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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 10. 2011 - 22:45

Fußball-Journal '11-119.

Im Bauch des Fußballs. Wieder einmal erzählt der Cup die wahre Geschichte.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einem Achtelfinalspiel des ÖFB-Fußball-Cups: Rapid Amateure gegen Hartberg.

Allgemeine Anmerkungen zur heurigen Katastrophe ÖFB-Cup gibt es hier bei 90minuten.at.

Auf den Zuschauer-Rängen ist es wie an der Isar: fünf Grad kälter als in der restlichen Stadt. Das Hanappi-Stadion macht da keine Ausnahme. Und 500 Zuschauer heizen da nichts auf, keine Atmosphäre und schon gar nicht sich selber, auch wenn sie auf ein Viertel der Südtribüne zusammengepfercht werden.

Es ist eben nur die zweite Mannschaft, es sind die SK Rapid Amateure, die sonst in der Regionalliga spielen und, entgegen früherer Versprechen des ÖFB weiterhin im Cup mitspielen dürfen; weil in Österreich die Grundregel "Ein Club, ein Bewerb" nichts gilt. Weshalb der ÖFB-Cup auch nicht aus den Löchern kommt, ganz im Gegensatz zum zweitclubfreien DFB-Cup, der ebenfalls heute und morgen sein Achtelfinale durchspielt, und das mit durchdringendem Erfolg.

Aber das war schon das Thema anlässlich der letzten Runde

Das heutige Match zeigte aber etwas anderes auf.
Da spielte eine viertklassige Mannschaft (eben die Rapid-Amateure) gegen eine drittklassige (den TSV Hartberg, einer der Abstiegskandidaten der 1. Liga, deren Spitze gemeinsam mit den schwächeren Teams der Bundesliga die 2. Klasse bilden, während die Top 5 der Liga eben die in Österreich erste Klasse darstellen).

Müssen unterklassige Spiele risikolose Strategien haben?

In Österreich bedeutet diese Unterklassigkeit fast automatisch, dass man sich einer rückschrittlichen Taktik und eines übervorsichtig-risikolosen Systems bedient. Es wird davon ausgegangen, dass die nicht erstklassigen Spieler nicht anders aufs Feld gejagt werden können, man glaubt daran, dass das, was die heimischen Coaches überfordert (ideenreiche Variierung, Experimente und Kniffe), auch das Vermögen der Spieler überschreitet.

In echten Fußball-Ländern probieren die dritt- oder viertklassigen Teams entweder die Besten zu kopieren oder sie gehen, strategisch gesehen, ganz eigene Risiko-Wege.
Hierzulande ist das kaum denkbar.

Die paar wenigen, die sowas unternehmen (was auch daran liegt, dass - bis hinunter in die Viertklassigkeit - allzugern die fantasielosen und biederen Coaches rangelassen werden), fallen immens auf.
Damir Canadi etwa, bis vor kurzem noch Coach einer Regionalliga-Mannschaft, wurde nicht zuletzt wegen seiner unkonventionellen Ansätze (die ich hier anlässlich eines Cupspiels im Sommer beschrieben habe) jüngst nach Lustenau geholt, um den dortigen FC zu retten.

Der Normalfall ist ein anderer. Und heißt dann eher Kurt Garger oder Zoran Barisic.

Destruktion als Ausfluss einer großen Apathie

Beide traten heute mit dem identisch-destruktiven System an: Viererabwehr, zwei Sechser davor (sogar mit ähnlicher Aufgabenverteilung), zwei offensive Flügel, eine hängende Spitze und ein echter Center.

Beide Coaches ließen ihren Abwehren keinerlei Freiraum: 90 Prozent der Zeit mussten (auf beiden Seiten) alle vier Verteidiger hinter dem Ballführenden agieren. Auch Neo-Hartberger Andreas Dober, ein offensiver Rechtsverteidiger mit großen Anlagen, wurde dergestalt verschenkt. Und auch die je zwei Sechser klebten an ihren defensiven Aufgaben fest.

Die durch mangelnde Klasse ohnehin schon schwerfällige Aufbau-Arbeit lief so minutenlang hintenherum; Kombinationen entstanden nur zufällig. Ein fluides Angriffsspiel konnte nicht entstehen, es wurde bereits im Ansatz erstickt.
Und zwar von einer Vorlage, die das womöglich gar nicht wollte, sich aber aus lauter Trau-mich-nicht jede Konstruktivität verhindert.

Da sich beide Mannschaften hinter einem praktisch identen strategischen Unvermögen verschanzten, war das Spiel dann fast durchgehend grauenvoll.
Und das nicht wegen den geringeren Levels - denn das ist egal: auch eine Begegnung in unteren Klassen kann aufregend und lustvoll ablaufen - sondern wegen der desolaten taktischen Apathie. Die der allgemeinen Apathie und Wurschtigkeit der hiesigen Coaches entsprechen.

Individueller Widerstand via Körpersprache

Das einzige Leben in der Hütteldorfer Kälte entsprang individuellem Widerstand. Kristijan Dobras etwa auf Seiten von Rapid. Der startete mit drei extrem tief geschlagenen Freistößen aus dem Halbfeld, die auch Steffen Hofmann nicht perfider schlagen könnte, um sich dann ein Spiel lang mit seiner Pass- und Treffsicherheit abzumühen. Seit einziger Partner in Crime Eldis Bajrami auf links, quasi der Ümit zum Veli.
Bei Hartberg wuselte Daniel Gremsl auf der rechten Seite vor Dober herum, dass es eine Freude war - allerdings als einziger Aktivposten seiner Mannschaft.

Klar, auch andere waren aufällig: der laute Tormann Dau, der Deutsche Behrendt und der junge Wydra in der Zentrale auf Seiten Rapids; bei Hartberg Ex-Sturm-Innenverteidiger Tauschmann, Kölbl und - nach seiner Einwechslung dann - Rexhe Bytyci, dessen Körpersprache nichts zu wünschen übrig ließ.

Es wäre also genügend Personal da, um etwas umzusetzen. In den deutschen Regionalligen geht das auch - hierzulande schon nicht einmal mehr in der 2. Liga.

Das Elend der Sinnlosigkeit der Amateur-Teams

Gut, im Fall von Hartberg, die vor Saisonbeginn fast ein Dutzend Spieler und auch die Trainer wechselten, ist Kontinuität ein Fremdwort.
Rapids zweites Team, das doch eigentlich die Profis systematisch verstärken sollte, lud vor der Saison noch mehr Spieler ab und holte einen ganzen Akademie-Jahrgang hoch - der dann wohl nächstes Jahr über ganz Österreich verteilt werden wird. Irgendwo. Mit Rapids erstem Team hat das also nichts zu tun - deshalb ist auch die Motivation bei den Grünen die Systeme in den Jugendteams anzupassen inexistent - deshalb tut sich dann Barisic auch nichts an. Wozu eine sinnlose Mannschaft ernsthaft einstellen? Warum Spieler ausbilden, an denen die Profis aus Prinzip kein Interesse haben?

Dass genau diese (und andere, sich in einer vergleichbaren Situation befindlichen) Amateurteams weiter im Cup hineinmogeln dürfen, wurde bereits besprochen. Immerhin haben zwei fast identische Kopfballtore die Rapid-Verantwortlichen der Plage, sich mit der nächsten Runde beschäftigen zu müssen, enthoben.

Und diese Einstellung, direkt aus dem Bauch, der Basis des Fußballs, ist symptomatischer als alle die Lippenbekenntnisse, die das Experiment, das Risiko und die Entwicklung als wichtig darstellen, wiewohl man das in der alltäglichen Praxis mit Füßen tritt.