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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

2. 11. 2011 - 11:46

It's a boy's world

"The Adventures of Tin Tin" und "Real Steel": Zwei Blockbuster für die beinahe ganze Familie.

Jetzt nur einmal nebenbei gefragt: Was hat Hollywood eigentlich gegen alleinerziehende Mütter? Auf die blutjungen Protagonisten, die das großbudgetierte Unterhaltungskino der letzten Jahre bevölkern, wartet nach ihren Abenteuern mit Vampiren und Aliens meistens der überforderte Papa zuhause. Siehe den Kleinstadt-Sheriff in der "Twilight"-Saga, der nicht ahnt, dass sein Töchterlein mit Blutsaugern und Werwölfen flirtet. Oder dessen ähnlich angelegten Berufskollegen im nostalgischen Monstermovie "Super 8".

Real Steel

Dreamworks

Was Hugh Jackman als Charlie Kenton von diesen Männern unterscheidet, ist, dass er die Verantwortung des alleinerziehenden Vaters zuerst einmal gar nicht auf sich nehmen will. Der (Anti-)Held im neuen Blockbuster-Kracher "Real Steel" muss sich schließlich als Promoter von Roboter-Boxkämpfen in einer nahen Zukunft um seine stählernen Kämpfer kümmern. Da kommt es äußerst ungelegen, dass nach dem Tod einer Ex-Freundin der gemeinsame Sohn (Dakota Goyo) jetzt vor Charlies Wohnwagen-Tür steht.

Nur einen Sommer lang will sich der mürrische, dem Alkohol nicht abgeneigte Haudegen dem Elfjährigen widmen. Dann warten die schwerreichen Verwandten auf das Kind. Wir ahnen vom ersten klischeehaften Moment an, dass sich das alles nicht ganz so ausgeht.

Bis sich der grantige, abgetakelte Vater und der rotzig-freche Sohn in die Arme fallen, sämtliche Fanfaren ertönen und der Glaube an den amerikanischen Traum vom Gewinner aus der Unterschicht erstrahlt, geht viel Blech kaputt. Perfekt animiertes Blech, muss man sagen. Denn die mehr als quälend berechenbare Story dient ohnehin nur als vager Überbau für ein digitales Nonstop-Action-Spektakel, in dem sich Roboter statt Menschen die Birne einschlagen.

Real Steel

Dreamworks

Ist man weder von der Beziehung zwischen dem unerträglich neunmalklugen Balg und dem sich redlich bemühenden Hugh Jackman gerührt, noch von den unentwegten Stahl-Dreschereien gefesselt, wird "Real Steel" zur Nervenprobe. Wie auf stählernen Nadeln sitzend, erlebte der Schreiber dieser Zeilen den technisch zweifellos virtuos gemachten Film.

Auch wenn sich manchmal die charmante Evangeline Lilly ("Lost") als Boxtrainings-Assistentin ins Bild lehnt, ist das Spektakel des Regisseurs Shawn Levy lupenreines Bubenkino für die "Transfomers"-Zielgruppe. Elfjährige in aller Welt werden diesen Film lieben, ihre ins Kino mitgehenden Väter eventuell auch.

Eine nicht ganz unähnliche demografische Ausrichtung dürfte ein Film haben, der auf den ersten Blick wenig mit "Real Steel" gemein hat. "The Aventures Of Tin Tin", die langerwartete Verfilmung der legendären Tim und Struppi Comics, verspricht pfiffiges Deluxe-Entertainment für die ganze Familie. Und doch vereint die beiden so unterschiedlich anmutenden Streifen bei genauerer Betrachtung mehr als der Name von Steven Spielberg in den Credits.

The Adventures of Tin Tin - Die Abenteuer von Tim & Struppi

Sony

Während "Real Steel" zu den zahlreichen Filmen gehört, bei denen der emsige Mr. Spielberg als Coproduzent agiert, setzte er sich für "Die Abenteuer von Tim & Struppi: Das Geheimnis der Einhorn" höchstpersönlich in den Regiesessel. Unterstützend über die Schulter geschaut hat ihm dabei sein "Lord Of The Rings" erprobter Kollege Peter Jackson, der wiederum den nächsten Teil der Bildergeschichten-Reihe auf die Leinwand bringen wird.

Die popkulturelle Verantwortung, die sich die beiden Regiestars mit ihrer Blockbuster-Kollaboration aufbürden, ist nicht gering. Mehrere Generationen von Kindern sind mit den eigentümlichen Comics des Belgiers Hergé aufgewachsen und blicken einer Hollywoodadaption zumindest skeptisch entgegen.

Die good News zuerst: "The Adventures Of Tin Tin" erweisen sich als visuelles Glanzstück. Steven Spielberg und Peter Jackson gehen nicht nur mit dem zurecht vielgescholtenen 3D-Format souverän um. Vor allem die ausgefeilte Performance Capture Technik sorgt für innovative Momente, die wohl Filmgeschichte schreiben werden. Schauspieler wie Jamie Bell, Andy Serkis oder Daniel Craig mutieren im Computer zu noch nie gesehenen Animations-Zwitterwesen. Und die zahllosen Verfolgungsjagden, mit denen der Film gespickt ist, hebeln auf irrwitzige Weise sämtliche Gesetze der Schwerkraft aus.

The Adventures of Tin Tin - Die Abenteuer von Tim & Struppi

Sony

Die schlechten Nachrichten hängen unmittelbar mit den Pluspunkten des Films zusammen. Denn bei aller Begeisterung für die technologische Umsetzung sind die Akteure, darunter auch das famose britische Komikerduo Simon Pegg und Nick Frost, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet in dieser virtuellen Wunderwelt.

Überhaupt stehen "Die Abenteuer von Tim & Struppi" als Paradebeispiel für den Triumph der Form über den Inhalt. Bemüht sich der Film am Anfang noch um eine nicht unsympathische Schrulligkeit und amüsiert mit Querverweisen und Referenzen, hat er bald außer endloser Animations-Action nichts mehr zu bieten.

Das kann und wird vielen Zuschauern, die sich der puren kinetischen Faszination hingeben, reichlich egal sein. Auf der anderen Seite setzten Filme wie "Despicable Me", "Ratatouille" oder "Up" tatsächlich Maßstäbe in Sache zeitgenössischer Animation, wo der kindliche Spaß am Klamauk sich mit einer erwachsenen Erzählkunst paart und sämtliche Altersgruppen auf ihren Kosten kommen. Spielberg und Jackson dagegen versuchen mit ihrem Film zwar die Sinne zu betäuben, Hirn und Herz berühren sie aber nie.

The Adventures of Tin Tin - Die Abenteuer von Tim & Struppi

Sony

Daran mitschuldig ist sicher auch die Comicvorlage, die in einem seltsamen Bubenuniversum spielt, in dem Frauen ebensowenig vorkommen wie jegliche Emotionen. Wenn Tin Tin alias Tim etwas nicht ist, dann ein juveniler Indiana Jones voller Witz und Esprit. Als "alters-, geschlechts- und eigenschaftslosen Tugendbolzen" beschreibt ihn Georg Seeßlen treffend, die exzentrischeren Nebenfiguren können da wenig wett machen. In der atemberaubenden Pixar-Ära sind die "Die Abenteuer von Tim & Struppi" bloß digitale Zuckerwatte für die Augen und Ohren. Knallbunt, unterhaltsam und blitzschnell verpuffend.