einen Spagat und zehn Liegestütze. Jetzt war es die Beamtin, die panische Angst bekam. Sie dachte, sie hätte es mit einem Verrückten zu tun und rief die Security. So erfolglos endete der erste Kampftag mit der Verwaltung.
Georgi entschied nicht aufzugeben und forderte die Unterstützung von seinem Freund Andrej an, der relativ gut Deutsch lesen konnte. Mit vereinten Kräften konnte Georgis Firma dann doch innerhalb von ein paar Stunden gegründet werden. Diesen Erfolg feierten die beiden bis in die Morgenstunden.
Georgi erschien am nächsten Tag nicht zur Arbeit, weil er unglaubliche Kopfschmerzen hatte. Er wurde gefeuert. Es schien also nur relativ kurz so, als ob Georgi durch seine kreative Lösung der Scheinfirmengründung seinen Job behalten könnte. Als ich Georgi das letzte Mal gesehen habe, sagte er zu mir „Durch meine Firmengründung hab ich gelernt, dass ich weniger trinken soll.“ Er hat natürlich recht. Jetzt hat Georgi eine neue Arbeit und dementsprechend eine neue Firma gegründet. Wenn ich mich so umsehe, ist fast jeder Bulgare, den ich kenne, ein stolzer Gewerbebesitzer. Vielleicht soll ich auch eine Firma gründen.