Erstellt am: 30. 10. 2011 - 15:01 Uhr
In der demilitarisierten Zone
Ich sitze in einem Mini-Bus, geschmacksicher beklebt mit Portraits amerikanischer Soldaten, und bin auf dem Weg in die DMZ, die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea.
Die DMZ ist laut allwissender Müllhalde Wikipedia der gefährlichste Ort der Welt. Blogs, die sich mit dem Ort beschäftigen, witzeln, dass es die gefährlichste Touristenfalle der Welt ist.
Die Zone ist ein vier Kilometer breiter Streifen an der Grenze der beiden Länder. Sie verdankt ihren Ruf der Dichte an Waffen, die dort aufeinander gerichtet sind. Meine Verwunderung war groß, als ich realisierte, dass sowohl von nord- als auch von südkoreanischer Seite Touren zu der Grenze angeboten werden.
Natalie Brunner
Ich weiß wenig über das isolierte Nordkorea. Ich bin wohl nicht die Einzige, für die das Land ein weißer Fleck auf der Landkarte ist, garniert mit ein paar bizarren Anekdoten über den Machthaber Kim Jong-il, den geliebten Führer. Offiziell ist immer noch Kim Jong-il´s Vater Kim Il Sung, der 1994 verstorben ist, Oberhaupt des totalitären Staates.
Ich weiß über Kim Jong-il, dass er westliche Filme sammelt, die in seinem Land verboten sind, und dass Rambo und Police Academy zu seinen Lieblingsfilmen gehören. Ich weiß, dass er 1978 den Regisseur Shin Sang-ok nach Nordkorea entführen ließ und ihn zwang, Filme nach dem Vorbild japanischer Godzilla-Streifen zu drehen. Ich weiß, dass man keine Publikationen, Bücher, sonstige Druckwerke und Mobiltelefone einführen darf, und ich weiß, dass in Nordkorea zur Zeit sechs Millionen Menschen von einer Hungerkatastrophe bedroht sind.
"Es wird kompliziert"
Südkoreanische und amerikanische Staatsbürger, Journalisten und Diplomaten dürfen nicht nach Nordkorea reisen. Um die Grenze zu besuchen, müssen Südkoreaner einen sechs Monate dauerndes bürokratisches Prozedere durchlaufen.
"Es wird kompliziert werden", warnte mich eine koreanische Freundin. "Du musst dich ein paar Tage zuvor anmelden und deine Passnummer bekannt geben. Sie werden checken, wer du bist."
Andere Bekannte gaben mir durch die Blume zu verstehen, dass ich einen Knall habe, sie selbst noch nie dort waren und nicht verstehen, was ich an diesem Ort glaube sehen, lernen oder verstehen zu können.
Natalie Brunner
Dokumentationen sprechen von 15 militärischen Checkpoints und sechs Stunden, die man für die ungefähr 50 Kilometer von Seoul zur DMZ braucht. Die Idee, Touristen einen solchen Ort besuchen zu lassen, ist bizarr und noch mehr irritiert mich die Broschüre, mit dem salutierenden Teddybären, der mich einlud, den Schrecken des Konflikts hautnah zu spüren und in nordkoreanischen Infiltrationstunneln herum zu kriechen, denn "The Third Tunnel of Aggression" ist zur Besichtigung freigegeben.
Ich bin verwundert, wie leicht es ist, die Tour zu buchen. Niemand will meinen Pass sehen, die mündliche Auskunft, dass ich Österreicherin bin reicht, um am nächsten Morgen fahren zu können.
Keine Passnummer, keine weiteren Fragen.
Im Mini-Bus
Natalie Brunner
Die Tour kostet 40 Dollar. Die obligatorische Armee-Eskorte ist im Preis inkludiert. Ich frage mich, warum die Tour so billig ist. Keiner kann mir die Frage beantworten, ob wer mit zahlt, dass ich mir die DMZ ansehe.
Der Mini-Bus holt mich im Hotel ab und bringt mich und sechs andere Gäste bis zur Grenze, wo wir in einen "offiziellen" Bus umsteigen, erklärt das Mädchen Anfang 20, die unser Tourguide und eine Small-Talk-Maschine ist.
Ein in Shanghai lebender Typ Anfang 70, ein amerikanisch-koreanisches Ehepaar und deren in Südkorea stationierter Sohn sowie ein kein Wort von sich gebendes, englischsprachiges Ehepaar Ende Fünfzig sind mit an Bord.
Ein paar Kilometer außerhalb von Seoul wird die Autobahn zu einem Korridor, auf beiden Seiten von Stacheldraht begrenzt und zur Rechten der Han Fluss. Alle fünfzig Meter sind Militär-Häuschen am Rande der Autobahn und Schleusen im Fluss.
"Drei Menschen sind diesen Monat schwimmend aus Nordkorea geflohen, so etwas glückt selten", erzählt Fräulein Guide. Sie weist uns routiniert auf die unterschiedliche Vegetation links und rechts der Autobahn hin. Auf südkoreanischer Seite gibt es Vegetation, auf nordkoreanischer Seite gerodete braune Hügel. Ein Schwall von Jahreszahlen prasselt auf uns hernieder.
Natalie Brunner
Auf der Autobahn sind keine anderen Fahrzeuge mehr unterwegs. Da mich monotone Sprache immer schon eingeschläfert hat, driften meine Gedanken ab und ich überlege, warum die anderen wohl diese Tour machen.
Bei dem amerikanisch-koreanischen Ehepaar aus Kalifornien, das ihren in Seoul stationierten Army-Sohn besucht, ist es klar. Bei Nick, dem in Shanghai leben Typ, wird es auch klar, als er Fräulein Sprechmaschine mit einem resoluten "Bullshit" unterbricht. Sie wollte dem Iren gerade erzählen, dass Korea das einzige geteilte Land sei. Als er sie fragt, ob sie eine Ahnung habe, wie vielen Menschen der Nordirland-Konflikt das Leben gekostet habe, lächelt sie ihn verlegen mit großen Augen an. Als er meint: "Sehr, sehr viele" fällt ihr nichts besseres ein als: "Oh, Really" zu sagen und weiter zu lächeln.
Mich beschleicht der Verdacht, dass alles auswendig gelernt ist und Abweichungen vom Text bei der jungen Dame nicht möglich sind.
Der Mini-Bus wechselt mitten auf der Autobahn unter einer Brücke die Spuren und biegt auf einen Parkplatz ein. Hier werden wir in den "offiziellen" Bus umsteigen.
Der letzte Parkplatz in der freien Welt wird mit klassischer Musik beschallt, eine Schar von Menschen jätet kniend von Hand Unkraut, es gibt ein Paar Denkmäler, Imbissbuden und ich traue meinen Augen nicht: einen Vergnügungspark.
Natalie Brunner
Der offizielle Bus sieht aus wie eine Requisite aus einem Bollywoodfilm: Neonlichter an der Decke und ein Vorhang mit sehr, sehr vielen Quasten. Vielleicht damit es schwieriger wird, heimlich aus dem Bus Spionagefotos von militärischen Einrichtungen zu machen. Das Thema Fotografieren wird bei dem Einstiegen nochmals von Fräulein Guide erwähnt: Nur wenn sie es sagt, ist es erlaubt.
Der dritte Tunnel der Agression
Die erste und einzige Passinspektion dieser Tour ist ein Scherz. Ein Soldat steigt ein und alle halten ihre Pässe geschlossen hoch. Ich sitze in der letzten Reihe, halte den ebenfalls roten Flugzettel für die Tour hoch, ist auch ok.
Soldier-Boy scheint auf Touristen-Standby zu sein. Ich fotografiere übrigens auch die ganze Zeit und die Bollywood-Vorhänge habe ich auch abmontiert. Es interessiert niemanden, was den ganzen Ausflug für mich immer absurder werden lässt.
Der erste Stopp ist der "Third Tunnel of Aggression". Er ist 52 Kilometer entfernt von Seoul und wurde 1978 entdeckt. Das Tourinfoblatt lässt mich wissen, dass dreißigtausend voll bewaffnete nordkoreanische Soldaten im Falle einer Invasion in einer Stunde da durchkämen.
Natalie Brunner
Bevor man in den Tunnel darf, wird ein "Info"-Film im Hightech-Kino gezeigt. Sechs Leinwände, auf denen abwechselnd einschlagende Bomben und verhungernde Kinder zu sehen sind, unterlegt mit Hollywood-erprobten Soundeffekten, sodass mir unweigerlich die Tränen über die Backen rollen.
Um uns Touristen aber nicht völlig zerstört in die Tunnel hinabzulassen, nimmt Präsentation eine Wendung: an der Wiedervereinigung wird gearbeitet und bis dahin ist die DMZ, der vier Kilometer breite Streifen um die Grenze, das angeblich am stärksten verminte Gebiet der Welt, ein Naturparadies für die "passing birds of eternal freedom".
Es geht zum Tunnel, anhand eines Diagramms erklärt uns Fräulein Reiseführerin, wie tief unter der Erde wir jetzt zwischen den Grenzen herumlaufen. Ich frage sie, ob über uns das verminte Gebiet ist. Sie schaut mich groß an und versteht das Wort Minen nicht. Landminen? Immer noch keine Reaktion. Das amerikanisch koreanische Ehepaar übersetzt das Wort. Reiseführerin schüttelt den Kopf. Davon weiß sie nichts.
Die Kameras müssen in Spinden eingeschlossen werden und jeder kriegt einen gelben Helm. Eine Rampe führt vierhundert Meter unter die Erde. Ich mache nach wie vor Fotos, und da der lautlos Button meines Telefons kaputt ist, macht es auch manchmal klick. Wieder jedem egal.
Natalie Brunner
Die für die Besichtigungen gebaute Rampe mündet in den wirklichen Tunnel, der angeblich zwei Meter hoch und zwei Meter breit ist. Ich, stolze 174 Zentimeter, kann nicht aufrecht stehen. Es ist dunkel, Wasser tropft und nach 200 Metenr merke ich, dass ich nicht mehr atmen kann. Ich spüre, wie sich eine Panikattacke heranschleicht. Atmen, atmen, ganz ruhig atmen. Das hier ist eine Touristenattraktion, die wissen was sie tun, sage ich mir immer wieder und weiß, das wird mein letzter Ausflug unter die Erde.
Der Tunnel ist durch drei Betonwände gegen Nordkorea versiegelt. Um den Stacheldraht bei der ersten Betonwand sind rote Lichterketten, Kaufhausweihnachtsdekoration gewickelt. Der Anblick ist so absurd, dass meine Panik etwas abschwillt. Dennoch war ich so schnell wie wohl kaum wer zuvor aus dem Tunnel draußen. Ich habe Kopfweh und mir ist schwindlig. Ich bin durstig und werde vollkommen high, als ich im Sonnenlicht wieder richtigen Sauerstoff atmen kann. Die Pensionisten meiner Gruppe haben den Tunnelausflug besser verkraftet als ich.
Die falsche Stadt
Der nächste Stop ist der nördlichste Observationspunkt. Der Bus kriecht die Straße zur Observationsplatform hinauf. Es stinkt nach verbranntem Gummi. Links und rechts der Straße Stacheldraht, garniert mit allen möglichen Warnschildern.
Auf der Observationsplattform sind Teleskope montiert, mit denen man nach Kijŏng-dong sehen kann. Eine nordkoreanische Siedlung in der demilitarisierten Zone. In Nordkorea ist Kijŏng-dong als Friedensdorf bekannt, im Rest der Welt als unbewohntes Propaganda-Dorf, das den Wohlstand und Fortschritt von Nordkorea zeigen soll. In den fünfziger Jahren errichtet, verfügten damals schon alle Gebäude über Stromanschlüsse, ein Standard der zu dieser Zeit in Nord- und Südkorea unüblich war, teilt mir Wikipedia mit.
Mit modernen Teleskopen kann man angeblich erkennen, dass die Hochhäuser leere Betonhüllen sind und es wurde auch beobachtet, dass jeden Tag zur selben Zeit in ein paar Häuschen die Lichter ein- und ausgehen. Durchs Teleskop betrachtet schaut das Ganze für mein ungeschultes Auge aus wie ein Vorort von Bratislava. Außerdem zu erblicken: Der dritthöchste Fahnenmast der Welt und eine bronze Statue von Kim Jong-il.
Geisterbahnhof
Dorasan Station ist ein Bahnhof im Nichts des Grenzlandes, der Nord- und Südkorea theoretisch verbinden würde. Es gibt aber keine Züge, die die Grenze passieren. Der Bahnhof ist ein menschenleerer Geisterbahnhof. Zweimal pro Tag fährt ein Zug nach Seoul, aber auch der ist leer. Vor dem Bahnhof muss ich kurz Schlucken. Eine riesige Tafel mit den Namen von hunderten Menschen, die den Bau des Bahnhofs angeblich mit ihren Privatvermögen ermöglicht haben, um ihre Verwandten hier wieder in die Arme schließen zu können, erklärt Frau Guide.
Natalie Brunner
Da mir fast schon wieder die Tränen in die Augen schießen und ich den Hollywood-Effekt bei mir bemerke, frage ich Fräulein Guide, ob der Bahnhof tatsächlich ganz privat finanziert ist. Der Staat hat auch "geholfen", aber wie genau die Kostenteilung funktioniert hat, weiß sie nicht. Im Netz findet man viel über die symbolische und historische Bedeutung dieses Bahnhofs, aber nichts über eine private Finanzierung.
Ich quäle mein Fräulein Guide weiter mit Fragen und plötzlich erzählt sie mir vor dem Bahnhof etwas, das nicht nach Skript klingt: Sie hat nicht den geringsten Bezug zu Nordkorea und glaubt auch nicht an eine Wiedervereinigung. Die einzigen Menschen, die sich das wünschen, sind die Alten, die sich noch an ihre Verwandten erinnern können. Sie selbst glaubt, das die kulturellen Unterschiede zu groß sind, um das Land jemals wiedervereinigen zu können.
Auf der einen Seite Menschen, die mit dem gleichen Konsumschrott, wie auch ich aufgewachsen sind: Gameboys, Star Wars, Michael Jackson, Mac Do. Und auf der anderen Seite, ja, das weiß keiner so genau...
Wir fahren aus der DMZ hinaus. Niemand hat meinen Pass gesehen, ich habe wenig Militär, wenig Waffen gesehen und bis auf meine Panikattacke im Tunnel hatte ich nicht das Gefühl, dass irgendetwas, das mir hier gezeigt wurde, mich die politischen und historischen Realitäten besser erfassen lässt. Ein Themenpark, eine mir völlig unverständliche Art mit Geschichte umzugehen.
Im Bus auf dem Weg zurück nach Seoul schlafe ich ein. Beim Aufwachen beantwortet sich meine Frage warum die Tour ins Sperrgebiet so billig ist. Nicht etwa aus dem Militärbudget wird gesponsert, sondern man hat auf dem Rückweg unerwarteterweise die glückliche Gelegenheit, eine Fabrik zu besuchen, in der man Amethyste günstig erwerben kann. Da mir von Natur aus die Fähigkeit gegeben ist, auch in unbekannten Terrains Taxis zu nehmen, lasse ich dieses letzte Highlight aus.