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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 10. 2011 - 22:01

Fußball-Journal '11-118.

Worte, Taten, Konsequenzen. Der ÖFB erreicht das 21. Jahrhundert.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einer Analyse der eben beschlossenen ÖFB-Strukturreform.

Vergleiche dazu auch das Fußball-Journal '11-97 vom 7. 9.: Zehn Maßnahmen für den Herbst 2012.

Heute am späteren Nachmittag hat das ÖFB-Präsidium, terminlich schlau, weil fast unbemerkt, ein Programm abgesegnet, das die Grundlagen für eine totale Strukturreform festschreibt.
Womöglich.
Denn natürlich ist das alles noch Papier; und nur so stark wie das schwächste Umsetzungs-Glied.

Im Wesentlichen sagt dieser Beschluss, dass die bislang durchaus brauchbare Arbeit rund um die ÖFB-Nachwuchs-Mannschaften jetzt auch auf das A-Team ausgedehnt wird.
Das war bisher die beliebteste Spielwiese der alten Ex-Spieler/Experten/Trainer-Seilschaft und somit völlig von jeder modernen Trainingslehre oder sportwissentschaftlichen Entwicklung abgeschnitten. Eine Feder im Wind des Zufalls, ein Spielball der fußballerischen Reaktionäre, die in einem steinzeitlichen Stadium des Vertrauens auf Gottesurteile verharrten.

Aufräumarbeiten im angestaubten Hütchenaufstellertum

Im Detail legt der ÖFB damit die Arbeitsteilung zwischen Teamchef, Sportdirektion und Nachwuchs-Leitung fest. Einiges bedarf noch einer mit Leben erfüllten Klärung.
Einiges ist aber allein durch diese Installierung bereits unumkehrbar.

Etwa die zu erarbeitende einheitliche Spiel-Philosophie. Kein Einheits-System wohlgemerkt, sondern die Basis für eine österreichische Spielkultur, die bis in die Akademien hineinwirken soll. Ein ehrgeiziges, aber dringend nötiges Projekt, denn das viele fantasielose Larifari, das bislang den heimischen Kick definiert, ist einer seiner Sargnägel.

Wichtig für die Praxis: die Betreuerstäbe werden evaluiert. Statt hütchenaufstellenden Assis ohne Kompetenz (außer jener, dass sie von Seilschaftlern hineingedrückt wurden) kommen echte Spezialistenteams. Kondi-, Mental-Coaches, auch Sportwissenschaftler, Sportpsychologe, Sportmediziner, Scouts und Spiel-/Videoanalysten. Klingt nach nichts Besonderem, weil natürlich jeder größere Verein und jeder bessere Verband auf diese Expertisen zurückgreift.
Im ÖFB ist vieles davon Neuland, erschreckenderweise.

Ein neuer Teamchef allein wäre eben zu wenig...

Die meisten Punkte definieren die Arbeitsfelder von Sportdirektor und Teamchef, auch hier sind die meisten (nach internationalen Maßstäben) reine Selbstverständlichkeiten - wenn man die Teamchef-Checklist aber etwa auf die Ära Constantini anwenden würde, kommen einem angesichts der offensichtlichen Lücken rückwirkend die Grausbirnen.

Ziel: raus aus dem Spatzen-Pulk, zwar nicht mit den Adlern, aber zumindest mit den Falken kreisen, unter die Top 30 kommen, das A-Team in eine Endrunde führen.
Ist bis 2016/18 möglich.

Der große Nachteil dieses Konzepts ist natürlich, dass es (wie alle öffentlichten Papiere) nicht genug Klartext sprechen kann und Punkt für Punkt darlegt, wie man personell und auch struktruell umrühren wird - das geht allein aus rechtlichen oder vertragstechnischen Gründen nicht.
Deshalb ist der folgende Check ein wenig unfair - ich halte es aber trotzdem für nötig.

Der Bezugsrahmen wären die Zehn Maßnahmen für den Herbst 2012, das Fußball-Journal '11-97 vom 7. 9., die teilweise ganz konkret waren.

Maßnahme 1: Hauptamtlichkeit der Mitarbeiter

Es wurde zwar nirgends erwähnt; und: offiziell existieren sie ja nicht, die vielen Nebenjobs der aktuellen ÖFB-Trainer. Willi Ruttensteiner hält entsprechende Listen ja sogar für Lügen. Nachdem unlängst sogar ÖFB-Präsidiums-Mitglied Hans Rinner, der Bundesliga-Präsident, ganz öffentlich die Nebenjobs von Didi Constantini selber - rückwirkend - als massives Problem dargestellt hat, das künftig nicht mehr auftreten dürfe, halte ich diesen Punkt für de facto erledigt. Sofern sich die ÖFB-Reformer selber ernst nehmen.

Einzig Leo Windtner wird der letzte Amateur unter hauptamtlichen Voll-Profis bleiben.

2) Die Installierung eines Sportdirektors

... ist durch die Aufwertung von Willi Ruttensteiner, vormals technischer Direktor, erfolgt.

3) Installierung eines Jugend-Koordinators

Der da eingeforderte handlungsaktive Koordinator, der sich auch um die jungen Legionäre kümmert, kommt nicht. Diese Agenden hat Ruttensteiner direkt an sich gerissen. Er könnte aber Thomas Janeschitz als zuständigen Abteilungsleiter aufwerten.

4) Persistenz des Challenge-Projekts

Davon ist interessanterweise nicht die Rede. Statt der konkreten Aktion existiert folgender schwammige Punkt: "Die individuelle Förderung der Spieler, auch in der Persönlichkeits-Entwicklung, wird weiter intensiviert. Damit soll ein Fokus auf die Entwicklung von Führungsspielern gelegt werden." Das klingt verdächtig unkonkret.

5)&6) Neues Jugend-Coach-System ohne Versorgungsposten

Siehe Punkt 1, siehe auch das Versprechen der Spezialistenteams. Wie schnell der ÖFB alle von der Seilschaft zwecks Versorgung reingeschobenen Hütchen-Aufsteller los wird, wird einen Fingerzeig auf die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens geben.

7) Einführung der Jahrgangs-Realität

Davon ist nirgendwo die Rede.
Allerdings haben Ruttensteiner/Koller in allen Wortmeldungen fast schon überbetont, dass die Kommunikation zwischen den Jugend-Trainern gerade bei jahrgangsübergreifenden Fällen von zentraler Bedeutung ist.
Auch hier: die Praxis wird die Ernsthaftigkeit der Beteuerungen weisen.

8) Installierung eines Team-Managers

Ist nicht passiert. Die "Bierhoff"-Agenden haben sich Koller und Ruttensteiner gut aufgeteilt. In dieser Kombination könnte das auch funktionieren.

Punkt 9) und 10) sind hingegen bereits erledigt

Da ging es um ein sehr präzises Anforderungs-Profil des neuen Teamchefs und um das dringend nötige Festlegen einer Philosophie.

Fazit:

Das und die Installierung eines handlungsfähigen Sportdirektors, drei von zehn Punkten also: abgehakt.
Einige andere Punkte wurden und werden angegangen, anders oder informeller gelöst.
Einiges andere steht noch aus.

Anfang November, anlässlich der nächsten Kadernominierung (für das Länderspiel in der Ukraine) soll etwa das dann schon großteils feststehende neue Betreuerteam präsentiert werden. Noch dieses Jahr sollte auch klar sein, welche Trainerstäbe mit den Nachwuchs-Mannschaften die neue, bis dahin auch schon entwickelte Philosophie umsetzen sollen. An der Kompromisslosigkeit dieser Reform-Freudigkeit wird sich dann schon einiges bemessen lassen.