Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Berliner Autozündler gefasst"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

29. 10. 2011 - 11:44

Berliner Autozündler gefasst

Nun ist er also gelöst, der spektakulärste Kriminalfall des Jahres: Es war Hartz-4-Frust und kein politisches Motiv.

Ein 27-jähriger Berliner gestand letzte Woche 67 Autos in Brand gesteckt zu haben, insgesamt sind dabei, wohl durch Kollateralschäden, über 100 Autos in Flammen aufgegangen.

Stencil "Vorsicht Krisengebiet" mit brennendem Auto

Rösinger

Daran erkennt man den politisch motivierten Autobrand.

Die Geschichte der Berlin-Verbrechen ist lang und legendär, wenn aber in Berlin jemand Autos demolierte, fand er meistens nur als Kurzmeldung im Polizeibericht Erwähnung, falls nicht gerade etwas Wichtigeres passiert war. Ein arbeitsloser Lackierer hat es nun mit seinen Taten und seinen Opfern - den Berliner Autos - wochenlang auf die Titelblätter der Zeitungen geschafft, er war Thema in Talkshows, sogar in der Tagesschau, das Ausland berichtete und der deutsche Bundestag debattierte. Was war nicht alles gemutmaßt worden: Linksextremismus, Terrorismus, schließlich wurden, weil es zeitlich so gut passte, gar Vergleiche mit den Riots in England bemüht.

CDU-Wahlplakat mit verbranntem Auto: "Muss Berlin das verstehen? Damit sich was ändert. CDU"

CDU

Wer die Zündelszene der letzten Jahre verfolgt hatte, dem war es klar gewesen, dass die brennenden Autos in Lichtenberg und anderen Außenbezirken nichts mit Gentrification- Protest und den Abfackelungen in der Nähe von Luxusappartements zu tun hatte. Aber es war Wahlkampf in Berlin und die CDU setzte auf das Schreckgespenst Linksextremismus. Jetzt müsse die militante linke Szene endlich unter Druck gesetzt werden, forderte der CDU-Kandidat , und zwar mit einer Sonderkommission der Polizei, und mit runden Tischen gegen Linksextremismus. Schnell klebte die CDU auch neue Plakate, mit brennenden Autos darauf, versehen mit dem abgewandelten SPD-Slogan: Muss Berlin das verstehen? Auch die FDP schimpfte auf das linke Sympathisantenumfeld, und sogar die Grünen forderten im Wahlkampf mehr Polizei auf der Straße.

Schild "Fahrräder brennen nicht"

Rösinger

Die Jagd nach den Autozündlern wurde zum Schwerpunkt der Polizeiarbeit erklärt, man ließ den Staatsschutz weiter ermitteln, als die Polizei längst Zweifel an politisch motivierten Tätern hatte, forderte teure Unterstützung und Hubschrauber der Bundespolizei an und schickte jene Beamten, die wegen Gewalttaten in der U-Bahn dort verstärkt eingesetzt wurden, wieder nach oben zur Straßenpatrouille. Gefasst wurde der Zündler schließlich durch die Auswertung des Überwachungsvideos der Berliner Verkehrsbetriebe. Der Hartz-4-Empfänger konnte sich kein Auto leisten und hat deshalb getreu nach dem Motto des öffentlichen Nahverkehrs - "Mit Bus und Bahn ans Ziel" die BVG für die Fahrt zum Tatort genutzt.

FDP-Plakat: "Erst Autos, und dann...? Arbeit. Bildung. Mehr Polizei. FDP"

Rösinger

Zwar hatte er bevorzugt hochpreisige Wagen wie Mercedes, BMW und Audis in Brand gesetzt, er gehört aber definitiv nicht der linken Szene an und beging seine Taten eher aus persönlicher Frustration als aus politischen Motiven. Nachdem er im September einen Aushilfsjob gefunden hatte, beendete er seine Anschlagsserie.

Nun müssen zwar die anderen Brandstiftungen noch aufgeklärt werden, schließlich brannten dieses Jahr schon 400 Autos, aber die Luft ist raus aus dem Thema. Man rechnet damit, dass die anderen Feuer von "Trittbrettfahrern" oder Einzeltätern gelegt wurden. Eine Polizeisprecherin erklärte dem Regionalfernsehen, in einer Millionenstadt wie Berlin würden einfach immer mal wieder aus den verschiedensten Gründen Autos angezündet werden: Versicherungsbetrug, Rache nach Beziehungs-Aus, enttäuschte Liebe, Neid auf Geschäftspartner, familiäre Auseinandersetzungen, Mutproben, Vandalismus im Vollrausch.

Der von der CDU angefeuerten Debatte über linke Gewalt und Sicherheit in der Stadt fehlt nun der Zündstoff. Aber man wird schon wieder was finden. Als neulich an Bahnstrecken ein gutes Dutzend nicht gezündeter Brandsätze und im Internet wirre Bekennerschreiben gefunden wurden, diskutierte der Bundestag schon über den neuen Terrorismus.