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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

1. 11. 2011 - 10:28

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (32)

Oktober: Shopping

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 23. Oktober

■ Meine Mutter erzählt mir begeistert, sie hätte „mich im Internet gefunden“.

■ Spontan-Bedauerung: Ich besitze leider keinen einzigen Trichter :-(
Bedauerungs-Anlass: Ich habe zu viel Suppe gekocht und würde sie morgen Früh gerne in die leere, ausgesprochen dünne und bereits gründlich ausgewaschene Sirup-Flasche einfüllen, um mich an der nahrhaften Kost unterwegs zu delektieren. Doch wenn ich versuche, die Suppe aus dem großen Topf in die winzige Flaschenöffnung einzufüllen, geht alles daneben :-(
Soll ich sie mühevoll mit einem Teelöffel umfüllen??!! Aber nicht doch!

Falls jemand zwei Trichter besitzt oder einen alten, minderwertigen, den er demnächst durch einen modernen, progressiven zu ersetzen plant, würde es einem Schuss Substral in der kargen Erde meiner dürren Seelenlandschaft gleichkommen, wenn er ihn mir schenken würde. Seriöse Zuschriften unter dem Chiffre "Trichter Alexander Hold" bitte per Mail!

Codependent Lesbian Space Alien Seeks Same bei der Viennale: Angenehm-seltsamer (weil die Seltsamkeit nie erklärender oder betonender) Film über lesbische Aliens, die durch zu starke Gefühle Löcher in der Atmosphäre ihres Planeten erzeugen und deshalb auf die Erde geschickt werden, wo ihr Herz gebrochen werden soll, was einer Probandin auch just mit einer Angestellten eines Schreibwarengeschäfts gelingt. Unfassbar charmante Außerirdische und die beste Tanzszene aller Zeiten.

Montag, 24. Oktober

■ Witzbaukasten: Bordell – Gleitzeit – Freier-Dienstvertrag

■ Verständlich: Menschen mit Perücken, die bemüht sind, ihre falsche Haarpracht wie echte wirken zu lassen

Unverständlich: Menschen mit echten Haaren, die allem Anschein nach bemüht sind, ihre Frisur wie eine Perücke wirken zu lassen.

■ Müllsäcke sind Wegwerf-Produkte

Dienstag, 25. Oktober

Weltnudeltag

marc carnal

Das Ergebnis einer Studie besagt, dass Facebook-Profilbilder Wesentliches über die Zufriedenheit des Profilbesitzers aussagen. In meinem Fall ist der Suizid also nur eine Frage der Zeit.

■ Anscheinend neben Nahrung, Schlaf und Liebe ein Grundbedürfnis des Menschengeschlechts: Brillen anderer zu probieren und zu sagen: „Hrmpf, damit sehe ich ja gar nichts!“

Wesentlich seltener sieht man Leute, die Anwesenden ins Auge fahren und fremde Kontaktlinsen probieren wollen. Ebenso selten wie Zahnspangen- oder Gebissproben.

■ Zur Sicherheit ins Testament geschrieben: „Sollte ich wiederauferstehen, wünsche ich nicht, angebetet zu werden und werde jegliche Anfragen bzgl. Heilungen oder Wunder ablehnen."

marc carnal

Being Markovic haben genug von der Selbstzerstörung namens Rock’n’Roll. Der jahrelange Verschleiß von Groupies, Koks und Speiseeis hat den fünf gerühmten Musikern traurige Fratzen geschnitzt, deren Furchen von Überschwang, Exzess und Steuerschulden zeugen. Das Musikbusiness zerstört auch die Härtesten!

Nun haben die Markovic-Buam einen Schlussstrich unter dieses tragische Kapitel ihres irdischen Gastspiels gezogen, indem sie eine zweiwöchige Gruppentherapie bei Dr. Artur Worseg absolviert haben. Gereinigt, entschlackt und bekehrt sind sie nun bereit, ein neues Leben zu beginnen. Um dies auch ihren zahlreichen Fans (Übertreibung) zu demonstrieren, werden am kommenden Freitag, den 4. November, die dröhnenden Höllengeräte namens Verstärker verräumt, denn Being Markovic spielen unplugged im Café Schmid Hansl.
Ein besonderes Schmankerl, liebe Motorsportfreunde!
Unterstützt werden sie dabei von der fulminanten Gypsy-Jazz-Combo Gewürztraminer!

Der Eintritt ist wie immer frei!
Und: Instrumente mitnehmen - Im Anschluss findet wie gewohnt eine für alles und jeden offene Session statt!

Mittwoch, 26. Oktober

■ Sexuelle Fantasie: Sasha Walleczek sitzt gefesselt vor mir uns muss dabei zusehen, wie ich zwei riesige Cordon Bleus hinunterwürge. Danach stehe ich auf und schlafe nicht mit ihr, sondern betrinke mich im Wirtshaus, während Frau Walleczek in der fettgeschwängerten Luft hungrig sitzen bleibt.

■ Es gäbe so viele lohnende Filme und Serien, die ich mir seit Monaten vornehme, aber nein, ich schaue gerad ein zweites Mal Lost! Verliert aber lustigerweise trotz des enttäuschenden Finales kaum an Reiz, vor allem, wenn man mit jemandem gemeinsam schaut, der die Serie noch nicht kennt.

■ Laut aktueller Hochrechnung habe ich Zeit meines Lebens über 20.000 Euro in Zigaretten investiert. Damit hätte ich mir besser mehr als 6.000 Biere gegönnt.

Donnerstag, 27. Oktober

logismarket.at

Lackdose

■ Seltsame TV-Appläuse:

  • Der Alters-Applaus: Das Publikum johlt, weil ein Talkgast oder Prominenter sein Alter nennt und dementsprechend nicht allzu katastrophal aussieht.
  • Der Meinungs-Applaus: Talkgast oder Prominenter tut eine „Meinung“ kund, die von der Mehrheit des Auditoriums geteilt wird („Ich finde, man sollte junge Mütter unterstützen“ oder so).
  • Der Ehe-Applaus: Talkgast oder Prominenter gibt an, seit vierzig Jahren glücklich verheiratet zu sein.
  • Der Schlankheits-Applaus: Talkgast oder Prominenter erzählt, abgenommen zu haben.

■ Im Supermarkt steht ein Herr, schätzungsweise Ende dreißig, der wie eine Mischung aus Monk und Semino Rossi aussieht, im Trenchcoat beim Gemüse und starrt in die Leere. „Wann reißt er endlich den Mantel auf?“, ist die einzige im Raum stehende Frage.
Doch er ist nicht alleine da – Eine grauhaarige Frau gesellt sich zu ihm, sie sprechen, ich höre nur ihre Antwort: „Am 46. November.“

marc carnal

Lackdose-frei

Freitag, 28. Oktober

■ Zugegeben, ich würde für einen mittelprächtigen Witz meine Großmutter zwangsversteigern, aber in diesem Fall spreche ich wirklich nicht mit gespaltener Zunge: Mein Akkordeon ist perfekt gestimmt, hat allerdings einen leichten Es-Fehler.

■ Gedächtnis-Problem: Ich kann mir bei ausnahmslos niemandem merken, ob er den Kaffee bevorzugt mit Milch, Zucker oder beidem genießt. Es gäbe in dieser Hinsicht genau vier Kombinationsmöglichkeiten (außer, jemand möchte Milch und Zucker ohne Kaffee) und ich empfange höchstens zehn Menschen regelmäßig zum Nachmittags-Koffein-Chillout, aber es will einfach nicht in mein Hirn.

■ Vorschlag für ein reizendes DVD-Extra: "Audiokommentar des Darstellers, der die Hauptrolle im letzten Moment doch nicht bekommen hat"

Samstag, 29. Oktober

■ Herr und Frau Josef laden zu einer Geburtstags-Geselligkeit. Es wird hauptsächlich Fleisch kredenzt, was ich vor dem November-Verzicht ausführlich in Anspruch nehme. Auf Musik wird zur Gänze verzichtet, es gibt auch keinen Computer, den potenzielle youtube-DJs nutzen könnten. Stört aber kaum – Partys funktionieren vor allem, wenn genügend betrunkene Menschen anwesend sind und nicht, weil lauter Boogie Woogie gespielt wird.

■ Plane mit Kollegen Wurm ein „Hurrah, heute gehen wir zum Fotografen“-Mimik-Tutorial für Frauen. Wichtige Gesichtsausdrücke und Gesten: Nachdenklich (Eine Hand unters Kinn) / poetisch (an der Kamera vorbei ins Nichts schauen) / verschmitzt / Engelchen oder Bengelchen / seriös (Aktenmappe unter die Achsel) / sinnlich (auf die Lippen beißen) / frech usw.
Projekt Nummer 3425, das höchstwahrscheinlich niemals zu einer Umsetzung gelangen wird.