Erstellt am: 19. 10. 2011 - 19:05 Uhr
Journal 2011. Eintrag 189.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Eintrag, der sich anläßlich der Medientage München und einer Diskussion beim #sbsmCamp nachgerade aufdrängt.
Ich weiß, ich habe unlängst hier von der Nicht-Bedeutung von Medientagen erzählt; von österreichischen.
Bei den deutschen hör ich gerne gut zu. Etwa bei der alljährlichen, immer live im BR-Fernsehen übertragenden Elefantenrunde zur Eröffnung der Medientage München. Die fand heuer allein durch die Wahl des Moderators (Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy statt Fakten-Focus-Poseur Markwort) auf einem deutlich höheren Level statt, auch wenn die pointierten Fragestellungen die Highlights blieben.
Zwischendurch hab ich einmal wirklich aufgehorcht. Florian Haller, den Chef der Werbeagentur Service-Plan, der auch die Keynote gehalten hatte, die sich wie seine Wortmeldungen ausschließlich auf den Standpunkt der werbetreibenden Industrie formulierte.
Von Tichy gefinkelt auf seine Sicht der Zukunft von kritischem Journalismus angesprochen, gab er ein allgemeines Lulu-Statement (wichtig, nicht gefährdet) ab und verwendete, auf der Suche nach einem Gegensatz-Begriff dazu das Wort "Marketingjournalismus".
Es ist ihm so rausgerutscht, dieses verräterische Ding.
Medientage, Social-Media-Camp...
Kaum mehr als zwei Stunden später habe ich eine vergleichsweise auf MickyMaus-Ebene stattfindende Veranstaltung, das vom ÖGB organisierte Camp für soziale Bewegungen und Social Media besucht, um mir da ein Panel mit dem schönen Titel Postjournalismus anzuhören. Der hierzulande von Michel Reimon forcierte Begriff bezeichnet so ziemlich dasselbe wie Hallers Marketing-Journalismus, auch wenn das, was der positiv besetzt sieht, von der gänzlich anderen, kritischen Seite ausgeleuchtet wird.
Der Marketing-, der PR-, der Copy/Paste, der Postjournalismus geht von den aktuellen Meta-Trends aus: Boulevardisierung, Infotainment-Diktat, der Druck des journalistischen Arbeitsmarktes, das Diktat der Anzeigenabteilungen und Verlagsinteressen, das Wegbrechen klassischer Geschäftsmodelle, die Annäherung von PR und Journalismus, die Professionalisierung der politischen PR, die ungesunde Medienkonzentration uvam.
Das was in diesem Zusammenhang medial stattfindet, so die These, habe mit Journalismus nicht mehr zu tun, ebenso wie die heimische Realverfassung zuwenig mit der Idee der Demokratie zu tun habe. Deshalb das Post- von der Demokratie und eben auch vor dem Journalismus.
Die Untiefen des Postjournalismus
Es geht dieses These, so wie ich sie verstehe, nicht darum weitere Abgrenzungen, Ghettos und damit Verwirrung zu schaffen, sondern darum den Ist-Zustand einmal mit den korrekten Vokabeln zu versehen.
Denn allerspätestens nach Flat Earth News sollte allen klar sein, dass die Kriterien die das 20. Jahrhundert für Journalismus bereithielt nichts mehr gelten.
Nick Davies hat uns da auch auf die völlige Gleichschaltung von Boulevard und Qualität aufmerksam gemacht, eine Tatsache, die vor allem in Österreich nicht akzeptiert werden will. Der Vorschlag die Bruch/Trennlinie hier zu verfestigen, schrammt an den Realitäten vorbei. Der Marketing-Journalismus, der Postjournalismus hat längst den sogenannten Qualitätsmarkt erreicht und seinen Verlockungen erlegen gemacht.
Die Verteilungs-Kämpfe die vor allem der Print-Sektor hier noch führt (hier etwa das, was dem "Standard" zu seinen MA-Verlusten und den gleichzeitigen Gewinnen von "Heute" einfällt...), sind ebenso wie die in München angesprochenen Regulierungs-Schlachten (um bei einem dort verwendeten Bild zu bleiben) Kindergezeter im Sandkistl, das den daherrollenden Bulldozer übersieht.
Sich das Hobby Journalismus leisten können...
Für den Journalisten bedeutet das weiterhin, dass sich diejenigen, die hochwertig oder erfüllt arbeiten wollen, das mit Selbstausbeutung oder der Akzeptanz eines Brotjobs erkaufen müssen. Das war allerdings (und das sage ich im Wissen um die Zustände in den heute zu Unrecht glorifizierten 80ern) nie anders. Den Weg des geringsten Widerstands zu gehen ist und war gleichbedeutend mit dem Verzicht auf journalistische Widerständigkeit.
Die sieht Reimon im übrigen als einzige Lösungsmöglichkeit. Andere Panel-Teilnehmer (wie wientv.org-Mann Wolfgang Weber) sehen die Zukunft eines Nicht-Marketing-Journalismus im rein hobbyistischen Bereich auf individueller Basis.
Das aktuelle Medien-System, vor allem das österreichische, verlangt ja gar keine Qualität mehr (auch weil alles nix kosten darf) - wenn sie trotzdem passiert, ist das Zufall. Und auch wenn es nichts kostet, aber die Gefahr nach sich zieht Inserenten zu verärgern.
Denn die, und also wieder die Werbe-Industrie und die dahinterstehende Wirtschaft, sind es, die die Sprüche von der Unabhängigkeit der Medien jeden Tags aufs Neue als Lebenslüge entlarven. Dazu braucht es gar keine Minister-Anzeigen für Fellner/Dichand.
In diesem Zusammen-hang auch interessant: der Relaunch von "News".
PS:
Eine Teilnehmerin des nächsten Panels erzählt mir dann zwischen Tür und Angel, dass sie jüngst Blattkritik bei einer großen Qualitätszeitung gemacht und dort ihre Botschaft vermitteln hätte: mehr Angriffigkeit was Standpunkt und Meinung betrifft; die vielen dafür vorhandenen Gefäße auch nützen. Das wäre nicht so gut angekommen, sagt sie dann.