Erstellt am: 28. 10. 2011 - 14:48 Uhr
Plattform gegen Überwachung
SPÖ und ÖVP bereiten ein neues Anti-Terrorpaket vor. In der Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sollen die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden deutlich ausgeweitet werden. So sieht der Entwurf vor, dass in Zukunft Einzelpersonen aufgrund eines nicht näher definierten Verdachts vom Verfassungsschutz überwacht werden können. Peilsender, Handystandort-Abfrage, Computerviren zur Online-Überwachung und ähnliches können dann ohne richterliche Anordnung eingesetzt werden. Neue Strafbestände und neue Gründe für Überwachung sollen eingeführt werden.
ueberwacht.at
Der heute vorgestellten Plattform gegen den Überwachungsstaat gehören NGOs wie Amensty International, GLOBAL 2000 oder Greenpeace an. "Aus unserer Sicht ist das, was hier verhandelt wird kein Anti-Terror-Paket", sagt Niklas Schinerl von Greenpeace, "sondern ein Anti-Grundrechts-Paket."
Zu den neuen Strafbeständen im Gesetzesentwurf gehört auch die Besetzung von Grundstücken, Räumen und Häusern. Bisher können friedliche Besetzungen nur mittels Räumungsverordnung gemäß §37 SPG polizeilich aufgelöst werden. Das neue Gesetz soll die Polizei ermächtigen, Besetzungen durch Wegweisung auch ohne Räumungsverordnung aufzulösen. Pro Person kann außerdem eine Vewaltungsstrafe von 500 Euro verhängt werden.
Niklas Schinerl: "Damit können in Zukunft soziale Bewegungen wie #unibrennt, aber auch Streiks der Gewerkschaften auf den Firmengeländen, verhindert werden. Mit diesem Gesetz wäre die Besetzung der Hainburger Au zum Beispiel nicht möglich gewesen. Und ich würde gerne wissen, wo der Kulturstandort Wien heute wäre, wenn die Arena nicht besetzt worden wäre – heute einer der progressivsten Veranstaltungsorte Wiens. Dasselbe gilt für's WUK. Dasselbe gilt in Linz für die KAPU, oder in Salzburg für die ARGE Kultur. Das alles sind Kulturräume, die ursprünglich besetzt worden sind."
Im neuen Sicherheitspolizeigesetz ist vorgesehen: Wer sich "Kenntnisse verschafft, die zu einer Gefährdung von Menschen" führen können, darf ohne richterliche Anordnung überwacht werden. Die tatsächliche Planung einer Straftat ist nicht notwendig, allein die Recherche kann dazu führen, dass Peilsender, Abhörung oder Online-Überwachung zum Einsatz kommen. Betroffen wären auch Journalisten und NGOs: "Wenn Greenpeace als Aufdecker unterwegs ist und versucht, auf Industrieanlagen zu recherchieren, um etwa aufzudecken, dass Abwässer mit illegalen Substanzen ins Grundwasser eingeleitet werden: Dann steht plötzlich Greenpeace unter Verdacht, und geschützt werden diejenigen, die die Umwelt verschmutzen."
Der Gesetzesentwurf sieht auch die Strafbarkeit der Verwendung behördlicher Logos vor. Der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sagt, dass davon sogar Kabarettisten betroffen wären, die ein Polizei-Logo verwenden: "Im Gesetzesentwurf wird als Verwaltungsübertretung erklärt: Die Verwendung eines Logos in einer Weise, die geeignet ist 'das Ansehen der Sicherheitsexekutive zu beeinträchtigen'. Da habe ich massive verfassungsrechtliche Bedenken. Das sind totalitäre Methoden. Das hat mit einem demokratischen Rechtsstaat nichts mehr zu tun." Heinz Patzelt von Amensty International ergänzt, dass er bei Inkrafttreten dieses Gesetzesentwurfes wohl seine Sammlung von "Kottan Ermittelt"-Folgen vernichten müsste.
Neu im Entwurf ist auch eine erweiterte Gefährdungsanalyse samt Datenbank bei Delikten des Staatsschutzes. Eine Kontrolle durch einen Richter oder Rechtsschutzbeauftragten ist nicht mehr vorgesehen. Die neue "Analysedatenbank" soll in einem wesentlich früheren Stadium bei der Einstufung von Personen als "gefährlich" ansetzen als bisher. Über wen Daten gesammelt und weiterverarbeitet werden, liegt im Ermessen einzelner Polizeibeamter.
Heinz Patzelt von Amnesty International beschreibt ein Beispiel aus seinem Leben: Er helfe manchmal auf einem Bauernhof mit. Weil dort mehrere alte Baumstümpfe zu entfernen seien, überlege er eine Sprengausbildung zu absolvieren. Außerdem interessiere er sich für alte Architektur und sammle Baupläne alter Gebäude. Und sei er Chef einer Menschenrechtsorganisation. Drei Umstände, die in ihrer Kombination laut neuem Anti-Terror-Paket ausreichend Verdacht für Überwachung begründen: "Aufgrund dieses Gesetzesvorhabens wäre es problemlos möglich, ohne richterliche Anordnung mein Auto mit einem Peilsender auszustatten, mein Handy abzuhören, die Handys meiner Begleiterinnen und Begleiter abzuhören, mein Büro zu verwanzen und Menschen, mit denen ich vertraulich spreche abzuhören."
Die Exekutive werde zum Inlandsgeheimdienst umgebaut, der die Menschen ohne konkreten Verdacht überwachen kann und der gleichzeitig Polizeibefugnisse hat. Die "Plattform gegen den Überwachungsstaat" sieht Grundrechte und Demokratie extrem gefährdet und will in den nächsten Monaten Aufklärungsarbeit und Proteste durchführen.