Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Präsident gesucht"

Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

25. 10. 2011 - 14:28

Präsident gesucht

Letzten Sonntag gab es in Bulgarien die erste Runde der Präsidentschaftswahlen.

"Und was sollen wir nach diesem Studium mal werden?", fragte Sascho meine Kollegen von der Uni Sofia in dem verrauchten Café, wo wir uns immer nach den Vorlesungen auf ein Bier trafen. "Ich persönlich will Diktator sein!", sagte Botjo. Wir hatten gerade eine Vorlesung in Geopolitik gehabt, da wurde uns beigebracht, welches Land wir zuerst erobern sollen, um die Welt zu beherrschen. "Ich werde all meine Feinde hier im Innenhof der Universität erhängen!", schwärmte er weiter. "Aber ihr seid doch Freunde, ich lasse euch zum Minister ernennen." - "Und wie wirst du ein Diktator?", fragte Sascho skeptisch. "Ich lasse mich zuerst zum Präsidenten wählen und dann zeige ich es euch!", verriet uns Botjo seinen Plan. Ich und Sascho schauten uns den Möchtegerndiktator an. Wir kriegten ein mulmiges Gefühl, wegen des Glitzerns in seinen Augen.

Letzten Sonntag ging in Bulgarien die erste Runde der Präsidentschaft- und Kommunalwahlen über die Bühne. Der Staatspräsident hat in meinem Heimatland eine mehrheitlich repräsentative Funktion, ist aber bei der Ernennung von einem Drittel des Verfassungsgerichts und einem Vetorecht ein wichtiges Korrektiv der Regierungspartei im Parlament. In die Stichwahl um das Präsidentenamt schafften es die Kandidaten der Regierungspartei GERB, die man eigentlich nur durch ihren Anführer - den Premierminister Boiko Borissov kennt, und der Kandidat der Sozialisten, die ihren Ursprung aus den ehemaligen Kommunisten haben und seit 10 Jahren das Präsidentschaftsamt bekleiden. Die ehemalige EU-Kommissarin Meglena Kuneva, erreichte mit knapp 15% den dritten Platz.

Rosen Plevneliev bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Bulgarien

EPA

Rosen Plevneliev

Viele aus meiner Generation taten sich schwer, bei den Wahlen ihren Kandidat zu finden. Borissovs Protegé Rosen Plevneliev, der nach der erste Runde führt, machte nie wirklich den Eindruck, dass er einen eigenständigen Entscheidungswillen hat. Der Sozialist Ivailo Kalfin, der an zweiter Stelle liegt, wirkt wie ein Überbleibsel einer vergangenen Epoche. Und Kuneva hat bei den Vorwahldiskussionen zwar Kenntnisse gezeigt, aber verhält sich wie eine strenge Schuldirektorin.

Überhaupt verliefen diese Diskussionen, ohne wirkliches Interesse in der Bevölkerung zu erwecken. Viele meiner Freunde wählten aus Protest den Sänger der Punkband "Hipodil", Svetoslav Vitkov, der sich als eine Alternative abseits der Politikwelt angeboten hat. Vitkov bekam fast 2% der Stimmen, dabei war er bei den wichtigen Fernsehdiskussionen überhaupt nicht eingeladen. Und in der letzten Zeit wuchs seine Popularität mit einem Lied, dessen Text man alles andere als anständig nennen kann. "Mein Arsch tut mir weh...", hieß es dort.

Ivailo Kalfin bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Bulgarien

EPA

Ivailo Kalfin

Mein Kollege Botjo konnte nicht wirklich seinen Traum, Diktator zu werden, verfolgen. Eigentlich sind diese Ämter schon weltweit besetzt. Außerdem ist das in der letzten Zeit kein angesehener Beruf. Deshalb hat er seine Strategie gewechselt. Kurz nach unserem Gespräch trat er der Partei GERB bei. Er hat schnell begriffen, wohin der Wind weht. Momentan ist er ein wichtiger Funktionär der Jugendorganisation der bulgarischen Regierungspartei. Wenn er brav ist, wird er auch sicherlich irgendwann als Präsident nominiert.

Was soll ich aber werden? Meine Mutter sagt, ich soll mich schon beeilen, weil die Zeit renne und bald werde auch ich alt sein.. und dann werde alles verloren gehen. Aber wie finde ich meinen Platz in einem Land, wo es die Wahl gibt zwischen den ehemaligen Kommunisten (übrigens: Man sagt, es gibt keine ehemalige Kommunisten, einmal Kommunist ist immer Kommunist) und der Partei, die der Kriminalität und der Korruption den Kampf erklärt, aber nichts gemacht hat? Ich weiß nicht. Lieber bleibe ich in der Rolle des Narren und singe mit dem Präsidenten-Kandidaten Vitkov "Mein Arsch tut mir weh…"