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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 10. 2011 - 23:19

Journal 2011. Eintrag 192.

Of the 1%, by the 1%, for the 1%. Über die mediale Darstellung der 99 Percenter und die bewussten Lücken.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem weiteren Beitrag zur Occupy-Bewegung, vor allem dem 99%-Slogan.

Siehe auch Journal 2011, Eintrag 186: Demo-Kultur, oder: wer ist das Volk? und Journal 2011, Eintrag 187: Engage or attack. Der Analyst mit der Krawatte.

Der mediale Schwerpunkt zur mittlerweile im gesamten Westen florierenden Occupy-Bewegung liegt eher tief: Man erschöpft sich in Deskription (und berichtet da gern in altbekannten Cops&Robbers-Formeln) und in der aus Konventionen gespeisten Frage, was denn diese Form des politischen Engagements bringe. Da folgt man interessanterweise einer sehr aktuellen Verwertungs-Logik, geht davon aus, dass jede Aktion sofort Gewinn machen muss, anstatt sich an den Formen sozialer Freiwilligenarbeit zu orientieren.

Dieser mediale Schwerpunkt wird von jenen, die sich auf den Schlips getreten fühlen, forciert und unterstützt, natürlich schwingt jede Menge Hohn in dieser Diffamierungs-Mühle mit. Man will die We are the 99 Percent-Aktivisten ausbluten lassen, imagemäßig.

Etwa mit Spott über die Tatsache, dass die Occupy-Leute nicht klassisch mit Megaphonen, sondern mit eigens eingeführten Handzeichen oder dem an griechische Chöre erinnernden Trick des menschlichen Mikrofons arbeiten.
Guy Debord und die situationistische Internationale, schreibt die Süddeutsche, würden darüber jubeln; Mainstream-Media und die 1%-Lobbyisten rümpfen die Nase.

Die scheinobjektive Sinnfrage hinter den Protest

Prototypische, nur scheinbar objektive Frage dazu (gestern von Günther Jauch gestellt): Haben diese Proteste denn Sinn oder können sie gar Wirkung zeitigen?
Der Befragte, Helmut Schmidt, ehemaliger deutscher Kanzler und Rauchwaren-Testimonial, jemand, der keine Rücksichten mehr nehmen muss, sagte daraufhin sinngemäß: Wirkung stellt sich in solchen Protest-Szenarios dann ein, wenn die Adressaten beginnen die Selbstverständlichkeit ihres Handelns in Frage zu stellen.

Das ist eine Wirkungs-Mächtigkeit, die weder medial noch im öffentlichen Diskurs wirklich beachtet wird.
Ich frage mich in solchen Fällen immer gerne, warum das so ist.

Außerdem frage ich mich, warum, in den heimischen Medien nie, aber auch den deutschsprachigen Medien erst jetzt, deutlich verspätet von jenen Wurzeln der Occupy-Bewegung die Rede ist, die mitten im ökonomischen Mainstream Amerikas lagen.

Kein medialer Raum für Wurzeln und Struktur-Analyse

Schon im Mai erschien nämlich Of the 1%, by the 1%, for the 1% von Joseph E. Stiglitz in der Vanity Fair. Stiglitz ist kein Poplinker, sondern einer der wichtigsten Wirtschafts-Vordenker des Planeten.

Stiglitz argumentiert in diesem Manifest den aktuellen Stand der Top-Verdiener (der USA) durch. Er vergleicht die gesellschaftlichen Strukturen der Staaten im arabischen Frühling, und fragt sich: "When will it come to America?"

Stiglitz endet so: "the top 1 percent have the best houses, the best educations, the best doctors, and the best lifestyles, but there is one thing that money doesn’t seem to have bought: an understanding that their fate is bound up with how the other 99 percent live. Throughout history, this is something that the top 1 percent eventually do learn. Too late."

Diese Sätze waren wahrscheinlich die Geburtsstunde der 99 Percent-Bewegung.
Auch davon war wochenlang nirgendwo die Rede. Und auch da frage ich mich dann, warum das so ist.

Die bewusste Konzentrations-Lücke

Das Medien-Magazin Zapp, das die Frage nach der seltsam schiefen Herangehensweise der Medien zuletzt auch thematisiert hatte, kommt zum Schluss, dass der von umfassenden PR-Maßnahmen verwöhnte und mit frei zugänglichen Infos zugemüllte Mainstream-Journalismus mit einer Bewegung ohne vermarktbare Gesichter, Pressestelle und griffigen Schlagzeilen-Slogans einfach nichts mehr anfangen kann - die Auseinandersetzung mit ungewohnten Formen würde zuviel Anstrengung bedeuten, ein Sich-Einlassen auf neue Denkstruktur überfordere die Branche.

Das ist sicher richtig.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Lobby-Arbeit der 1% sich ganz bewusst darauf konzentriert diese Lücken so breit wie möglich zu gestalten.
Of the 1%, by the 1%, for the 1%.

Zu blöd nur, dass diese bewusste Konzentrations-Störung das, was der kettenrauchende Schmidt als Knackpunkt ansieht, bestätigt.