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23. 10. 2011 - 17:31

Freelancer in Prishtina

Reporter '11: Teresa Reiter mit einem Reisebericht aus Serbien und dem Kosovo

von Teresa Reiter

Die Tageszeitung Die Presse schickt jedes Jahr Nachwuchsreporter um die Welt. Letztes Jahr konnteTeresa Reiter mit ihrem Vorhaben überzeugen und ist Reporter'11-Ost-Gewinnerin.

„Warum willst du bitte in den Kosovo?“, war die häufigste Reaktion von Freunden und Familienmitgliedern, als ich von meinem Vorhaben berichtete über Musikszene und Jugendkultur in Serbien und im Kosovo zu schreiben. Die Frage allein zeigt, dass wir hier in Österreich nicht einmal eine leise Ahnung davon haben, wie es in den Ländern Ex-Jugoslawiens heute aussieht. Serbien und Kosovo - zwei Staaten, deren internationaler Ruf sich meistens auf Assoziationen mit dem Krieg beschränkt, haben jedoch so viel mehr zu bieten als eine schlimme Vergangenheit.

First Exit Novi Sad

Das Erste, was ich von Serbien sah, als ich im Morgengrauen aus dem Zugfenster blickte, waren unendliche Ebenen. Felder, so weit das Auge reichte, und sonst erst einmal nichts. Zusammen mit Wieland Schneider kam ich viel zu früh an diesem Tag in Novi Sad an. Die Stadt machte den Eindruck kollektiver Verkaterung.

Novi Sad

Teresa Reiter

Novi Sad

Das jährlich auf der Festung Petrovaradin stattfindende Exit-Festival hatte in der Nacht zuvor begonnen und nun krochen seine Besucher langsam aus ihren Schlaflöchern. Als wir drei Tage, einige Interviews und Konzerte und eine Menge serbisches Bier später das Festival und Novi Sad hinter uns ließen, sahen wir wohl auch nicht viel munterer aus als die anderen Exit-Zombies. Aber es wäre gelogen zu sagen, das wäre es nicht wert gewesen.

Belgrad

Es gibt kein besseres Wort für pulsierenden Ex-Yu-Urbanismus. Die stelleweise fragwürdige Stadtplanung und der lockere Umgang mit Verkehrsregeln verursachen Chaos auf den Straßen, das aber keinen in der Stadt zu stören scheint.

Belgrad (Abendstimmung)

Teresa Reiter

Belgrad

Vom Dach des Bigz-Kulturzentrums, wo wir die serbische Surfrockband Threesome kennengelernt hatten, erlebte ich einen meiner Top-Drei-Sonnenuntergänge aller Zeiten. Jeden Abend zieht es unzählige Menschen auf die Festung Kalemegdan, um das Feuerwerk an Farbtönen - hauptsächlich verursacht durch die heftige Luftverschmutzung - zu beobachten.

Die Grenze im Fluss

Es kühlte nicht und nicht ab. Bei 44 °C Hitze kamen wir schließlich in der geteilten Stadt Mitrovica an. Mitte Juli waren die Grenzübergänge im Norden der Stadt noch frei passierbar. Mittlerweile ist das anders.

mitrovica brücke

Teresa Reiter

Mitrovica Brücke

Die unmittelbare Nachbarschaft von Serben und Albanern in Mitrovica hatte bereits in der Vergangenheit für Zündstoff gesorgt. Als Wieland und ich in Mitrovica ankamen, war von den Konflikten, die in den folgenden Monaten für Unruhe in der Gegend sorgen sollten, noch nicht viel zu bemerken. Im Grenzfluss stehend betrachtete ich die beiden Seiten der Stadt. Man fühlte ein wenig, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dieser Eindruck vertiefte sich in den nächsten Stunden, als wir ein Projekt der niederländischen NGO Musicians without Borders besuchten.

Die Mitrovica Rock School fördert junge Rockbands auf beiden Seiten der Stadt. Junge Musiker lernen, im Rahmen des Projektes ihre Instrumente besser zu beherrschen und sich als Band zu organisieren. Ein wichtiges Ziel der Mitrovica Rock School ist es auch junge Leute von beiden Seiten zusammenzubringen. Es klappt im Rahmen der Möglichkeiten. Facebookfreundschaften entstehen, man schickt sich gegenseitig Songs, aber niemals überqueren sie den Fluss. Es bleibt zu hoffen, dass sich das irgendwann in der Zukunft ändern wird. Die gegenwärtigen Unruhen nördlich von Mitrovica schüren jedoch Zweifel daran, dass diese Stadt bald ihren Frieden finden wird.

Freelancer in Prishtina

Schließlich und endlich gelangten wir nach Prishtina - meine bisher größte Liebe am Balkan. Der leicht zwielichtige Charme der Stadt zog mich umgehend in seinen Bann. Hatte ich zuvor die serbischen Straßenverhältnisse für chaotisch gehalten, wurde ich hier mit dem Extrem bekanntgemacht: Fußgänger mitten auf der Fahrbahn, parkende Autos überall auf den Gehsteigen und Taxifahrer, die offenbar für den Teufel höchstpersönlich arbeiten.

In Prishtina trafen wir erst einmal drei Viertel der Rockband The Freelancers. Für uns waren sie keine Unbekannten mehr, schließlich hatten sie eine Woche zuvor als erste kosovarische Band seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auf dem Exit Festival gespielt. In Prishtina haben The Freelancers eine Menge Fans, zu denen allerdings zumindest einer nicht gehört. Memli Krasniqi, der kosovarische Kulturminister (früher Teil des HipHop-Duos Ritmi i Rrugës) hatte im Juli noch keine Ahnung, wer die Freelancers sind. Allerdings gab er uns freundlicherweise ein Interview zur Situation der Jugend im Kosovo. Eine Arbeitslosenquote von fast 50 Prozent ist kein Spaß für das Land mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerkerung Europas, das gibt auch Memli Krasniqi zu. Im Gespräch mit uns unterstrich er jedoch die Bemühungen der Regierung, diesem Missstand entgegenzuwirken.

The Freelancers

Berin Hasi

The Freelancers

Du willst deine Geschichte schreiben und weißt auch schon, wo es hingehen soll? Mit dem Bewerb Reporter'12-Ost will „Die Presse” den Ländern Ost- und Südosteuropas stärker Gehör verschaffen. Der Gewinner oder die Gewinnerin von Reporter'12-Ost reist mit dem Südosteuropa-Experten der „Presse”, Wieland Schneider, in die vorgeschlagene Destination.

Journalistisch war die Reise etwas völlig Neues für mich. Für gewöhnlich stehe ich bei der Recherche und während des Schreibens nicht unter so intensiver Beobachtung. Das war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, stellte sich aber später als recht praktisch heraus, konnte ich doch auf den Erfahrungsschatz, über den Wieland Schneider in Sachen Reisen am Balkan verfügte, täglich zugreifen.

Im Vergleich zu den anderen beiden Gewinnern des Wettbewerbs hatte ich immer das Gefühl weniger geplant zu haben und weniger im Voraus über meine Geschichte zu wissen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was am Ende des Tages dabei herauskommen würde. Rückblickend war das nicht die schlechteste Art, diese Sache anzugehen. Zu viel Vorwissen kann belastend sein. Ausgestattet mit einer gewissen Naivität erforschte ich die beiden Länder Schritt für Schritt.

Und dann? Zwei Tage, nachdem ich nach Wien zurückgekehrt war, kaufte ich bereits mein nächstes Zugticket nach Belgrad. Ich bin wohl das, was Knut Neumayer von der Erste Stiftung so treffend als „angejunkt“ bezeichnet hat.