Erstellt am: 17. 10. 2011 - 18:13 Uhr
Stalinistische Ermittlung
Man muss sich Tom Rob Smith als glücklichen, zumindest als erfolgreichen Autor vorstellen. Im vergleichsweise zarten Alter von 28 Jahren hat er mit dem Krimi "Kind 44" den ersten Teil einer weltweit erfolgreichen Trilogie veröffentlicht, die nun mit "Agent 6" ihren Abschluss findet. Bei all den üblichen globalen Bestseller-Nebengeräuschen (in 36 Sprachen übersetzt, die Filmrechte schon an Ridley Scott verkauft, Millionenauflage, internationale Lesereise etc.) brechen die drei Romane rund um den KGB Offizier so ganz nebenbei gleich mehrere Regeln, die im globalisierten Thrillerbusiness zwischen Stig Larsson und Dan Brown für unumstößlich gelten.
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Das Setting
"Kind 4" beginnt 1933, am Höhepunkt einer landesweiten Hungerkrise, dem Holodomor, der mehreren Millionen Menschen in der Ukraine das Leben kostete und endet in den 50er Jahren, kurz nach Stalins Tod. Das was in Krimis üblicherweise ein übellauniger Kommissar, Ex-Polizist oder Privatdetektiv übernimmt, das Ermitteln nämlich, überträgt Tom Rob Smith auf den KGB Offizier Leo Demidow, der seine Aufgaben Bespitzeln, Verhören, Foltern mit zunehmenden Zweifel an der der Verhältnismäßigkeit der Mittel durchführt.
Die Karriere im stalinistischen KGB ist vorbildhaft. Seine Frau Raissa unterrichtet, ideologisch sauber, an einer Schule, die Privilegien der Macht konsumiert dieser Leo Demidow nur in Maßen. Ein Vorzeigesowjet könnte man meinen. Aber natürlich kommt es anders, und natürlich ist ein Serienmörder im Spiel. Wie es Tom Rob Smith schafft, eine Stimmung der Angst und des Misstrauens, die auch privatesten Bereiche des Lebens vergiftet, mit einem mitreißenden Thrillerplot zu verbinden, das ist beeindruckend.
Dass Ermittler stets auch selbst gebrochene Figuren sind, das ist schon spätestens mit der amerikanischen Hard Boiled Fiction zum Standard geworden. Tom Rob Smith geht aber noch einen Schritt weiter: Die Ermittlung selbst ist von den äußeren politischen Umständen angekränkelt. Wie klärt man ein Verbrechen auf, von dem die offizielle Öffentlichkeit, gar nicht will, dass es existiert? „Unter Druck setzen“ will Tom Rob Smith seine Romanfiguren, „und dann sehen was passiert“. Zumindest im ersten Band der Demidov Trilogie gelingt ihm das atembraubend gut.
Die Figuren
Im Gegensatz etwa zu den klappernden Handlungsmechaniken des klassischen Pageturners Dan Browne’scher Machart, die notdürftig von Figuren in Gang gesetzt werden, bleibt die Figur Leo Demidow ein zweifelnder Held aus Fleisch und Blut.
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Besonders seine Frau Raissa, die im Laufe der drei Romane eine bemerkenswerte Wandlung erfährt, ist von den Frauenfiguren, die die durchnittlicheThriller-Literatur bevölkern, weit entfernt. Deren Rolle beschränkt sich meist auf liebende Ehefrau, armes Opfer, Superheldin oder Femme Fatal. Nicht so Raissa, die zwischen Angst und Schlauheit, Überlenspragmatik im Stalinregime und sachtem Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeiten, die sie umgeben, pendelt. Auch die zahlreichen Nebenfiguren, KGB Mitarbeiter, Dissidente, Provinzpolizisten, Bauern oder Kriegsgewinnler, sie werden allesamt vom Autor mit Persönlichkeit ausgestattet. Ein Luxus, der im Krimi-Genre nicht selbstverständlich ist.
Die Trilogie:
Mit "Agent 6" ist jetzt der dritte und letzte Teil dieser "sowjetischen Trilogie" auf Deutsch erschienen (Übersetzung: Eva Kemper). Er ist der vielleicht schwächste Band der Serie, aber immer noch gut genug, um sich abzuheben von den Bergen an Kriminalliteratur, die sich in den Buchhandlungen türmen. Im Zentrum steht ein afroamerikanischer Sänger, deutlich angelehnt an den real existierenden Paul Robeson, der als amerikanischer Kommunist in den 30er Jahren die Sowjetunion als Hoffnungsland bereist, und im Rahmen der US-Kommunistenhatz der 50er Jahre im wahrsten Sinne des Wortes zum Schweigen gebracht wird.
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Etwas weniger überzeugend gelingt der Zeitsprung, der Leo Demidow in den Afghanistan Krieg der frühen 80er Jahre versetzt. Auch wenn mit aktuellen Anspielungen auf die NATO Außenpolitik nicht gespart wird, greift Tom Rob Smith hier doch ab und zu in die Klischeekiste, vielleicht war sogar für diesen äußerst peniblen Rechercheur und Aufbereiter der Schauplatz zu exotisch.
Jedenfalls muss unser gebeutelter Held hier doch die eine oder andere Superagentenfähigkeit aus dem Hut ziehen, um lebend aus der Sache heraus zu kommen. Dafür gönnt ihm der Autor ein beinahe versöhnliches Ende. Das dürfte auch Hollywood freuen: Regisseur Ridley Scott hat sich dem Stoff angenommen, nächsten Sommer soll schon gedreht werden. Der Rezensent empfiehlt jedenfalls die drei Romane in ihrer Entstehungsreihenfolge zu lesen. Wenn man einmal dabei ist, kann man diese Bücher ohnehin nicht mehr weglegen. Sind ja nur Krimis.