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Christian Holzmann

Snap your fingers, snap your neck.

30. 10. 2011 - 15:14

"Lulu"

Wenn Giganten sich zusammentun, kann manchmal auch was richtig Gutes herauskommen. Lou Reed und seine Begleitband Metallica überraschen im positivsten Sinne, auch wenn sie es einem erst nicht leicht machen.

Als schon vor Monaten Gerüchte zu Lou Reeds neuem Projekt im Internet auftauchten, horchten nicht nur Fans des alten Meisters und früheren Sängers von Velvet Underground auf, auch die Metalgemeinde spitzte nicht unverwundert die Ohren. Zur Vertonung von "Lulu" - basierend auf dem gleichnamigen 1913 erschienenen Roman von Franz Wedekind - holte Herr Reed niemand Geringeren als die Herrschaften von Metallica mit an Bord. Eine Kollaboration, die ihren Ursprung bei einem gemeinsamen Auftritt zum 25. Jubiläum der Rock n Roll Hall of Fame im Jahr 2009 hatte.

Lou Reed und Metallica

Anton Corbijn

Schon im Vorfeld wurde kein gutes Haar an dieser Zusammenarbeit gelassen und so ziemlich alle mir bekannten Verehrerinnen und Verehrer, sowohl von Metallica und/oder Lou Reed, konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie diese Kombination funktionieren sollte. Ich selbst war da keine große Ausnahme, was vielleicht aber auch damit zu tun hatte, dass mir Metallica in den letzten Jahren ein wenig auf die Nerven gingen und die ersten kurzen Höreindrücke von "Lulu" sich tatsächlich wenig berauschend anhörten.

"Loutallica" Skepsis schon im Vorfeld

Cover von "Lulu".

Universal Music

Das vorab veröffentlichte "The View" wurde auch nicht gerade wohlmeinend aufgenommen und eigentlich waren damit in Kombination mit meiner Abneigung zu sogenannten "Supergroups" - als Paradebeispiel seien hier wieder einmal die strunzlangweiligen Audioslave erwähnt - die Weichen gestellt, um "Lulu" für grottenschlecht zu befinden und in Grund und Boden zu verdammen, sofern ich mir dann dafür hätte überhaupt die Zeit nehmen wollen.

Lars Ulrich, der im Promo-Interview nicht müde wird Lou Reed und sich selbst zu beweihräuchern, macht es einem dabei auch nicht gerade leicht und dass "Lulu" (Oh, Überraschung!) das Beste sei, was sie jemals gemacht hätten, wird von allen unisono nicht nur einmal geäußert. Eh, "Master Of Puppets" hat es nie gegeben und wer sind schon Velvet Underground? Künstlern sollte der Satz "Das Beste, was wir je gemacht haben" bitte endlich mal verboten werden, und seien sie noch so sehr davon überzeugt. Zugegebenermaßen war ich aber dann doch neugierig, ob diese Zusammenarbeit dieser beiden Größen wirklich so mies sei, wie von einigen kritisiert.

Boris Karloff und Kinski?

Der erste Hördurchgang von "Lulu" war offen gesagt tatsächlich etwas durchwachsen. Lou Reed mäandert und brabbelt wie ein alter Prediger teils recht eigenartige Texte daher wie "I would cut my legs and tits off when I think of Boris Karloff and Kinski", wobei sowas wie Gesang vielleicht nur selten aufblitzt. "Iced Honey" kommt dem relativ nahe, aber ein Sänger vor dem Herrn war Reed sowieso nie und wollte es auch nie sein. James Hetfield darf (meines Erachtens zu oft) auch ab und zu im Hintergrund gesanglichen Senf wie jenen hinzugeben, dass er ein Tisch oder ein Notizblock sei ("The View"). Nun ja, nach erstem oberflächlichen Hören könnte man theoretisch das Album einfach in eine Ecke legen oder im Regal unter "W" wie "Wunderlich" ablegen.

Lou Reed und Metallica

Anton Corbijn

"Lulu" ist kein Album, das einen vom ersten Moment an bezaubert oder mitreißt, viel mehr entfaltet es sich erst nach und nach und wenn man es im Ganzen hört. Vielleicht hätte ich mir das gar nicht angetan, wären das hier nicht Lou Reed und Metallica, die beide nicht unwesentlich zu meiner musikalischen Sozialisation beigetragen haben. Ein ausufernd langes Stück von fast 20 Minuten wie "Junior Dad" mag für sich genommen nicht das sein, was man sich mal "so eben" anhört, im Kontext des Gesamtwerks hilft es einem aber, vom sich aufwühlenden Inferno und den Untiefen der menschlichen Seele wieder zu erholen. Schöner als mit John Zorn und Reeds Lebensgefährtin Laurie Anderson kann wohl kein Album ausklingen, denn ihnen gehören die letzten 10 Minuten des Songs. Anderson und Zorn haben hier schon fast sowas wie einen musikalischen Abspann kreiert, der einen das Gehörte noch einmal Revue passieren und richtig bewusst werden lässt, wie sehr einen die davor liegenden 87 Minuten wider Erwarten bewegt haben.

Kein Metallica-Album

Mit Ausnahme des schon fast an "Sweet Jane" erinnernden "Iced Honey" macht es wenig Sinn, sich von "Lulu" einen Song herauszupicken und einen Gassenhauer von Lou Reed oder Metallica für die lustige Ausfahrt mit dem Cabrio zu erwarten. Vielmehr macht dieser erst schwer verdauliche, dann aber umso erfreulichere Riesenbrocken an Doppelalbum nur am Stück gehört Sinn und reiht sich damit würdig in das Gesamtwerk des Lou Reed ein.

Auch wenn ich nicht mehr ein ganz so großer Fan von Metallica bin, wie vielleicht noch vor ein paar Jahren, Reeds Entscheidung mit ihnen zusammenzuarbeiten war richtig. Dennoch ist "Lulu" ganz eindeutig ein Album von Lou Reed und keines von Metallica. Ob es nun tatsächlich das (wie Metallica meinen) Beste wäre, was sie bisher gemacht hätten, sei nach wie vor dahingestellt, zweifellos ist es aber das Interessanteste, an dem Metallica seit Jahren beteiligt waren. Das lässt hoffen.