Erstellt am: 25. 10. 2011 - 06:00 Uhr
"Die Zeit arbeitet für mein Modell"
Auf dem Wiener Heldenplatz hat am 26. Oktober die Farbe Schlammgrün dominiert: Das österreichische Bundesheer ist mit Hubschrauber, Panzer und Gulaschkanone aufgefahren und hat am Nationalfeiertag in einer großen Leistungsschau alles gezeigt, was es kann.
APA/Andreas Pessenlehner
Während am 26. Oktober auf dem Heldenplatz eitel Wonne herrschte, brodelt es hinter den Kulissen bzw. in der Leitung des Heeres - dem Verteidigungsministerium. Nachdem der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) kurz vor der Wiener Wahl am 10. Oktober 2010 mit der Idee vorgeprescht war, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen, ist das Thema zum Dauerzankapfel der rot-schwarzen Koalition geworden. Die ÖVP will die Wehrpflicht unbedingt behalten, gegen eine Volksbefragung verwehrt sie sich bisher. Zwar haben einzelne ÖVP-Landespolitiker wie der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll Bewegung in der Frage signalisiert, ansonsten ist aber keine Einigung in Sicht.
Ich habe Verteidigungsminister Darabos getroffen und ihn zum aktuellen Stand der Debatte befragt.
Wie ist der aktuelle Stand in der Debatte zur Abschaffung der Wehrpflicht, was wird da in nächster Zeit passieren?
APA/Georg Hochmuth
Norbert Darabos: Ich stehe nach wie vor zu meinem Modell, das eine Mischform zwischen Berufssoldaten und Freiwilligenmiliz darstellen und die allgemeine Wehrpflicht in Österreich ablösen soll, weil ich nicht einsehe, wenn wir die Aufgaben gleich gut oder noch besser machen können als bisher, dass wir 26.000 junge Männer mit einem Zwangsdienst beglücken sollen.
Derzeit gibt es Verhandlungen mit der ÖVP, die sind noch nicht zu Ende geführt. Es gibt auch noch keine Bewegung innerhalb der ÖVP in Richtung Volksbefragung - obwohl jede Umfrage zeigt, dass die große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung eine Einbindung in dieser Frage wünscht.
Ich arbeite derzeit drei Pilotprojekte aus, die ich in meiner Verantwortung als Minister auch durchführen kann, wo man nachweisen wird, dass die österreichische Armee auch ohne Grundwehrdiener funktioniert.
Es hieß, dass schon 2012 so ein Pilotprojekt starten könnte. Was wird das sein?
Wir werden das innerhalb der Freiwilligenmiliz testen, mit einem Anreizsystem von 5.000 Euro, da wird es dann keine Grundwehrdiener geben, die den Freiwilligenverband unterstützen. Innerhalb des österreichischen Bundesheeres wird ein Verband ohne Grundwehrdiener geführt. Man wird sehen, wie das funktioniert, aber ich bin zuversichtlich.
Gibt es derzeit irgendwo eine Annäherung mit der ÖVP?
Ich gebe zu, dass es derzeit noch keine Annäherung gibt, bin aber zuversichtlich, dass sich auch in der ÖVP etwas bewegt. Es haben ja schon mehrere Landespolitiker signalisiert, zumindest für eine Volksbefragung zu sein. Derzeit arbeiten wir – unabhängig von der Wehrpflichtdebatte – an Reformen innerhalb des österreichischen Bundesheeres, es gibt vier Arbeitsgruppen mit der ÖVP. Dort geht schon einiges weiter, aber das Endziel ist noch nicht erreicht.
Die FPÖ hat letzte Woche im Parlament eine dringliche Anfrage unter anderem zu einer Volksbefragung eingebracht, die wurde aber abgelehnt. Warum bzw. wann und wie stellen Sie sich eine Volksbefragung vor?
Erstens brauche ich die Zustimmung des Koalitionspartners ÖVP - alles andere wäre Koalitionsbruch. Ich verstehe schon, dass die FPÖ hier hineinspalten möchte, als Oppositionspartei ist das ihr gutes Recht, aber wir müssen die ÖVP von einer Volksbefragung überzeugen. Wenn uns das gelingt, werden wir sie durchführen, wann immer das stattfindet.
Ich glaube die Zeit arbeitet für mein Modell, 23 von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind bereits von der allgemeinen Wehrpflicht abgegangen, darunter auch neutrale und Allianz-freie Staaten wie Irland oder Schweden. Dass Österreich im Verein mit Zypern oder Estland noch die allgemeine Wehrpflicht hat, sehe ich nicht mehr ein. Ich war früher auch ein Verfechter dieses Systems, aber die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Wir haben neue Herausforderungen zu bewältigen, im Cyberbereich oder in der Terrorbekämpfung. Und dazu brauchen wir Profis.
Wie eng ist denn die Zusammenarbeit mit Deutschland - kann man aus den Fehlern oder den Problemen dort lernen?
Zusammenarbeit ist vielleicht ein falsches Wort, ich habe mir die Systeme in Schweden und in der Bundesrepublik angesehen. In Deutschland habe ich auch ein Rekrutierungszentrum besucht und gesehen, wie dort Profis geworben werden. Man kann sich einiges abschauen, muss nicht alles neu erfinden. Wir haben aber ein etwas anderes System im Auge als die Bundesrepublik Deutschland, die haben noch immer freiwillige Grundwehrdiener, die würden wir nicht mehr brauchen. Ich bin in ständigem Kontakt mit den Experten in Deutschland, auch mit meinem Amtskollege De Maiziere [Anm.: deutscher Verteidigungsminister]. Man kann sich gegenseitig befruchten, aber wir müssen unser eigenes System implementieren.
De Maiziere hat Sie ja auch vor einem Schnellschuss gewarnt.
Da ist nichts dagegen zu sagen, man kann nicht von einem Tag auf den anderen so ein System umstellen. Man muss den ersten Schritt setzen und die Möglichkeit einer Volksbefragung ins Auge fassen.
Die Salzburger ÖVP sorgt sich um die soziale Durchmischung innerhalb des Heeres, wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird. Das ist ja ursprünglich immer ein sozialdemokratisches Anliegen gewesen. Was ist mit dieser Sorge heute?
Die Sorge war in der Sozialdemokratie sehr stark, vor allem ausgehend vom Jahr 1934, als österreichische Soldaten auf die Arbeiter geschossen haben, was in einen Bürgerkrieg mündete. Diese Gefahr besteht aus meiner Sicht heute nicht mehr. Und die soziale Durchmischung ist - das zeigen alle Statistiken - auch gegeben, wenn wir Freiwillige haben. Das sind ja im Jahr 2.500 an der Zahl, die in dieses Profiheer eintreten würden. Die soziale Durchmischung sehe ich nicht gefährdet durch eine Berufs- und Freiwilligenkomponente.
Ich kann auch den Argumenten nichts abgewinnen, die da lauten, man muss zum Heer gehen, um Disziplin zu lernen. Das Heer kann nicht alle Defizite gesellschaftlicher Natur aufholen, die in der Schule oder Familie passiert sind. Dieses Argument greift für mich zu kurz.
In Deutschland sollen es auch viele Leute gewesen sein, die auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum Fuß fassen konnten, und die sich dann zum Heer melden.
Das stimmt nicht, ich habe dieses Rekrutierungszentrum besucht und war auch bei einigen Gesprächen dabei. Das sind gut ausgebildete junge Menschen. Natürlich kommen die teilweise aus Ostdeutschland, wo die Lage auf dem Arbeitsmarkt schlecht ist. Aber nicht die Ausbildung ist das Problem, sondern die Jobaussicht.
FM4 Connected eröffnet am Mittwoch, dem 24.10. ab 15.00 Uhr die Diskussion zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Sag uns deine Meinung unter 0800/226996.
Die deutsche Bundeswehr legt darauf ganz großen Wert, auch aufgrund der historischen Entwicklung, dass hier Menschen zum Heer kommen, die sich auf dem Boden der Demokratie bewegen, eine gute Allgemeinbildung und politische Bildung haben. Und sie werden alle demokratisch geschult. Diese Märchen werden vor allem von jenen verbreitet, die gegen die Umstellung von der allgemeinen Wehrpflicht hin zu einem Berufs- und Freiwilligenheer sind.
Und was denkst du?
Wir müssen niemanden zum Einlenken bewegen, deswegen fragen wir erst einmal dich: Was denkst du über die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht? Das Forum steht dir offen!