Erstellt am: 27. 10. 2011 - 18:14 Uhr
Flugdaten-Abkommen als "Schuss ins Knie"
Im europäischen Parlament wurde am Donnerstag das Abkommen zur Weitergabe von Flugpassagierdaten an Australien wie erwartet durchgewunken.
Die große Mehrheit von 463 gegen 96 Stimmen widerspiegelt nicht etwa eine überwältigende Zustimmung, sondern vielmehr Resignation, ja Hilflosigkeit. Allein die Grüne Fraktion hatte gegen die Verabschiedung gestimmt.
Die Europäer sind in einer sehr ungünstigen Verhandlungsposition, denn Europa braucht diese Abkommen, Australien und die USA benötigen sie überhaupt nicht.
Tische und heikle Themen
Ein Antrag der Grünen Fraktion im EU-Parlament, zu diesem Thema ein Rechtsgutachten des europäischen Gerichtshofs einzuholen, wurde kurzerhand abgeschmettert.
Ganz offensichtlich wollten die drei großen Fraktionen einen solchen Schritt auf keinen Fall riskieren und dieses heikle Thema so schnell wie möglich vom Tisch haben.
Das Abkommen mit Australien sieht eine Speicherdauer von fünfeinhalb Jahren für die Daten europäischer Flugpassagiere (Passenger Name Records, PNR) vor.
"Maskierte" Daten
Bereits im Juli hatte die EU-Kommission dem Rat der Innen- und Justizminister empfohlen, zentrale Datenschutz-Forderungen an die USA zurückzuziehen. Es gebe hier keinen Verhandlungsspielraum mit den Amerikanern, hieß es seitens der Kommission.
Nach drei Jahren im System werden würden die Daten "depersonalisiert" oder "maskiert", heißt es dazu offiziell. Namensfeld und/oder Kontaktdaten des Passagiers werden dann nicht mehr automatisch angezeigt, verbleiben aber im System. Damit sind sie jederzeit wiederherzustellen, die ganze Maßnahme ist also letztlich Spiegelfechterei.
Der Vielflieger und Reisejournalist Edward Hasbrouck, der weltweit als maßgebliche Autorität in Sachen Flugpassagierdaten gilt, ist vom Ausgang der Abstimmung wenig überrascht.
Rechtssicherheit gegen Passagiere
Hasbroucks zentrale These war immer schon, dass diese Abkommen nur von den Europäern selbst gebraucht würden, um allfällige Klagen europäischer Flugpassagiere gegen die Datenweitergabe durch die europäischen Airlines an Australien oder die USA zu verhindern.
Edward Hasbrouck, der auf Einladung des EU-Abgeordneten Martin Ehrenhauser (fraktionslos) vergangene Woche in Wien war, klagt das DHS in den USA - zum Teil erfolgreich - seit 2007 auf Herausgabe seiner PNR-Daten. Zum Vorschein kamen auch innereuropäische Flüge Hasbroucks, da die USA die Daten direkt aus den vier großen, internationalen Flugbuchungszentralen abziehen. Alle vier, auch das europäische Amadeus, betreiben Datencenter in den USA. MEP Ehrenhauser unterstützt die Initiative NoPNR!

Günter Hack, ORF.at
Mit der von der Kommission viel beschworenen "Rechtssicherheit" ist also nicht etwa Rechtssicherheit für die Passagiere gemeint, sondern der Schutz der europäischen Airlines gegen mögliche Klagen ihrer Passagiere. Rechtsgrundlage bieten die europäischen Datenschutzgesetze.
"Schuss ins Knie"
"Während gerade eine europäische Regelung im Umgang mit Passagierdaten diskutiert wird, setzt man mit diesem Abkommen ein Präjudiz, das den eigenen Handlungsspielraum einengt. Verträge auszuhandeln, ohne die eigene Position geklärt zu haben, das ist ein Schuss ins Knie", ärgert sich Eva Lichtenberger.
Die grüne Abgeordnete bereitet gerade die Stellungnahme des parlamentarischen Verkehrsausschusses zum geplanten europäischen Regelwerk für Flugpassagierdaten vor. Zusammen mit den Positionen weiterer Parlamentsausschüsse kommt dieses Thema bereits Mitte November ins Parlament.
400 US-Heimatschützer in Europa
Laut Hasbrouck sind Hunderte von Mitarbeitern des Department of Homeland Security (DHS) in Europa stationiert. "Zum einen gibt es die Aussage eines DHS-Sprechers vor dem US-Kongress, dass knapp 400 Mitarbeiter dieser Behörde in Europa stationiert sind" sagte Hasbrouck zu ORF.at. Auf welchen Flug- oder Seehäfen diese Agenten genau tätig seien, wisse man nicht, "Zahlen oder Details gibt es nur aus Deutschland."
Der deutsche Bundestagsabgeordnete Andre Hunko (Linke) hatte unter Berufung auf die Aussagen des "Deputy Assistant Secretary for International Affairs" Mark Koumans vor dem US-Kongress eine parlamentarische Anfrage in Deutschland gestellt.
Innenministerium dementiert
Laut Anfragebeantwortung der deutschen Bundesregierung sind 75 Mitarbeiter des US-Heimatschutzministeriums in Deutschland tätig, vor allem in den Bereichen Grenzschutz, Zoll und Transport. Frankfurt, Hamburg und Bremerhaven sind offenbar die Schwerpunkte, rechtliche Basis dafür ist das Flugdaten-Abkommen mit den USA von 2007.
Aufgedeckt hat die Aktivitäten der US-Heimatschützer in Deutschland eine sogenannte "Kleine Anfrage" des Bundestagsabgeordneten Andre Hunko an die deutsche Bundesregierung.
"Über die Anwesenheit von Mitarbeitern des Department of Homeland Security der USA ist im österreichischen Innenministerium nichts bekannt" sagte Karl-Heinz Grundböck auf Anfrage von ORF.at.
Die "Empfehlungen" des DHS
"In Österreich sind die österreichischen Behörden für Flughafensicherheit zuständig und sonst niemand", so der Sprecher des Innenministeriums weiter. Ausländische Dienste würden hierzulande daher grundsätzlich keinerlei exekutiven Aufgaben wahrnehmen können.
"Letzteres ist sicher nicht gelogen und ein echtes Dementi ist es nicht", sagt Hasbrouck dazu. Auch in Deutschland, wo die Aktivitäten der US-Heimatschützer offiziell bestätigt seien, würden von US-Seite nur "Empfehlungen" ausgesprochen. Airlines, die sich nicht an diese "Empfehlungen" hielten, würden allerdings Lande- bzw. sogar Überflugsverbote für die betreffende Maschine riskieren.
4.000 Flugverbote pro Jahr
Allein in den ersten vier Monaten 2011 wurden auf europäischen Flughäfen 1.300 solcher "Empfehlungen" ausgesprochen, auch diese Informationen sind offiziell, weil Teil des oben zitierten Berichts an den US-Kongress.
Hochgerechnet sind es 4.000 Reisende aus Europa pro Jahr, über die ein Flugverbot verhängt wird.
Die Kriterien, nach denen über Reisende eine "No Board"-Empfehlung ausgesprochen wird, sind nicht bekannt.
"Profiling"
Die Entscheidung für ein Reiseverbot ist jedenfalls Resultat eines "Profiling"-Prozesses, einer Art Rasterfahndung über die bisherigen Flugbewegungen jedes einzelnen Passagiers.
Dazu kommen um die 60 weitere Informationen über jeden einzelnen Reisenden, natürlich auch solche sensibler Natur wie ethnische Herkunft und Religion, aber auch Einträge etwa von Zollbehörden oder solche von Mitarbeitern der Airlines.
Weder Auskunft, noch Berufung
Diese Ergebnisse werden mit anderen US-Datenbanken abgeglichen, und aus dem gesamten Datenwust wird die Wahrscheinlichkeit errechnet, mit der die betreffende Person ein Sicherheitsrisiko darstellt.
Eine Berufungsmöglichkeit gegen die Flugverbotsmaßnahmen für europäische Passagiere existiert ebensowenig, wie ein Auskunftsrecht über die gespeicherten Daten.
Der EU-Ministerrat hatte schon im April beschlossen, die Erhebung von Flugpassagierdaten auf innereuropäische Flüge auszuweiten. Gravierende Einwände der eigenen Rechtsabteilung wurden dabei ignoriert.
Nächste Instanz ist nun das Parlament, das ab Mitte November darüber beraten wird, wie die Union generell mit diesen Datensätzen umgeht.
Rechtlich nicht bindend
Obendrein ist das Abkommen für die USA nicht rechtlich bindend, da es eben ein Abkommen und kein Vertragswerk ist. Auch diese, erst nur von Hasbrouck ventilierte These hat sich als stichhaltig erwiesen. Internationale, rechtliche bindende Verträge müssen mehrheitlich im US-Kongress verabschiedet werden.
Würden die Europäer also auf einer formellen Ratifizierung des Abkommens bestehen, dann ist laut einhelliger Meinung aller PNR-Experten damit zu rechnen, dass es dort abgelehnt und in toto verworfen wird.