Erstellt am: 31. 10. 2011 - 21:18 Uhr
Journal 2011. Eintrag 197.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der Jubiläums-Feier eines Anwerbeabkommens und Deutschland - und der Frage ob und wie damit in Österreich umgegangen werden wird, wenn hierzulande dieselben Jubliäen fällig sind.
Gestern fand am Münchner Hauptbahnhof eine interessante Feier statt. Und weil das gefühlt dort war, wo ich, wenn ich mit dem Zug nach München komme, einfahre, und weil das gerade erst vor ein paar Tagen der Fall war, hab' ich näher hingeschaut.
Es wurde die Ankunft eines Sonderzugs gefeiert, in dem Zeitzeugen und Regierungsvertreter aus Deutschland und der Türkei von Instanbul nach München gefahren waren, um an das Anwerbeabkommen für Gastarbeiter zu erinnern.
Das sorgte dafür, dass nach dem 30. Oktober 1961 Zigtausende Menschen nach Deutschland kamen.
Es gab Musik, Tanz und Reden, alles am Hauptbahnhof, zur Stoßzeit, noch dazu in Bayern, dem konservativen Kernland.
In Deutschland, und eben auch im CSU-Land Bayern hat kaum noch jemand ein Problem, die Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein, nicht nur zu akzeptieren, sondern auch auszusprechen. Und das hat unter anderem mit dem gefeierten Jubiläum zu tun.
Arbeits-Migration und die symbolische Integration
Dabei handelt es sich um das entsprechende Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei, das sogenannte Anwerbeabkommen das den Zustrom der von der boomenden Nachkriegsindustrie dringend benötigten Gastarbeiter regelte; vor genau 50 Jahren.
Abkommen dieser Art gab es auch schon vor 1961, und zwar mit Italien, Spanien und Griechenland. Alles Nationalitäten, die heute noch über eine starke Community in Deutschland verfügen - allerdings ist die Beziehungsgeschichte zwischen Deutschen und Türken um einiges enger und deshalb auch öffentlich deutlich sichtbarer und, in den vielen seit 50 Jahren nicht gut genug durchdachten Facetten auch problematischer.
Weshalb auch der Feier, die das BR-Fernsehen direkt übertragen hat, so eine Bedeutung zukam. Und weshalb sich kritische Stimmen einfanden, die sich darüber mokierten, dass die anderen Communities (Italiener, Spanier, Griechen) nicht dieselbe Ehrerbietung erfahren hatten.
Es gab also in Deutschland keine öffentliche Stimme von Belang, die dieses Jubiläum nicht als begehenswert empfand.
Jetzt stellt sich, wie so oft, die Österreich-Frage
Warum ich diese Fakten hier in aller Ausführlichkeit ausbreite?
Weil für Österreich ganz ähnliche historische Abkommen gelten.
Die Arbeitsmigration begann hierzulande später als in Deutschland, der Schweiz oder Skandinavien. Das erste Anwerbeabkommen schloss Österreich 1962 mit Spanien, 1964 kam die Türkei, 1966 Jugoslawien dran. Mitte der 70er verzeichnete man über 200.000 Gastarbeiter.
Und aktuell sind (hinter den alle überrollenden Deutschen) immer noch die Menschen aus Ex-Yugo und der Türkei die größte Migrations-Gruppe.
Das heißt also: 2014 bzw 2016 sind es 50 Jahre, dass die beiden bedeutendsten Anwerbeabkommen unterzeichnet wurden.
Und eines frag ich mich, seitdem ich die Szene am Münchner Hauptbahnhof gesehen habe: Wird es das offizielle Österreich schaffen, dieses Jubiläum auch nur ansatzweise so würdig zu begehen?
Jubiläumsfeier im Aufmarschgebiet der Hass-Prediger?
Beide Daten werden nach der Nationalratswahl von 2013 stattfinden, das zweite nach einer weiteren Gemeinderatswahl in Wien.
Und so, wie sich das offizielle Österreich seit einigen Jahren anstellt, in einer Mischung aus apathischem Nichtstun und präventiver Vogel-Strauß-Politik, genährt aus schierer Panik vor dem Anfüttern der Xenophobie und des Fremdenhasses, aus starrer Angst vor den unaufhaltbaren Zuwächsen der FPÖ (die in den aktuellen Umfragen bei 28% steht - SPÖ 29, VP 22, Grüne 13), werden beide Jubiläen wohl zum Anlass für Hass-Prediger aller Kaliber sein, die demographisch katastrophale Isolationismus-Ideologie weiter auf die Spitze zu treiben.
Den Südbahnhof, das perfekte Symbol für solche Feiern, hat man sicherheitshalber eh schon abgerissen. Der neue Zentralbahnhof würde rechtzeitig fertig werden. Wichtig wäre aber eh nur, dass überhaupt jemand daran denkt, einen zentralen Teil der österreichischen Nachkriegsgeschichte würdig zu begehen und 2014 bzw 2016 nicht ungenützt verstreichen lässt.