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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

22. 10. 2011 - 15:03

Politische Bildung und Permakultur

Das Diskursprogramm am Elevate Festival ist informativer, greifbarer und kontroverser als jede Schulstunde. Am Freitag ging's um Ressourcen und Energie, Technologie und Ethik.

So wie beim Eröffnungsabend im Dom im Berg ist auch der Saal des Forum Stadtpark am ersten Diskurs-Tag des Elevate bestens gefüllt. Verblüffend nur, dass hier wenig Jugendliche vertreten sind - das Mitverfolgen der Gespräche und Publikumsdiskussionen würde perfekten Stoff für anstehende Biologie-, Informatik- oder Politische-Bildung-Hausübungen abgeben.

Der Tag hat am frühen Nachmittag begonnen und wurde mit drei Zwei-Stunden-Blöcken voller ausgiebiger Präsentationen und Panels sowie einem Filmscreening bespielt. Den Anfang machte eine Gegenüberstellung zweier Philosophien im Umgang mit nachhaltigem Leben und Abfallvermeidung, der Permakultur einerseits und dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Design andererseits - letzteres lässt sich auch wesentlich unkomplizierter mit Kreislaufwirtschaft beschreiben.

Permakultur und Kreislaufwirtschaft

Die studierte Pädagogin Margarethe Holzer stellte zunächst das Prinzip von Permakultur vor: eine möglichst ganzheitliche und unabhängige Eigenproduktion von Produkten des täglichen Bedarfs, vornehmlich Lebensmittel. Permakultur würde bei kleinen Pflänzchen am Balkon in der Stadt beginnen und beim energieeffizienten Haus am Land seinen Höhepunkt finden, wo jede Fläche des Gartens optimal als Anbaufläche genutzt wird. Das vom Soziologen Rainer Rosegger präsentierte System der Kreislaufwirtschaft geht hingegen weg vom privaten Glück des persönlich minimierten CO2-Abdrucks und widmet sich mehr der Herausforderung, wie es in unser industrialisierten Gesellschaft möglich sein kann, biologische und technische Abfälle wieder optimal in den Produktionsprozess zurückführen zu können.

Margarethe Holzer trägt am Elevate Festival 2011 über Permakultur vor. Kernsatz: "Alles hängt mit allem zusammen."

Robert Glashüttner

Margarethe Holzer trägt über Permakultur vor. Rechts: Rainer Rosegger

Holzers Plädoyer und Aufforderung, sich auf eigene Faust eine bessere Welt zu schaffen, fördert ein ideologisches Problem zu Tage, dass das Elevate bereits im Vorjahr bedient hatte und sich heuer noch stärker verankert. Es ist der aufgrund automatisierter, unpersönlicher Produktions- und Logistikprozesse beleidigte Rückzug einiger weniger aus den optimierten Prozessen der Industriegesellschaft, hin zu einem individuellen, Öko-biedermeierlichen Ideal, bei dem man sich höchstens in kleinen oder mittelgroßen Communities zusammenschließt. Jeder kocht seine eigene Suppe (buchstäblich) und der riesig große Rest der Welt bekommt davon kaum etwas mit bzw. hat keine auffallend großen Nutzen davon.

Stimmt schon: Das Prinzip der Permakultur etwa in Dritte-Welt-Länder zu exportieren und dort armen Bauern/Bäuerinnen damit Mut zu Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu machen, ist ein begrüßenswertes Projekt. Aber das völlige außer Acht lassen von der Notwendigkeit, Energie-, Abfall- und Ernährungspolitik national und auch global zu denken, ist zumindest fragwürdig. Das gewissenhafte Beschäftigen jeder und jedes Einzelnen mit Ernährung und Energienutzung ist wichtig und richtig, doch die wenigsten haben die Zeit und die Ressourcen dazu, sich mit Themen und Lebensstilen wie Permakultur in aller Ausführlichkeit auseinanderzusetzen. Manche haben auch schlicht kein Interesse daran - und das muss ebenfalls legitim sein.

Technologiefolgenabschätzung

Unter dem Titel "21st Century Technologies" hat sich die zweite Gesprächsrunde einem Kernthema des Elevate und seinem diesjährigen Motto gewidmet: der digitalen Technik und ihren Möglichkeiten und Risiken. Die Diskussion hat auf hohem Niveau begonnen, mit der Frage, ob und wie Nanotechnologie uns künftig bei der besseren Verhinderung und der Heilung von Krankheiten helfen kann. Hier wäre zu Beginn ein einsteigerfreundlicher Kurzvortrag hilfreich gewesen, der die praktischen Möglichkeiten, Chancen und Gefahren umreißt.

Das Panel zum Thema "21st Century Technologies" am Elevate Festival 2011 in Graz.

Robert Glashüttner

Nach schwierigen ersten 10-15 Minuten ist das Gespräch aber auch fürs Publikum interessant geworden. Mark Stevenson - der Comedian, Optimist und Zukunftsforscher vom Eröffnungsabend - hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Inhalte des Panels zugänglicher wurden: Er vergleicht beispielsweise die Relevanz, sich konkreter Werte und Wünsche bewusst zu sein, mit seinen eigenen Partnervorlieben. Stevenson ist ein kluger Kopf, der weiß, wie man Aufmerksamkeit schafft und gleichzeitig nicht oberflächlich wird. Dennoch ist es schwierig, nicht ins Floskelhafte abzugleiten, wenn es darum geht, ganz allgemein zu motivieren und das Interesse und Mitgestalten von quasi allen einzufordern.

Bremsen in der Energiepolitik

Wie schwierig und unausgegoren die derzeitigen politischen Weichen sind, wenn es darum geht, von fossilen Brennstoffen hin zu nachhaltigeren Energieformen umzusteigen, hat die Gesprächsrunde "Energiewende!" gezeigt. Aktivist/innen, Unternehmer und Forscher/innen haben Schwierigkeiten aufgezeigt beim Lukrieren von Forschungsgeldern, bei der Organisation von brauchbaren, neuen Technologien und beim Herstellen der notwendigen Expertise für Investitionen. Auch die Aufklärungsarbeit auf politischer Ebene ist weiterhin ein wichtiges Thema. Was die kommenden Jahre hin zum oft zitierten, am nächsten liegenden "Zukunftsjahr" 2020 diesbezüglich bringen werden, blieb unklar. Auch hier fällt es - wie bei den meisten politischen Gesprächen derzeit, am Elevate und überall anders - schwer, einen positiven Ausblick zu zeichnen, ohne gleichzeitig mit naiver Hoffnung und utopischen Wünschen zu kokettieren. Immerhin ist trotz gedrückter Stimmung der Konsens da, dass viel Aktivität und Arbeit von allen notwendig ist.

Plug & Pray

FM4 beim Elevate Festival 2011
Wir berichten noch bis Sonntag live aus Graz sowie in einer Spezialstunde am Dienstag Abend.

Passend zum Panel der Technikzukunft hat Freitag Abend, nach den Gesprächen, dann das erste Filmscreening des Elevate Festival 2011 stattgefunden. Der deutsche Filmemacher und ehemalige Fernsehjournalist Jens Schanze war in Graz vor Ort, um "Plug & Pray", seinen Film über den Computerpionier und Technikkritiker Joseph Weizenbaum vorzustellen. Weizenbaum hat in den 1960er Jahre ELIZA entwickelt, eines der ersten Softwareprogramme, das sich mit künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt hat. Für Weizenbaum war das schon wenige Jahre danach der Geist, den er rief und nie wieder los werden würde. Bis zu seinem Lebensende hat sich der streitbare Techniker und Philosoph dem Hochmut jener Menschen entgegengesetzt, die Wert und Wesen des Menschen herabsetzen und ihn quasi als reproduzierbare Maschine begreifen. Weizenbaums Gegenspieler im Film sind - wenn auch nicht im direkten Aufeinandertreffen sichtbar - unter anderem der US-amerikanische Transhumanist Raymond Kurzweil und der japanische Humanroboterforscher Hiroshi Ishiguro.



"Plug & Pray" kann auf DVD direkt über Jens Schanzes Filmfirma bestellt werden. Von Samstag bis Montag werden weitere Dokumentarfilme beim Elevate Festival gezeigt - bei freiem Eintritt.