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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 10. 2011 - 21:45

Journal 2011. Eintrag 195.

Die politische Satire verliert ein Alleinstellungsmerkmal.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Folge-Betrachtung zum gestrigen Journal.

Von den vielen Themen, die im gestern hier verlinkten Gespräch auf alternativlos.org angesprochen worden, hat eines intensiver nachgearbeitet in mir. Frank Schirrmacher redete sich, nachvollziehbarerweise, in Rage, als er von der aktuellen Hatz sprach, einem nur scheinbar objektiven, über den Hebel der Ökonomie daherkommenden Nationalismus, der in einem wahrlich widerwärtigen Biologismus endet, in dem sich schon Sarrazin auf das Grauslichste verwickelt hatte: was derzeit an purem xenophoben Dreck über "die Griechen" verbrochen wird, setzt tatsächlich neue Maßstäbe.

Als ob die von einem gierigen Finanzsystem, politischer Korruption und den steuerschonend alles ins Ausland transferierenden nationalen 1%-Schicht verursachte griechische Krise vom sprichwörtlichen Obsthändler oder der Leistung der einzelnen Griechen zu verantworten sei.

Tatsächlich ist die Häme, mit der seit Beginn der Euro-Krise über die "Süd-Völker" verhandelt wird, deshalb so auffällig, weil sie nicht von Rechtsrechten oder den üblich verdächtigen Populisten kommt, sondern direkt im Mainstream sitzt; im Mainstream der Medien und im Zentrum der Gesellschaft.

Das billige, scheinobjektive Einprügeln auf "den Griechen"...

Dass dieser unverfrorene Nativismus ausgerechnet in Deutschland so erstarkt ist, fällt natürlich auf; vor allem im englischsprachigen Ausland. Es ist, als hätte die EU-Krise da eine Kiste aufgemacht, in der bislang unterdrückte oder nur verschämt erzählte Klischees und Vorurteile über "den faulen Südländer" hervorgeholt werden, als wären es lange verschollene Familienfotos, die ganz dringend ausgestellt gehören.

Nun könnte man anmerken, dass der alltägliche Rassismus nie weg und immer (zumindest heimlich) mehrheitsfähig war. In Deutschland wie in Österreich (wie auch durchaus anderswo).
Man könnte auch anmerken, dass die aktuelle Häme auch in der Berichterstattung nur die Konsequenz der immer deutlicher in eine zunehmend unverschämte Richtung gehende mediale Entwicklung ist.
Stimmt auffallend.

Allerdings ist diesmal ein neuer Dominostein umgefallen. Einer, der mehr wiegt als der Mainstream-Journalismus.

Denn dort holen sich zunehmend weniger Menschen ihre Anreize zur Meinungsbildung. Viel wichtiger, viel bedeutender sind mittlerweile die politischen Satire-Shows, die als einzige Wahrheiten ungeschönt ansprechen und sich auch als einzige trauen Zusammenhänge aufzuzeigen und komplizierte Verknüpfungen darzustellen - also einige der zentralen Aufgaben des Journalismus übernommen haben.

... überrollt das bisherige Bollwerk gegen Vereinfachung,

Und genau diese Satire-Programme sind es, die den aktuell grassierenden xenophoben Hype übernommen haben. Recht kritiklos.

Das betrifft nicht nur schein-apolitische Rechts-Kabarettisten wie Michael Mittermeier, dessen nativistisches Grund-Konzept immer schon Nährboden für bieder-billig-spießige Vereinfachungen und nationalistische "Witze" waren; diesmal geht es weiter, bis tief hinein in die Harald-Schmidt-Show oder gar ins liberale Herz, die zurecht preisekrönte Heute-Show.

Wo bis vor kurzem jedem platten Griechen-Witz zumindest ein geraderückendes Aperçu folgte, das die wahren Hintergründe jenseits des völkischen Schmähs beleuchtete, gähnt jetzt nur noch intellektuelle Leere.
Und das ist deutlich fataler als die einseitige Mainstream-Berichterstattung, das primitive Boulevard-Geschwätz und das Herr-Karl-Geraune. Denn die Satire/Kabarett/Late-Nite-Plattformen waren zuletzt die einzigen Bollwerke gegen die verschlagzeilende Lobby der Simplifizierer.
Irgendwie haben sie das aufgegeben: die wochenaktuellen Gag-Schreiber, die lange Zeit die einzigen Journalisten waren, die genug Zeit für ein Stöbern in Hintergründen hatten und deshalb klarsichtige Satire fabrizieren können, haben sich auf das Level der an der Tagesaktualität Scheiternden herunterbegeben.

... und warum Österreich da vergleichsweise besser dasteht

Das gilt nur in geringerem Masse auch für die österreichischen Pendants. Nicht weil man hierzulande nicht auch anfällig für Plattheiten (hier ein Musterbeispiel, das Nachplappern des Quatsch von der Internetsucht) wäre, sondern weil reale Xenophobie und seine politische Instrumentalisierung in Österreich schon so stark sind.

Natürlich hat es auch damit zu tun, dass Österreichs Beitrag zur griechischen Rettung nicht so groß ist - aber seit wann wäre Vernunft ein wichtiger Berater, wenn es um Vorurteils-Pflege geht? Blödes Daherreden über "minderleistende faule Völker", das geht dem Österreicher auch ganz ohne jeglichen Beleg sehr leicht von der Zunge

Letztlich verhindern aber Kickl, Vilimsky und die anderen mit ihren überbordenden Attacken, dass sich der hiesige Kabarettismus allzu stark an der in Deutschland aktuell hochmodischen Südvölker-Verarsche-Hatz beteiligt. Die Sorgfalt dieser letzten kleinen Widerstandsnester der Hintergrund-Ausleuchtung ist eben wegen der vielen Propaganda-Attacken mit rein biologistisch-nationalistischen Hintergründen deutlich höher als in Deutschland, wo man derlei offenbar mit deutlich weniger kritischer Distanz begegnet.