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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 10. 2011 - 20:28

Journal 2011. Eintrag 190.

Karriere mit Leere.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem genaueren Blick auf die fetten Anzeigenteile der Samstagszeitungen, die man gern mit einem Griff entsorgt,

Ich schau sie mir gerne an, die "Karriere"-Teile der Tagespresse. Samstag machen sie sonst dürre Blätter zu einem formschönen Ziegel und halten so die Illusion, irgendwann und -wie auch einmal eine richtig dicke Wochenend-Ausgabe mit echten Inhalten sein zu können, aufrecht. Das sage ich, im vollsten Vergleichs-Modus, mit der eben erstandenen Sonntags-Ausgabe der New York Times, die dieses Ideal darstellt.

Die Karriere-Teile der Qualitätspresse sind, traditionell, die Traditions-Variante der Bazar-Stelleninserate. Da geht es um Selbstpräsentation von Firmen, die dann viertel- oder gar halbseitig ihre Manager und Fachkräfte suchen.
Und während das früher dann auch schon alles war, pappen die Verlage seit bereits einige Jahren immer umfangreichere redaktionelle Teile dazu. Um das oben erwähnte Gefühl aufrechtzuerhalten.

Natürlich sind diese Seiten keine redaktionelle Freizone im klassischen Sinn, sondern blanker Marketingjournalismus.
Stefan Pollach, der Vater der fm4-Website, hat vor ein paar Wochen, anlässlich der strukturellen Korruptions-Geschichte rund um Medien-Finanzierung via Inserate, aus reinem Spaß eine andere, auch nur für das Inseratenumfeld geschaffene Beilage auf die Vernetzung zwischen "redaktionellen" Beiträgen und Inseraten gecheckt. Und ist dabei auf eine 90%-Quote gekommen.

Liebdiener, Bauchpinsler, Karrieren-Buckler...

Im Fall der Karrieren-Teile geht es nicht nur um das Gegengeschäft, sondern auch um das Aufrechterhalten einer guten Stimmung. Dieser Zeitungs-Teil ist quasi die einmal wöchentlich aufpoppende Sekt-Brötchen-Anstoßrunde mit den Partnern.
Und dafür braucht es Lobhudeleien im Liebdiener-Tonfall.

Denn die Kommentare und die Tendenz der Beiträge in der "Karriere"-Abteilung sind so aufs Buckeln und Kriechen ausgerichtet, dass oft selbst der Blick auf die Position des eigenen Blattes nicht mehr möglich ist.
An manchen Samstagen beschreibt der zerknirschte Chefredakteur auf den vorderen Seiten Wirtschaftsthemen im Hü, während hinten im Karriere-Teil noch fest gehottet wird. Ich würde sagen: man hinkt etwa ein Jahr nach in diesen Ghettos.

Weil dort das steht, von dem man annimmt, dass die Kunden, die Unternehmerschaft, es hören will, Bauchpinseleien, äffisch-höfische, oft auf echtem Herr-Strudl-Niveau; also mit der Annahme von Konventionellem als Faktenvorlage.
Das heißt allerdings auch, dass die Gebauchpinselten dieses Niveau schätzen. Was wiederum ein bezeichnendes Licht auf die Unternehmer-Kultur wirft.

Die Sache mit der homosozialen Reproduktion

Heute nun hatte der Karrieren-Teil in Medium A einen Bruch in der Schleimspur-Biografie aufzuweisen: Man theselte, covermäßig sogar, dass (Thema: Bewerbungs-Gespräch) Nonkonformisten oft mehr bringen als die graumausigen Anpassler, die schon mit dem ersten Satz versuchen sich brav
zu assimilieren. Man stellt also die homosoziale Reproduktion, ein System, nach dem nicht nur die meisten klassischen Unternehmen, sondern auch Parteien oder Medien agieren (und - entgegen der angeführten Annahme - natürlich auch der sogenannte "Kreativ-Bereich"), in Frage.
Ganz schön wow eigentlich.

Natürlich wurde im selben Atemzug auch schon wieder zurückgenommen und relativiert; und man sprach von MickyMaus-Socken oder anderen Klischees, die die Konformisten dann gern an ihren Stammtischen bedienen.

Lustigerweise widerspricht da, unabgesprochen, der Karrieren-Teil in Medium B diametral. In einem Rhetorik-Exkurs (Thema: Vorstellungs-Gespräch; immer urwichtig) werden alle in Medium A noch zart angedachten Ecken plattgewalzt. Und für den Manager-Stammtisch gibt es Puffärmel und Strickwesten-Klischees.

Klischee-Futter für den Manager-Stammtisch

Und als ich mich noch über den Nicht-Gleichklang der beiden wirtschaftsnahen und von der Industrie finanzierten Blätter wundere, springt mir vom Cover des Karrieren-Teils der Süddeutschen eine "Was anziehen beim", erraten!, "Bewerbungsgspräch"-Geschichte entgegen, so miefig wie der hinterste Münchner Bierkeller.
Wenn auch, wie alles, was in den Karrieren-Teilen geäußert wird, in einer modernen Business-Sprache und mit ausgesuchter Korrektheit. Trotzdem kommt die SZ, die sogar eine Frau Vornehm bemüht, nicht um die Stichworte für den Manager-Stammtisch herum. Und erklärt allen Ernstes, wo und warum Schwarz nicht geht.

Nun kann man anführen, dass das alles keine große Überraschung sei.
Dass Unternehmens- und Personal-Politik in der Wirtschaft stocksteif und -konservativ abgeht, weshalb dann auch Verhaberung, Korruption, Weltfremdheit und die schöne neue homosoziale Reproduktion für deren schlechten Stand sorgen.
Eh.

Mir geht es eh nur um die Diskrepanz zwischen dem Stand, auf dem die Leitartikler der wirtschaftsnahen Medien bereits unterwegs sind, und der Bieder- und Peinlichkeit der Realität, mit der die Verlage dieser Vordenker dann ihre Kommunikations-Politik mit der Branche betreiben.

Mehr verlange ich von meinem kleinen Samstags-Karriere-Check nämlich nicht.