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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

27. 10. 2011 - 16:33

Von Hebeln und Schutzschirmen

Ein weitreichendes Paket zur Eindämmung der Schuldenkrise wurde gestern auf EU-Ebene beschlossen. Dr. Stefan Ederer, Experte für europäische Wirtschafspolitik am WIFO, stellt den geplanten Maßnahmen gar kein schlechtes Zeugnis aus.

Stefan Ederer

Stefan Ederer / WIFO

Dr. Stefan Ederer ist Experte für Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik am Wirtschafts-forschungsinstitut (WIFO).

Robert Zikmund: Nun hat man also doch auf 50% der Forderungen an Griechenland verzichtet, die Banken angeblich freiwillig. Noch vor wenigen Monaten hat die Finanzministerin erklärt, Österreich wird jeden Cent mit Zinsen und Zinseszinsen zurückfordern. Schon damals haben viele Experten gesagt, so ein Haircut ist unvermeidbar. Kann man irgendwie einschätzen, wie viel Geld sich der österreichische Steuerzahler erspart hätte, wenn man das gleich so gemacht hätte?

Stefan Ederer: Ein genauer Betrag ist da natürlich nicht einschätzbar, allerdings ist schon richtig, dass, wenn wir die Griechenland-Krise schon vor einem Jahr gründlich gelöst hätten, es gar nicht zu der Situation gekommen wäre und wir uns tatsächlich einiges erspart hätten.

Was kann da jetzt noch auf das österreichische Budget zukommen? Es heißt ja, die Banken sollen sich das Kapital jetzt selbst am Kapitalmarkt besorgen. Aber wenn man da zum Beispiel an die Volksbanken AG denkt, die beim letzten Stresstest durchgerasselt ist, was muss man sich da für die nächsten Jahre für Sorgen machen?

Grundsätzlich sollen sich die Banken auf dem Kapitalmarkt finanzieren. In einer Situation wie dieser ist das natürlich sehr schwierig und es ist schon davon auszugehen, dass doch einige Banken vom Staat unterstützt werden müssen.

Die Banken sollen jetzt Dividenden und Boni reduzieren, man spricht da von "Zurückhaltung". Jetzt hat das mit dieser "freiwilligen Selbstkontrolle" schon nach der letzten Krise 2008 nicht so gut funktioniert, warum soll das diesmal klappen?

Diesmal gibt es für die Banken ein ganz klares Ziel, dass sie nämlich bis Juni 2012 eine Eigenkapitalquote von 9% erreichen sollen. Daher sind sie gezwungen, ihre Gewinne nicht auszuschütten, sondern in das Eigenkapital zu stecken. Ich gehe schon davon aus, dass die Banken ihre Gewinnausschüttungen und auch die Boni deutlich zurückfahren werden, um dieses Ziel zu erreichen. Andernfalls müssen sie nämlich damit rechnen, dass der Staat einspringt und damit Anteile an der Bank erwirkt und so Mitspracherechte in der Bank hat.

Sie könnten sich aber auch denken, die nächsten Monate und Jahre schütten wir noch fest aus, weil der Steuerzahler reißt uns dann sowieso raus. Besteht diese Gefahr nicht?

Grundsätzlich besteht die schon. Aber Banken sind nicht sehr erbaut darauf, dass der Staat einspringt und Anteile und Mitspracherechte erwirbt.

Eine Frage an den Fachmann: Sie haben gesagt, die Banken sollen ihr Kernkapital auf 9% aufstocken. Viele Bürgerinnen und Bürger und auch viele PolitikerInnen sind ja im Moment mit dieser ganzen Situation überfordert und verstehen nicht, was hier eigentlich vor sich geht. Wie kann man das denn einem Laien erklären, dass eine Bank auch in Zukunft das Vielfache von dem was sie an Kapital hat als Kredit vergeben kann? Im Moment aus einem Euro Kapital bis zu 50 Euro Kredit und dann halt in Zukunft ein bisschen weniger? Und ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Das ist eindeutig eine Verbesserung zur aktuellen Situation. Bisher war die Eigenquote ja maximal 5%, oder sogar noch weniger. So einen Hebel hat man immer im System. Solange das Vertrauen da ist und ein genügend großer Eigenkapitalpuffer, funktioniert das auch.

Haben Sie das Gefühl, dass die Bürger das verstehen? Dass hier sozusagen Geld erschaffen wird, obwohl ja - sie haben es gerade gesagt - weniger als 5% davon wirklich vorhanden sind? Was sagen Sie da als Experte, wenn Sie jemand fragt was das soll?

Das ist tatsächlich schwierig zu verstehen, aber es ist ganz einfach die Grundlage unseres Geldsystems. Und das hat bis vor wenigen Jahren ja auch ganz gut funktioniert. Natürlich ist es aber ein Problem, dass durch diese Hebelung, dass eben nur wenig tatsächlich Eigenkapital ist und der Rest Kredite, eine große Instabilität im System entstehen kann. Das hat man ja im Zuge der Finanzkrise bemerkt und bemerkt man jetzt wieder.

Von "Hebeln" war auch gestern in Brüssel die Rede. Und da wurde auch davon gesprochen, diesem Schutzschirm eine eigene Bank-Lizenz zu geben. Heißt das dann, die EU kann das auch wie eine Bank handhaben und aus einer gewissen Summe viel mehr Geld machen?

Diese Lösung mit einer eigenen Bank ist momentan ja vom Tisch. Wenn das so gemacht worden wäre, dann wäre das wie bei einer anderen Bank: Es ist ein gewisses Grundkapital vorhanden und wird gehebelt, indem man bei der Zentralbank Kredite aufnimmt und die dann weitergibt.

Und die jetzige Lösung? Für einen normalen Menschen, der nicht unbedingt Wirtschaft studiert hat: Wie sieht die aus?

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten die angedacht werden. Das eine ist, dass dieser Rettungsschirm nur 20% von neu ausgegebenen Anleihen versichert und so für die ersten 20%, sollten sie ausfallen, einspringt. Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein besonderes Vehikel gegründet wird, wo sich dann Privat-Investoren oder auch andere Länder, wie China zum Beispiel, beteiligen. So könnte dann das Volumen insgesamt vergrößert werden.

Wenn man sich diese occupy-Demonstrationen anschaut, da haben viele Bürger und Bürgerinnen anscheinend das Gefühl, dass diese ganze Hebel-Alchemie, oder wie immer man das verstehen soll, auch ein bisschen die Ursache für all das ist, worin wir gerade stecken. Glauben Sie, dass sich hier dieses Geldsystem, das Sie gerade beschrieben haben, radikal verändern muss? Oder kann das alles so weitergehen?

Ich würde jetzt noch nicht von der Notwenigkeit einer radikalen Veränderung sprechen. Aber Sie haben sicherlich insofern recht, als dieser Hebel sehr groß ist. Das führt zu Instabilitäten, die dann auch zur Finanzkrise damals geführt haben und die auch jetzt dazu führen, dass es diese Staatsschulden- und Bankenkrise gibt.

An Griechenland, das jetzt die Hälfte der Schulden erlassen bekommt, hat man ja auch gesehen, dass diese monothematischen Austerity-Programme nicht wirklich weitergeholfen haben. Das Land hat sich ein bisschen zu Tode gespart, die Konjunktur wurde erdrosselt. Was lernt die EU denn daraus für die nächsten Patienten, wie zum Beispiel Italien?

Das ist ein entscheidender Punkt. Was gestern noch nicht beschlossen wurde, aber von der EU angedacht wird, ist ein zusätzliches Wachstumsprogramm. Da soll versucht werden, Länder wie Griechenland, Spanien oder auch Portugal wieder auf Wachstumskurs zu bringen und dadurch die Schuldenlast zu reduzieren. Ohne Wachstum wird das nicht funktionieren.

Wenn Sie als Wirtschaftsforscher dem was die EU, also die hohe Politik, da gestern beschlossen hat, eine Note geben sollten: Wie würden Sie das bewerten und begründen?

Ich würde ihnen vielleicht ein 2- geben.

Doch so gut?

Ja, weil mich die EU-Politiker dann immer wieder überraschen und im letzten Moment dann doch wichtige und sinnvolle Maßnahmen ergreifen, die in die richtige Richtung gehen. Allerdings sind sie noch nicht ausreichend, um die Krise wirklich zu lösen. Das heißt von einem "Sehr gut" sind wir noch weit entfernt.

Abschließend: Momentan hat man ja den Eindruck, dass sich das sehr auseinander entwickelt und niemand mehr versteht, was hier eigentlich passiert. Was muss denn die österreichische Regierung, oder was müssen überhaupt alle Regierungen Europas tun, um die Bürger wieder ins Boot zu holen?

Ich denke dass es notwendig ist, die Krise jetzt einmal zu stabilisieren und zu lösen, damit diese Unsicherheit aufhört. Wenn man jedes Monat wieder einen neuen Gipfel hat und neue Maßnahmen diskutieren und beschließen muss, und die dann wieder nicht ausreichen, um die Situation zu stabilisieren, dann ist klar, dass die Unsicherheit in der Bevölkerung steigt. Und wenn dann noch laufend verschiedene Meinungen in der EU öffentlich diskutiert werden, weiß die Öffentlichkeit natürlich nicht mehr, wie sie damit umgehen soll und was jetzt richtige und sinnvolle Schritte sind. Aber in einer Situation wie dieser, wo die Finanzmärkte einfach so schnell unterwegs sind und eine Krise so schnell eskaliert wie jetzt in den letzten Monaten, ist es einmal notwendig, das zu stabilisieren und zu lösen. Und dann muss man eben versuchen, diese Strukturen und Institutionen zu schaffen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die EU wiederherzustellen.