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Lina Simon

Lina Simon

Lina Simon

Repeal slowly and see

26. 10. 2011 - 13:34

Stammtischen

Vom Gemeinsam-stark-Sein unter heimischen Musikschaffenden. Eine Tafelrunde in Wien Döbling.

Alles Gute, lieber FM4 Soundpark! Am 26.10. spielt FM4 den ganzen Tag über ausschließlich österreichische Musik, inkl. Bandporträts, Interviews und div. Beiträgen zur österreichischen Musikszene - heuer mit einem speziellen Fokus auf Labels, Kollektive und andere Netzwerke.

Die Verstärker im Raum nebenan bleiben stumm, die Kabel unplugged und die Mischpulte unberührt. Noch halb durchnässt vom Regen draußen sitzt hier eine Runde Musiker eng beisammen. Auf ein paar Kaltgetränke? Und Wolken zählen?


... ich bin ein Musiker, was soll ich sonst machen?

In diesem Studio haben Alex Tomann und Zebo Adam unter anderen die letzten Alben von Trouble over Tokyo, Francis International Airport, Bilderbuch und Velojet produziert. Die neue Platte von Milk+ wird hier gerade gemischt.

"Das hier ist kein loser Rahmen mit Bierglaslgeklimpere im Hintergrund und Barpiano, das spielt", entkräftet einer der zwei Stammtischväter Alex Tomann, "das hier ist ein Arbeitskreis". Das hier ist der "Jour Fixe" in einem verwinkelten Studio in Wien Döbling. Um den langen Tisch kommt es seit Dezember 2010 alle paar Wochen zu diesem Diskussionszirkel unter geladenen heimischen Musikschaffenden mit wechselnden Gästen aus dem Musikbusiness, initiiert von den Produzenten Tomann und Zebo Adam.

Neben der Produktionsarbeit und ihren ästhetischen Diskussionen, sehen es die zwei vermehrt als ihre Aufgabe an, auch ihre musikgeschäftlichen Erfahrungen an die Bands weiterzugeben, "auf dass die damit was Gutes machen und weiterkommen, und die großartige Musik nicht ungehört in den schwächelnden Strukturen - unseres Landes speziell - versandet".

David und Mex von Francis International Airport und Zebo Adam am Tisch

Lina Simon

Gebrüder Zahradnicek von Francis International Airport: David und Mex & Produzent Zebo Adam, spielt auch Gitarre bei Russkaja.

Außer in der beobachtenden Position ist hier heute keine Frau anwesend. Deswegen wird nicht gegendert.

Beim Jour Fixe klopfen sich Leidensgenossen auf die Schulter, hier ist Raum zum Sorgen Loswerden und zum Jammern. Kreativer Musiker sein und davon leben können? Vergiss es, heißt es. Brotjobs als Musikschullehrer (Velojet), und ein zweites oder drittes Standbein auf einem Flughafen (Richtig, Francis International Airport) oder in einer Buchhandlung (Richtig, Bilderbuch) sind auch in dieser Runde die Realität. Trotzdem atmet man hier wechselseitige Motivation und eine unbeirrbare Zuversicht auf nachhaltiges, lukratives Musikmachen in Österreich. "Am Ende des Tages muss man sich die Frage stellen: Was kann ich auch tatsächlich ins Positive ändern?", meint Ben Martin, "weil Sudern allein bringt uns nicht weiter."

Ben Martin, Alex Tomann, Peter von Bilderbuch und Manuel Normal am Tisch

Lina Simon

Ben Martin: u.a. Teil von I am Cereals und Labelbetreiber, Produzent Alex Tomann, Peter von Bilderbuch & Manuel Normal in Zivil als David.

Peter und Mike von Bilderbuch,
'90er & '91er Jahrgang:
"Wir Jungspunde lernen hier von den 'alten Männern'."

Die Gitarre ins Korn werfen wird hier nicht so bald einer. Dass das gängige Musikbusiness-Modell in seinen Strukturen überholt ist und sich dennoch alle in der Runde innerhalb dieses Systems bewegen, darüber ist man sich im Klaren. Aber resignieren und sich von den Gegebenheiten erdrücken lassen, will niemand an diesem Stammtisch. Vor allem will hier den Jüngsten des Kreises kein verstimmtes Untergangsbild, sondern Vertrauen in eine positive Entwicklung mitgegeben werden.

Ähnlichen Fragen geht auch der mica-Workshop "Überleben im Musikbusiness" in der ARGEkultur Salzburg nach. Am 12.11. im Rahmen des open mind festivals - frei von Schuld(en).

Wie geht man mit der momentanen Umbruchssituation also am besten um? Wechselnde Themen kommen auf den Tisch: Wie viel Zeit und Geld investieren wir in unser nächstes Video? Was sind heute die Aufgaben (m)eines Labels? Welche Ziele will und kann ich mit meiner Musik erreichen?

Mit verknüpftem Wissen und einem Bündel an Erfahrungen erforscht man Wege, die es einem ermöglichen sollen, sinnvoller im bestehenden Modell zu agieren. Wovon bin ich abhängig, wo kann ich meine Handlungsspielräume erweitern? Was ist möglich, was ist auch tatsächlich realisierbar?

Ivo von Across the Delta am Tisch

Lina Simon

Ivo von Across the Delta. Spielt auch mit Bo Candy's Broken Hearts.

Entsteht hier ein neues, österreichisches Businessmodell?
Das zum Beispiel gibt's sonst noch.

Ideen, die den gegebenen Rahmen sprengen, werden visionär auf Vorrat gedacht. "Oft ist es gar nicht so wichtig Ergebnisse zu zählen", sagt Initiator Zebo Adam, "oft sind die Früchte eines Treffens einfach gedanklich weiterzukommen, gemeinsam konkrete Ansätze überhaupt zu erkennen und einen Prozess in Gang zu setzen".

"Ich wüsste nicht, dass es irgendeine vergleichbare Form bis jetzt gibt, die wie unser Jour Fixe (in seiner jetzigen Ausführung) so direkt am Musiker arbeitet und die es sich so konkret zum Ziel macht, gemeinsam zu wachsen", meint Zebo Adam.

Jours Fixes von Österreich, wo seid ihr?

Für zukünftige Entwicklungen gibt es die Überlegung, den Jour Fixe, der bisher in kleinstem Rahmen stattfindet, zu einer "Kontaktstelle nach außen" zu expandieren. Damit sei weniger die Öffentlichkeit gemeint als vielmehr KollegInnen aus branchenverwandten Bereichen wie Labels, Booking, Promotion, Management, etc. Gebrüder Zahradnicek, David und Mex von Francis International Airport: "Obwohl wir auch jetzt hier Leute sitzen haben, die neben der Musiker- auch die Businessseite kennen, wäre eine Erweiterung der Runde auf Nicht-Musikschaffende auf jeden Fall sinnvoll, um eine weitere Sichtweise zu gewinnen." Das Ganze versteht man als langfristiges Projekt, das mit der Zeit wachsen soll, und bei dem es, laut Tomann, "am schönsten wäre, wenn es eine Eigendynamik entwickeln würde."

Einen großen Erfolg sieht Tomann schon in der Abhaltung des Jour Fixe in seiner jetzigen Form - denn dieses Netzwerk ermögliche die Entwicklung einer fruchtbaren Diskussionskultur im unmittelbaren Umfeld der Musikschaffenden und garantiere so die Realisierung des wichtigsten Anliegens ihrer Initiatoren, nämlich alle Beteiligten kontinuierlich auf Motivationskurs zu halten.