Erstellt am: 23. 10. 2011 - 13:08 Uhr
A-typische Verhältnisse?
Der Diskurs ist im Pop ein alter Hase: Zunehmend prekär und unbestimmt ist die Lage. Jarvis Cocker oder Christiane Rösinger sangen wunderbar davon, doch am Elevate Festival in Graz spielten Planningtorock und Crazy Bitch In A Cave. Und mit ihnen tritt die Frage auf: Wie wird man mehr und nicht weniger?
Darum ging es Samstag tagsüber im Forum Stadtpark. "Unbestimmtheit als Charme und Chance" stand als Fragezeichen über den Überlegungen von Tim Stüttgen und Vina Yun. Und mit der Queer Theory hält ein wesentlicher Gedenke Einzug in die weiteren Diskussionen des Tages: Nicht auf die Minderheit, sondern auf die Norm zu schauen, darum ginge es bei Queer. Ein Ansatz, der auch in brennenden Fragen zu Veränderungen in der Arbeitswelt berechtigt ist. Die Podiumsdiskussion "Von der Ich-AG zur Peer-Production?" klärte auf, welche Arbeitsformen noch atypisch und welche bereits prekär sind.
Bin ich eine/r alleine oder sind wir viele?
Neu ist prekäres Unternehmertum nicht. Das hat es immer schon gegeben, weiß die Soziologin Andrea Bührmann. "Die BWLer und die VWLer, insbesondere die Männer in diesen Disziplinen, interessieren sich natürlich für erfolgreiches Unternehmertum. Und nicht so sehr dafür, wenn jemand einen Kosmetikladen aufmacht, einen Kiosk führt oder einen schlecht gehenden Handwerksbetrieb hat." Prekäre Zustände greifen jedoch um sich. Und das nicht einzig in der Kreativwirtschaft, die Bührmann als die neue Leitbranche der Wissensgesellschaft ausmacht.
Prekäre Verhältnisse bestehen längst in sämtlichen Arbeitsbereichen. Sie betreffen "UnternehmerInnen", die in einem Supermarkt ein Regal einräumen wie wissenschaftliches Personal an Universitäten. Darauf geht Johanna Muckenhuber von der Medizinischen Universität Graz ausführlich ein. Wie Andrea Bührmann forscht sie derzeit zu den Auswirkungen von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. "Selbstbestimmung ist eine feine Idee, Chefs hat man ja trotzdem", sagt Muckenhuber und stellt fest, dass es für "reproduktive Arbeiten" keinen Raum und keine Zeit mehr gebe. Da hakt Andrea Bührmann ein und dreht die Fragestellung um: Kann es nicht sein, dass es im post-fordistischen System diese Grenzen nicht mehr gibt?
Radio FM4
A-typical career
- Wie sich prekär Lebende abseits der Gewerkschaften organisieren.
In Österreich und Deutschland ist es atypisch, unternehmerisch tätig zu sein oder in einem befristeten Arbeitsverhältnis, weil es nicht der Norm entspricht. Doch Bührmann nennt Angela Merkel als Beispiel: Die deutsche Bundeskanzlerin hat ein befristetes Arbeitsverhältnis, lebt aber ganz und gar nicht prekär. Die BesucherInnen im Forum Stadtpark sind erheitert über diesen Blickwinkel. Prekär zu leben bedeutet auf objektiver Grundlage Angst zu haben zu verarmen. Es gibt mehr Menschen, die sich subjektiv prekär fühlen, weil sie Angst vor dem finanziellen Absturz haben. "Es gibt viel mehr atypisch Beschäftigte, und einige oder viele von ihnen sind prekär."
- Soziale Proteste:
Auch ein Aufbegehren der "Generation Prekär"
Die Norm, von einer unbefristeten Vollzeit-Festanstellung in einem Unternehmen auszugehen, galt ohnedies in erster Linie für weiße, bürgerliche, nicht-migrantische Männer. Das sogenannte "Normalarbeitsverhältnis" war bereits in der Vergangenheit prekär für andere Bevölkerungsschichten.
Radio FM4
SchauspielerInnen als Vorbild
Dass sich Andrea Bührmann ausgerechnet SchauspielerInnen als Auskunftspersonen für ihre aktuelle Forschungsarbeit gewählt hat, erstaunt. Doch wie sie ihr Leben zwischen Bühne und fehlendem Engagement gestalten, das könnte für andere Berufsgruppen von Bedeutung sein. Die Strategien zum (Über-)Leben, die Andrea Bührmann von SchauspielerInnen gehört hat, wirken beängstigend: Zuverdienste im dunkelgrauen bis illegalen Bereich. Es wird Usus, sich gegenseitig Tätigkeiten zu schenken. Viele bekommen Geld von ihren Familien oder nehmen bei Eltern oder Freunden Darlehen auf.
Mit den Verdienstmöglichkeiten ändern sich auch die Beziehungen. Bührmann stellt fest, dass sehr viele prekäre Arbeitende mit Menschen zusammen sind, die ein sicheres Einkommen haben. LehrerInnen und Beamte bevorzugt. "Man muss eine Mischfinanzierung machen. Man teilt sich auf, um das Risiko beherrschbar zu machen. Das Spannende ist, dass das auf uns alle zukommt", ist Andrea Bührmann überzeugt.
Logische Konsequenz für die Professorin an der Universität Göttingen: Das Sozialsystem muss umgebaut werden, damit Übergänge zwischen Beschäftigung in den unterschiedlichen Verhältnissen und beschäftigungslosen Zeiten viel leichter werden und möglich sind. "Weg davon, dass man nur in die Sozialsysteme einzahlt und auch wieder von ihnen profitiert, wenn man Lohnarbeit leistet." Das erfordert ein generelles Umdenken: Arbeit nur als Erwerbsarbeit zu begreifen, wird nicht ausreichen.
From discourse to disco...
... bewegen sich die BesucherInnen des Elevate Festivals und von gegenwärtigen Zuständen Richtung Zukunft. Progressive Zugänge sind am Grazer Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs Programm seit dem Debüt am Schloßberg 2005. Dieses Jahr allerdings sind konkrete Prognosen gefragt.
Heute, Sonntag, wird um 17.00 Uhr im Dom im Berg die Zukunft der elektronischen Musik diskutiert. Abends um 22.30 Uhr nimmt dann Karl Schwamberger aka Laokoongruppe Aufstellung und performt mit Herwig Holzmann. Live. Der Eintritt ist frei.