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Roland Gratzer

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21. 10. 2011 - 15:57

Die Optimismuskeule

Das diesjährige Elevate Festival widmet sich niemand geringerem als der Zukunft. Bei der gestrigen Eröffnung drehte sich alles um Optimismus. Harter Stoff für das zynische Österreich.

"Früher hat es eine sechzigprozentige Möglichkeit gegeben, durch einen anderen Menschen zu sterben. Heute sind es nur mehr 0,3 Prozent." Der britische Buchautor und Comedian Mark Stevenson macht Hoffnung. Und diese Hoffnung wollte der Co-Moderator der gestrigen Elevate-Eröffnung mit dem Publikum teilen.

Es ist wieder diese Zeit des Jahres, in der der Grazer Dom im Berg knackevoll ist. Und das ohne irgendeinen musikalischen Superknaller. (die sind natürlich auch da, aber lesen Sie das bitte beim Kollegen L'Heritier nach).

Elevate Publikum

Elevate Festival

Hölle los im Dom.

Infos zu Programm und Party gibt es (no, na net) auf der Elevate-Website

Die Massen sind gekommen, um sich mit ökonomischen, ökologischen, politischen und gesellschaftlichen Lösungsansätzen für die Probleme unserer Zeit zu beschäftigen. Normalerweise spricht das im Durchschnitt genauso viele Leute an, wie auch auf dem Podium sitzen. Dass im Dom trotzdem kein Sitzplatz frei war, verdankt das Elevate seinem glücklichen Händchen bei der Auswahl der Moderatoren. Heuer waren das eben Mark Stevenson und maschek-Drittel Robert Stachel. Hier der britische Optimist, der dem Zynismus den Kampf ansagt, dort der latent grantelnde österreichische Pessimist. Gewagte Moderations-Strategie, voll aufgegangen.

"Zyniker sind part of the problem"

FM4 beim Elevate Festival 2011
Wir berichten von Donnerstag bis Sonntag live aus Graz.

Denn Stevenson spart nicht mit dankbar zitierbaren Merksätzen. "Wir brauchen eine Renaissance der Renaissance" zum Beispiel. Oder: "Zynismus ist wie Rauchen. Es schaut cool aus, schadet aber dir und den Menschen in deiner Umgebung." Der Durchschnitts-Österreicher kann mit solchen Menschen nichts anfangen. Dem charmanten Stephenson verzeihen das aber alle. Selbst über die kritische Anmerkung einer Besucherin am Elevate-Sponsor Raiffeisen rettet er sich mit amüsant hilflosem Hüsteln.

Mark Stevenson

Elevate Festival

"Do kennt jo jeder kumman und uns wos va Optimismus dazöhn."

Die positiv grinsende Menge war nun bereit für den Hauptredner. Das Elevate bleibt seiner Tradition treu und hat sich auch heuer einen Inhaber des alternativen Nobelpreises geholt, der nicht mehr zur Witchhouse-Zielgruppe gehört. Johan Galtung, ein 81jähriger Norweger und Begründer der Friedensforschung. Er eröffnet seine Rede mit dem aktuellsten Thema des gestrigen Tages: dem Tod von Gaddafi.

It's (mal wieder) the economy, stupid!

Blitzschnell schweift eine seltsame Wolke der Irritation über das Publikum. "Finden wir das nicht eigentlich gut, dass der endlich tot ist? Schließlich war er ja ein Despoten-Arschloch." Viele mögen so denken, Galtung tut das nicht. Seiner Meinung nach ist das Nato-Engagement im libyschen Bürgerkrieg kein Ausdruck von Menschenliebe, sondern ausschließlich ökonomisches Kalkül. Die staatliche Zentralbank abschaffen, private und kontaktfreudige Privatbanken installieren, sich Afrika zurückholen. Diese Gründe nennt Altung und erklärt mir später im Interview, dass Gaddafi sehr wohl Gutes getan habe und eben vor 20 Jahren in den Ruhestand hätte treten sollen. Lockerbie hätte er dann aber trotzdem in Auftrag gegeben.

Bei Altung ist dieses Verständnis für Männer wie den Mann mit dem goldenen Colt allerdings kein Ausdruck einer altersbedingten Ignoranz-Seligkeit, sondern Teil seiner jahrzehntelangen Arbeit als Friedensvermittler. "Wer wirklich Frieden will, muss mit allen Parteien reden. Egal, ob die jetzt Hamas, Hisbollah oder Pentagon heißen."

Nichts leichter als ein Demokratie-Zertifikat

Mit freundlich großväterlichem Ton und riesiger Brille redete sich Galtung am Podium langsam in Rage. Demokratie würde viel zu oft missbraucht werden, um Töten zu legitimieren. Überhaupt sei heutzutage nichts leichter, als von der UNO ein "Demokratie-Zertifikat" zu erhalten. Jeder Despot (und dieses Wort wird jetzt absichtlich nicht gegendert) kann schnell drei, vier Parteien installieren, sowas wie Wahlen abhalten und alle vier Jahre gewinnen. Danach kommen die Vereinten Nationen und hauen ein demokratiepolitisches AMA-Gütesiegel drauf. Fertig.

Johan Galtung

Elevate Festival

Das großväterliche Aussehen täuscht. Dieser Mann ist auf einer Mission. Seit über 60 Jahren.

Auch wenn er immer wieder betont, dass alle Interessensgruppen gehört werden müssen, sind seine Feinde klar definiert: USA. "Ich weiß die Zahl, wieviele Menschen die USA schon umgebracht haben, aber ich sage sie euch nicht." Kluger Reden-Schachzug, allerhand. Obama nannte er nur "Nobama" und ortet im republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ron Paul den einzigen mit Potential. "Nur, weil jemand schwarz ist, ist er nicht automatisch progressiv." Das Publikum griff zum Smartphone, viele haben das dann aber doch nicht getwittert.

Galtung gibt gerne Prognosen ab. Anfang der 80er Jahre prognostizierte er den Fall des Eisernen Vorhangs innerhalb der nächsten zehn Jahre. Zehn Jahre später ging er davon aus, dass entweder die Grünen oder der Islam zum Staatsfeind Nr. 1 des Westens gekürt werden. Und jetzt spricht er nur mehr davon, dass "das amerikanische Imperium ab 2020 untergehen wird".

Seine Lösungsansätze sind leicht erklärbar: Galtung fordert eine "Weltdemokratie". Also sowas wie die UNO, nur mit echter Macht und Partizipation und das Ende des vermaledeiten Veto-Rechts. Wirtschaftlich fordert er einen Boykott aller "bösen" Finanzinstitute und die Installation von echten Sparkassen. Also Geldhäusern, die auf das gesparte Geld der Kunden aufpassen und Kredite vergeben, anstatt mit Derivaten verantwortungsloses Glücksspiel zu betreiben.

Robert Stachel

Elevate Festival

Zwei bärenstarke Typen.

Die Rede war vorbei und Galtung nach ein paar Interviews schon am Weg nach Kolumbien, um die dort aussichtslose Situation zwischen Arm und Reich irgendwie zu verbessern. Auf meine Frage, ob es in den letzten Jahrzehnten denn irgendwie besser geworden sei, meinte er nur: "Es kommen neue Krankheiten. Ist es wirklich besser, an einem Herzinfarkt zu sterben als an Malaria? Ich weiß es nicht. Ich will nur das Leben der Menschen verlängern."

Elevate

Elevate Festival

Das Schlusswort gehört dem Papst.

Dass es eigentlich um Optimismus gegangen war, haben die meisten schon vergessen, als Stevenson und Stachel wieder die Bühne betreten. Zwei Skype-Interviewpartner später kommt endlich der befreiende Brüller. Live-Grußbotschaften von Werner Faymann und Papst Benedikt (ja, der Herr Stachel hat das live gemacht) und die Menge tobt.

Zwei Stunden Content und trotzdem gibt es noch keinen Sitzplatz. Danke, Elevate.