Erstellt am: 17. 10. 2011 - 17:11 Uhr
OccupyLSX
Dies ist der Bericht eines Abwesenden. Sagen wir es gleich, wie ist ist: Ich war nicht dabei, als am Samstag eine bunte Menge von DemonstrantInnen den Paternoster Square vor der London Stock Exchange zu besetzen versuchte.
Aber danach zu schließen, was ich so im Radio höre und im Fernsehen sehe, hab ich offenbar mehr davon mitgekriegt, als so manche „vor Ort“ berichtende KollegInnen, die vergeblich auf die fotogene große Randale warteten bzw. jener Reporter, der heute in den Morgennachrichten der BBC behauptete, es sei schwer herauszufinden, was die Protestierenden eigentlich erreichen wollten.
Das war es natürlich nicht. Wie auch die Uni-Besetzungen vor einem Jahr bzw. seither, ist die Londoner Variante der Occupy Wall Street-Bewegung in Sachen medialer Kommunikation ziemlich gut aufgestellt, und wer auch nur ein flüchtiges, geschweige denn irgendwie als journalistisch zu bezeichnendes Interesse an dieser Aktion zeigt, wird zum Beispiel über die Website von OccupyLSX stolpern, wo heute ein von 500 Leuten beschlossener, ziemlich klarer Katalog an Feststellungen und Forderungen nachzulesen ist.
Occupylsx
Ich darf übersetzen:
„1 Das derzeitige System ist nicht aufrechtzuerhalten. Es ist undemokratisch und ungerecht. Wir brauchen Alternativen; dies ist, wo wir darauf hinarbeiten.
2 Wir vereinen alle Nationalitäten, Herkünfte, Gender, Generationen, Sexualitäten, körperliche Fähigkeiten/Behinderungen und Glaubensrichtungen. Wir sehen uns verbündet mit Besetzungen auf der ganzen Welt.
3 Wir weigern uns, für die Krise der Banken zu bezahlen.
4 Wir akzeptieren die Kürzungen nicht als notwendig oder unvermeidlich. Wir verlangen ein Ende der globalen Steuerungerechtigkeit und der Unterstützung von Konzernen anstatt des Volkes seitens unserer Demokratie.
5 Wir wollen, dass die regulativen Organe tatsächlich von den Industrien unabhängig sind, die sie regulieren.
6 Wir unterstützen den Streik am 30. November und die StudentInnen-Aktionen am 9. November, sowie Aktionen zur Verteidigung unseres Gesundheitssystems, der Wohlfahrt, der Bildung und der Beschäftigung, zur Beendigung von Kriegen und Waffenhandel.
7 Wir wollen strukturelle Veränderung in Richtung einer authentischen globalen Gleichheit. Die Ressourcen der Welt müssen der Bevölkerung und dem Planeten, nicht dem Militär, den Profiten der Konzerne und der Reichen zu Gute kommen.
8 Wir bekennen uns solidarisch mit den Unterdrückten der Welt, und wir rufen zu einem Ende der diese Unterdrückung verursachenden Handlungen unserer Regierung auf.
9 So sieht Demokratie aus. Kommt und macht mit!“
Also, für eine Bewegung, die alles von Quäkern über MarxistInnen bis zu Spontanentrüsteten beinhaltet, finde ich das vorerst einmal eigentlich ziemlich konkret.
Occupylsx
Natürlich hat jedeR die Möglichkeit, der Sache so wie ich per Twitterfeed als geographisch entfernter Zaungast beizuwohnen und Dinge herauszufinden, die dem Korrespondenten vor Ort bisher verschlossen geblieben sind.
Ist zugegebenermaßen auch auf jeden Fall wärmer, als in einem der rund 100 Zelte auf dem Platz vor der St. Paul's Cathedral zu übernachten.
Worauf sich die verschiedenen AugenzeugInnen in Funk, Fernsehen und Internet bisher einigen konnten, ist jedenfalls dass...
...sich am Samstag zwischen 3000 und 9000 Leute in der City versammelten, um den Paternoster Square vor der London Stock Exchange zu besetzen
…die Polizei sie davon abhielt, zumal jener Platz erstaunlicherweise Privateigentum ist.
… der Zug daraufhin vor der St. Paul's Cathedral zum Stehen kam und Julian Assange zur Menge sprach.
… die Polizei die DemonstrantInnen von der Treppe vor der Kathedrale verjagte.
… der Domherr von St. Paul's Reverend Giles Fraser die Polizei daraufhin wissen ließ, dass die DemonstrantInnen willkommen seien, die Polizei dagegen gehen solle.
Occupylsx
Wie effektiv die Aktion sein wird, ist noch nicht ganz abzusehen, aber ich stelle mir vor die Gegend rund um die Londoner Stock Exchange ist nicht nur eigentumsrechtlich, sondern auch geographisch wesentlich weniger zur Besetzung geeignet als das Nadelöhr Wall Street. Andererseits gibt es nach Verlautbarung der gerade auf einen 17-jährigen Höchststand von 2,75 Millionen gestiegenen Arbeitslosenzahl auch eine große Menge an Leuten, die neuerdings die unerwünschte Muße haben, an der Besetzung teilzunehmen.
Bevor ich hier aber weiter Ferndiagnosen aufstelle, werde ich diese Woche, so weit es sich ausgeht, dann wohl doch noch vor Ort vorbeischauen. Vielleicht seh ich da ja dann Dinge, die der BBC-Typ vor der Kamera mit Rücken zum Geschehen nicht so bemerkt.