Erstellt am: 26. 10. 2011 - 16:10 Uhr
Tagebuch zum Jahr des Verzichts (31)
marc carnal
2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.
Sonntag, 16. Oktober
■ Mein schlaues Telefon schlägt mir unterwegs regelmäßig drahtlose Netzwerke vor, in die ich mich zwecks rascherem Surfen einloggen könnte. Diese sind freilich meist gesperrt.
Trotzdem erfreue ich mich der Vorschläge, weil besonders private Nutzer beträchtliche Kreativität bei der Bennenung ihrer Verbindungen walten lassen.
Meine Idee, Screenshots anzufertigen und die amüsanten WLAN-Namen zu sammeln, ist nach kurzer Google-Recherche obsolet, natürlich gibt es bereits Kollektionen seltsamer und lustiger Beispiele.
Doch bin ich mit jedem Einfall zu spät dran? Denn:
■ Frau Egg weißt darauf hin, dass der Komiker Wigald Boning Vorträge über die "Phänomenologie der Einkaufszettel" hält.
Kurz bin ich irritiert, schließlich möchte ich mich nicht der Trittbrettfahrerei bezichtigen lassen. Doch der beliebte Komiker hat sein Projekt deutlich später als ich angekündigt und analysiert obendrein wesentlich konkreter, während ich die Listen eher als Textimpulse verstehe. So sind wir Brüder im Geiste und keine Konkurrenten um den Thron der Einkaufslisten-Autorenschaft.
Montag, 17. Oktober
■ Loyalität laut Wörterbuch:
Ich stehe hinter dir,
doch du nicht hinter mir.
marc carnal
■ Dieses Bild zeigt den verehrten Kollegen Wurm beim Fotografieren der Einkaufslisten für die Lesung "Eier, Butter, Bier" am Mittwoch. Jene Leser, die diesem Dokument des Dokumentierens keinen allzu hohen Erbaulichkeits-Faktor attestieren, seien darauf hingewiesen, dass in der linken Bildhälfte ein Bügeleisen zu sehen ist und das erinnert uns natürlich an die wunderbare Szene aus "Otto - Der Film", in welchselbiger Otto beim Klingeln des Telefons sein Bügeleisen zum Ohr führt und nach mehreren vergeblichen Versuchen, damit zu telefonieren, "Ich Idiot!" ruft und... Nein, nicht etwa zum Telefon greift, sondern das Bügeleisen einfach umdreht und dann erneut "Hallo" sagt!
Ich bin überzeugt, diese köstliche Szene wunderbar nacherzählt zu haben und kann verstehen, dass sich die Leser jetzt kugeln.
Dienstag, 18. Oktober
marc carnal
■ Heute versuchte ich ohne Erfolg, den schmalen Raum zwischen Heizkörper und Wand zu saugen. Peinlich!
Frühmorgens kochte ich Kaffee, ließ die halbvolle Tasse stehen, ging duschen und als ich zurückkam, war der Kaffee kalt. Süß!
Abends bereitete ich gefüllte Auberginen mit Jasminreis zu. Stark!
(Ich beuge mich und tue es dem Boulevard gleich, der mittlerweile hinter jede Einzeiler-Meldung ein Adjektiv setzen muss, damit die Leserschaft auch weiß, was sie davon zu halten hat. Spitze!)
■ Der Lack bröckelt zusehends von den früheren Helden und legen eine Oberfläche frei, welche die einstige Anbetung zusehends unverständlicher macht. Neue Helden haben es zusehends schwerer, mein Herz zu erobern. Hoffentlich sind nicht irgendwann alle weg, so ganz ohne Helden wäre es einsam.
Mittwoch, 19. Oktober
■ Ein wunderbarer Abend im Schmid Hansl. Vielen Dank an die zahlreichen Besucher, die meine Lesung durch fast militärische Aufmerksamkeit, Gelächter und ausführliche Akklamation veredelten. Dazu wirklich überraschende Überraschungsbesuche und ein sehr großzügiges Geschenk ohne Anlass, einfach nur so.
Es gibt Tage, die für alle Sorgen, Entbehrungen und Qualen mehrfach entschädigen.
■ Ich sehe es als meinen persönlichen Bildungsauftrag, an dieser Stelle wohl nicht zum ersten Mal zu erwähnen, dass es "DER Kommentar" und nicht "das Kommentar" heißt.
Keine Ahnung eigentlich, warum mich das immer so zornig macht...
Donnerstag, 20. Oktober
Weltstatistiktag - Mit großer Wahrscheinlichkeit auch heuer wieder ein Fest!
■ In einem Monat, der ohnehin keinen Cent für nicht unbedingt nötige Besorgungen bereithält, auf Shopping zu verzichten, ist ungefähr so schwierig, wie im Getränkemarkt nicht zu verdursten. Besonders viel gibt es über die aktuelle Entsagung also nicht zu berichten. So muss die Leserschaft mit Lach- und Sachgeschichten aus meinem reichhaltigen Leben voller Rock’n’Roll und Bienenstich Vorlieb nehmen.
■ Eier, Butter, Bier – Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz
DREI VORSCHLÄGE
Florian Graßecker
1. Der Autor möge sich künftig einer präziseren Sprache befleißigen und statt Zeug für seinen Kuchen Zutaten verwenden.
2. Die Fans von künftigen Gegnern des Vereins Red Bull Salzburg mögen mit der Transparent-Aufschrift „Bierschiss statt Bullshit“ ihre Antipathie auf gewitzte Weise zum Ausdruck bringen.
3. Die Hersteller von Knabberzeug mögen den Ernussdosen-Haltbarkeits-Hinweis „siehe Eindruck“ durch einen unmissverständlichen ersetzen.
Freitag, 21. Oktober
■ Im November werde ich mit ausführlichen Übersiedlungsarbeiten beschäftigt sein und gerade in diesem Monat steht der Verzicht auf Fleisch am Programm. Das konnte man vor einem knappen Jahr freilich noch nicht wissen, aber Kisten zu schleppen, Regale zusammen zu bauen oder Wände zu streichen und sich dazwischen nicht an drei Leberkässemmeln zu delektieren klingt schon absurd. Soll ich im Schweiße der körperlichen Tat Gemüselaibchen knabbern?
■ Laut einer aktuellen Studie bringt es überhaupt nichts, sich die letzten fünfzig Folgen des Ron Tyler Archivs anzusehen, die im ausgesuchten Fachhandel jetzt endlich auch als Playlist erhältlich sind.
Doch soll man Studien blind Glauben schenken?
Sa-Sa-Sa-Sa-Samstag, 22. Oktober
Welttag des Stotterns
■ Frenkie Schinkels ist Niederländer und vereint doch alles in sich, was man an Österreich verachtenswert finden kann.
■ Kollege Wurm weist mich auf eine ZDF-Doku über mein zweitliebstes Lokal in Wien hin - Das dunkle, sagenumwobene Nachtasyl in der Stumpergasse, stets ein Ort überraschender Begegnungen und legendärer Abende.
In der Mediathek des Senders ist der Film archiviert und stellt neben einem charmanten Portrait über das Lokal auch eine kleine Nachhilfestunde in tschechischer Zeitgeschichte dar.
Das Nachtasyl kannte ich übrigens schon, bevor ich es jemals betreten hatte oder in Wien wohnte, und zwar aus einem Aufsatz von Max Goldt, in dem er einen Abend im Nachtasyl mit Amina Handke beschreibt, die ich - nach gar nicht so wenigen Achtln mit ihr ebendort - einige Jahre später ehelichen sollte...
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