Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wahlen ohne Gewalt!"

Klaus Brunner Mittelamerika

Palmen, Pathos, Politik

4. 11. 2011 - 07:00

Wahlen ohne Gewalt!

Nicaragua im Ausnahmezustand

Der "Sandinismus" beruft sich auf den Freiheitskämpfer Augusto César Sandino und umfasst ein breites Spektrum von Meinungen, vom Marxismus bis zur Befreiungstheologie.

Während der Revolution in den 1980er Jahren fanden die Sandinisten große Unterstützung in der bäuerlichen Bevölkerung Nicaraguas sowie bei der „Neuen Linken“ in Europa.

Wildes Gehupe hallt durch die Straßen, die alten amerikanischen Schulbusse spucken dunklen Rauch aus den Auspuffrohren, und die verbeulten Taxis versuchen auf haarsträubende Weise zu wenden. Der Verkehr steht schon wieder, nichts geht mehr.

In der Hauptstadt Managua finden momentan täglich Demonstrationen mit flammenden Reden, Samba-Trommeln und dem dazugehörigen Verkehrschaos statt. Laternenmasten, Mauern und Randsteine sind mit den schwarz-roten Farben der Sandinisten beschmiert, „Lang lebe Daniel“ steht auf jeder zweiten Mauer. Am 6. November stehen in Nicaragua Präsidentschaftswahlen an. Der einstige Revolutionsführer Daniel Ortega gilt – trotz umstrittener Wiederkandidatur – als haushoher Favorit.

Klaus Brunner

Auch José Morales besucht die Wahlkampf-Veranstaltungen. Der Anfang-Fünfziger mit dem Lausbuben-Lächeln hat sich einst freiwillig als Guerillero gemeldet: „Das war einfach notwendig, wir mussten die Revolution verteidigen!“ Eine lange, dicke Narbe ziert seinen Unterschenkel - seine Einheit sei damals in einen Hinterhalt geraten, erzählt Morales. Als
die Sandinisten 1979 unter der Führung von Daniel Ortega die grausame Somoza-Diktatur stürzten, feierte die Welt mit einem der ärmsten Länder Lateinamerikas dessen neu gewonnene Freiheit. Kurz darauf wurde vom CIA ein langjähriger Bürgerkrieg angezettelt. Zu groß schien den USA die linke Gefahr in ihrem Hinterhof.

Klaus Brunner

Das Kürzel der "Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront"

Viele Länder Europas zeigten sich solidarisch mit Nicaragua, auch Bruno Kreisky hegte Sympathien für die Sandinisten. Mit ihrer Landreform, Alphabetisierungsprogrammen, dem allgemeinen Zugang zur Gesundheitsvorsorge und dem Bekenntnis zur Demokratie galten sie als Vorzeige-Revolutionäre. Viele Österreicherinnen und Österreicher gingen in den 1980er Jahren aus Solidaritätsgründen nach Übersee, besonders medizinisches Personal und Aufbauhelfer waren sehr gefragt. 1990 wurde die „Sandinistische Front“ schließlich abgewählt, erst 2006 schaffte sie es zurück an die Macht. Dass Ortega mit knapp 38 Prozent der Stimmen erneut Staatsoberhaupt wurde, hatte er einem Kuhhandel mit seinem wichtigsten Kontrahenten zu verdanken. Der liberale Ex-Präsident Arnoldo Alemán stimmte einer Verfassungsänderung zu, wonach ein Wahlsieg bereits ab 35 Prozent möglich war. Alemáns langjährige Haftstrafe wegen Korruption und Geldwäsche wurde im Gegenzug in einen Hausarrest umgewandelt.

Daniel für die Armen

Ex-Guerillero José Morales würde für seinen Präsidenten auch heute noch durchs Feuer gehen: „Die anderen Regierungen haben immer nur sich selbst bereichert. Nur Daniel kümmert sich auch um die Armen!“ Die Regierung Ortega verschenkt Hühner und Grundstücke und stellt Bücher für die abendlichen Alphabetisierungskurse zur Verfügung. Mit Geldern der EU wurden Straßen gebaut und mit Unterstützung aus Venezuela hat man sogar die ständigen Strom-Engpässe in den Griff bekommen, die das Land so lange gelähmt haben. „Christlich, sozialistisch, solidarisch!“ nennen sich die Sandinisten heute und Daniel Ortega inszeniert sich als gütiger Landes-Patron.

Klaus Brunner

Der „Comandante“ teilt die Macht mit seiner Gattin Rosario Murillo. „Seinen Beitrag zur Gleichberechtigung“ nannte Ortega diese Tatsache einmal. Wegen ihrem Hang zu Esoterik und Astrologie wird Murillo von vielen schlicht „die Hexe“ genannt. Von geschickter Polit-PR versteht die First Lady jedenfalls so einiges. Mit einer rosaroten Wohlfühl-Kampagne
lenkt sie geschickt von den vielen Problemen ab, die das zweitärmste Land Lateinamerikas seit Jahrzehnten quälen.

Rosario Murillo nutzt auch die tiefe Religiosität der Nicas gekonnt für ihre Zwecke. Das Präsidentenpaar hat sich nachträglich kirchlich trauen lassen - Kardinal Miguel Obando, einst Erzbischof von Managua und Symbolfigur der Anti-Sandinisten, hält sich seitdem mit seiner Kritik zurück. Im Zuge des Paktes mit dem mächtigen Kardinal erließ Ortega das härteste Abtreibungsverbot des Kontinents.

Im Süden nichts Neues

Klaus Brunner

„Der Sandinismus war zwar schon immer ein Sammelsurium an Ideologien, da hatte auch der Glaube Platz, aber das ist purer Opportunismus“, empört sich die Schriftstellerin Gioconda Belli. Mit ihrem feministischen Roman „Bewohnte Frau“ wurde sie weltberühmt. Wie viele andere ehemalige Mitstreiter hat auch Belli der Sandinistischen Front längst den Rücken gekehrt. Sie wirft Ortega Machtmissbrauch, Korruption und den Aufbau einer Diktatur vor.

„Der Familienclan Ortega-Murillo hat inzwischen alle demokratischen Institutionen unterwandert und herrscht absolutistisch über das Land. Sie sind vielleicht nicht so schlimm wie damals die Somozas, fest steht aber, dass sie alle Ideale unserer Revolution mit Füßen treten“, zeigt sich Gioconda Belli enttäuscht. Schon vor drei Jahren soll Ortega bei den Kommunalwahlen getrickst haben. Und: Eigentlich dürfte er bei den Präsidentschaftswahlen im November laut Verfassung gar nicht mehr antreten. Ortega beschwerte sich beim Obersten Gerichtshof, das Verbot würde seine politischen Rechte verletzten – und jetzt darf Ortega doch wieder kandidieren.

Und die Gegenseite?

Roberto Cajina, ein renommierter Professor für lateinamerikanische Geschichte sagt dazu: „Nur eine geeinte Opposition könnte die Wiederwahl Ortegas gefährden. Doch die Oppositionsparteien sind weit entfernt von einer durchdachten, gemeinsamen Alternative.“ Auch die „Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus“, zu deren Gründerinnen Gioconda Belli gehört, bietet keinen wirklichen Gegenentwurf. Als zu intellektuell gilt die Kleinpartei, die in einem Bündnis mit einer liberalen Splittergruppe aufgegangen ist. Ein ehemaliger Offizier der somozistischen Guardia und der wegen Korruption verurteilte Ex-Präsident Arnoldo Alemán sind die „Spitzenkandidaten“ der rechten Parteien.

Klaus Brunner

In der sengenden Mittagshitze Managuas prangen indes ausgebleichte, rosa Plakate mit Peace-Zeichen, Parteilogo und dem Slogan „Wahlen ohne Gewalt!“ Purer Zynismus in Anbetracht dessen, dass es bei Veranstaltungen der Opposition immer wieder zu Übergriffen durch bezahlte Schlägertrupps kommt. „Sie engagieren irgendwelche Banditen, die für Hundert Cordobas (etwas mehr als drei Euro) die Leute aufmischen“, sagt Roberto Cajina kopfschüttelnd. „Und das schlimmste ist: Die Polizei drückt dabei beide Augen zu!“

Klaus Brunner

Linke Nostalgie im "Museum der Revolution" in León. Für Interviews verlangt man inzwischen gerne mal Bares.

Auf Nummer sicher

Obwohl Ortega laut aktuellen Umfragen keinen Gegenwind zu haben scheint, will er am 6. November nichts dem Zufall überlassen. Laut Carlos Fernando Chamorro – Nicaraguas bekanntestem Aufdeckerjournalisten – sei das Wahlverzeichnis voller Leichen, da man seit Jahren die Verstorbenen nicht mehr gelöscht habe. Stimmen, die automatisch an die Sandinistische Front gehen könnten. Zudem kostet der für die Stimmabgabe benötigte Personalausweis umgerechnet rund 12 Euro – viel Geld in Nicaragua – während dieser für Mitglieder der sandinistischen Jugend und anderer regierungsnaher Organisationen gratis ist. Staatsbedienstete, die nicht brav zu den Parteiveranstaltungen marschieren, müssen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen.

Eine gewisse Medienfreiheit existiert nach wie vor, auch wenn die wichtigsten Radio- und Fernsehsender im Besitz des Ortega-Clans sind. Doch kritische Journalisten wie Carlos Fernando Chamorro werden immer wieder mit Schmutzkübelkampagnen und fadenscheinigen Prozessen abgefertigt.

Keine Alternative

Für die meisten Nicas gibt es freilich wichtigeres als einen tadellosen Rechtsstaat. Acht von zehn Menschen leben in Armut, da geht es ums nackte Überleben, nicht um demokratische Spielregeln. Letztlich hat auch die Wirtschaft im In- und Ausland kein Interesse an einem Regierungs-wechsel. Nicaragua gilt als das sicherste Land Mittelamerikas und die Regierung erfüllt rigoros die Auflagen des Internationalen Währungsfonds. Wie stabil die Demokratie in Nicaragua ist, das wird sich am 6. November zeigen. Internationale Wahlbeobachter wurden nach langem Hin und Her nun doch zugelassen. Die Wahlbehörde zieht es allerdings vor von „Wahlbegleitern“ zu sprechen und diese zwar bei der Stimmabgabe, nicht aber bei der Auszählung dabei zu haben.

Der Stau löst sich unterdessen langsam auf. Die voll gequetschten Busse setzen sich wieder in Bewegung, aus den offenen Fenstern dröhnt Salsa-Musik. Die Demonstranten ziehen weiter und schwingen ihre schwarz-roten Fahnen anderswo. Die einen, weil sie müssen, die anderen aus Leidenschaft.