Erstellt am: 27. 10. 2011 - 18:49 Uhr
In Supertechnicolor und 5D
- ilovem83.com
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Der Name des ersten Stücks auf dem Album ist das Einzige, was an dieser Platte eine wenig nach Untertreibung anmutet: "Intro" heißt es, säuselt jedoch nicht oder plätschert leise, sondern poltert, bläst sich auf fünfeinhalb Minuten auf und jubliert in 1000 Chören. Und weil das nicht genug ist, setzt dann noch die nicht gar zierliche Stimme von Frau Zola Jesus ein. Deren prinzipiell und auf dem Papier recht wunderbarer, gothic-haft gefärbter Synthie-Pop ist da und dort auch nicht immer vor den Fallstricken des alle Emotionen wollenden Castingshow-Geknödels gefeit.
M83
"Hurry Up, We're Dreaming" also, so darf man nach dieser ersten akustischen Einleitung vermuten, ist keine zimperliche Platte. Blickt man auf die Tracklist von Album Nummer 6 von M83, könnte man sich möglicherweise schon ebendavon kurz erschlagen fühlen. Anthony Gonzalez, der Mann hinter dem Projekt, hat ein opulentes Doppel-Album (in Worten: Doppel-Album) zusammenmusiziert, auf dem satte 22 Stücke Platz haben. Immerhin orientiert sich hier die Idee "Doppel-Album" am klassichen Vinyl-Format und somit einer Spieldauer (auch in der CD-Ausgabe) von etwas unter 80 Minuten. 160 Minuten bombastischen Gefühls-Schwulsts wären wohl auch für Herrn Gonzales zuviel gewesen.
"Diese Musik ist der imaginäre Soundtrack für einen noch nicht gedrehten Film" ist meistens eine Formulierung, die denktechnisch besonders tristen Stunden entspringt, und "episch" ein ziemlich abgenudeltes Wort. Anthony Gonzalez jedoch betont selbst wieder und wieder seine Film-Leidenschaft und wie er versucht, seine Musik als großangelegte Sound-Erzählung zu gestalten. Fünf Alben lang hat er mit M83 (die ersten beiden davon noch im Duo), zwischen kessem Synthie-Pop und Shoegazing-Gitarren pendelnd, zwischen Song und Soundscape vor- und zurücktänzelnd, schon auf die große Empfindsamkeits-Tube gedrückt, "Hurry Up, We're Dreaming" aber ist jetzt "Lawrence of Arabia", "Heaven's Gate", "Doctor Zhivago", "Avatar" und "Titanic" in einem.
One Dragones
m83
Anthony Gonzalez hat für die Platte - unterstützt von einem Chor, noch einem Chor und dem Shakespeare Bridge Children's Choir plus einem halben Orchester - einiges an relativ einfach heraushörbaren musikalischen Zeichen und Mustern zur besonders geschmacksintensiven M83-Creme geformt: Da gibt es zahlreiche Interludes bzw. 1-2-Minutenstücke, die sich am zärtlichen Ambient der schottischen Elektroniker Boards of Canada orientieren, und Gitarrenwände aus dem Nachlass von My Bloody Valentine.
Nach Bowie/Eno und auch nur Pop-Eno modellierte Songs und quasi als "klassisch" geltenden, überzuckerten 80er-Synth-Pop, wie man sich den immer mit Schulterpolstern und Frisuren so vorstellt. Ein Stück nennt sich "Klaus, I Love You" und ist einerseits den sphärischen Synthie-Arbeiten von Klaus Schulze gewidmet, andererseits Klaus Kinski, vor allem in seiner Werner-Herzog-Phase, zu der wiederum die deutschen Krautforscher Popol Vuh den Soundtrack beigesteuert haben.
Bei M83 ist das alles jedoch kein clever gemachtes Zitieren, sondern ein naiv-freundliches Freudehaben am eigenen Plattenschrank. M83 schöpft die Reize an der Oberfläche ab, alles hier ist Materialschlacht und Soundeffekt, eine epochale Klangwolke, geformt zu an den Eingeweiden rütteltenden Instant-Feeling-Songs.
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Ein, zwei Kürzungen hätten der Platte gut getan. Beispielsweise den unerträglich cute und putzig gemeinten Track "Raconte-Moi une Histoire", in dem Kinderstimmen eine Art Märchen von irgendeinem magischen Frosch erzählen, hat man schon nach einem Hördurchgang einmal zu oft gehört. Tatsächlich aber besticht "Hurry up, We're Dreaming" beinahe über die ganze Albumlänge durch ein eben nicht nur mächtiges, sondern auch ausgefuchstes Sound-Design, das in tausend Schichten Schall den ganzen herrlichen, dummen Glanz, der das Leben ist, zelebriert. Diese Platte nämlich, bei aller Melancholie und Wehmut, die in ihr wohnt, ist eine hoffnungsvolle.
Besonders schön dabei auch, dass M83 das Over-The-Top-Sein sehr gut Over-The-Top treibt, beispielsweise wenn im letzten Part der aktuellen Single "Midnight City" ein besonders weichenzeichen-erotisches Saxophon in den Song dringt und ihn so noch stäker Richtung pastellfarbenes 80er-Sakko treibt. Manchmal muss man die Lächerlichkeit riskieren.