Erstellt am: 13. 10. 2011 - 18:14 Uhr
Occupy Wall Street
Mehr zu Occupy Wall Street auf fm4.orf.at/occupywallstreet
Krisenportraits: We Are The 99 Percent
Occupy Wall Street Website
Occupy Austria - Facebook Page
Bürgerrechte und Bürgerdüfte
Es stinkt ihm, dem Bürgermeister, mittlerweile gewaltig. Und es riecht ja im Zuccotti – pardon – Liberty Park tatsächlich schon etwas streng. Der lose Haufen aus Schlafsäcken, improvisierten Krankenstationen, Food Courts, Laptops und Stromaggregaten hat zwar über die Dauer von beinahe vier Wochen den Charakter eines gut organisierten Feldlagers angenommen. Doch wo am Beginn zu wenig waren, sind jetzt zu viele. Auf jeden Demonstranten kommt ein Medienvertreter. Auf jeden Medienvertreter zwei Touristen. Anrainer beschweren sich über Müll, Gestank und die trommelden Horden, angrenzende Geschäfte über die Dauerbesetzung ihrer Klos.
Christian Lehner
Wankelmütiger Bürgermeister
Der Bürgermeister ist in Sachen OWS ein sogenannter Flip-Flopper. Je nach Zielpublikum und Medienkanal ist er dafür oder dagegen. Dem Bekenntnis zu Meinungs- und Protestfreiheit folgt in der Regel die unterschwellige Drohung, den Park räumen zu lassen, falls andere Bürgerrechte eingeschränkt werden – in etwa die Bewegungsfreiheit von Flaneuren. Signalisiert Mayor Bloomberg hier Verständnis für die Anliegen der überwiegend jugendlichen Demonstranten, zieht er dort über die seiner Meinung nach ungerechte Verunglimpfung der Wall Street Banker her, die doch in New York City so viele Jobs schaffen und Steuern für Schulen, Infrastruktur und Sicherheit berappen würden. Wie viele Jobs eben jene Banker in der großen Krise vernichtet, wie viel Steuergelder die Bailouts der Regierung verschlungen haben, während man die breite Bevölkerung im Regen stehen ließ, verschweigt der Bürgermeister hingegen. Dass das New Yorker Polizei-Department NYPD Pfeffersprays und die mittlerweile berüchtigten weißen Plastikbänder zur Verhaftungen von Demonstranten nicht zuletzt über die großzügige Spende der Morgan Chase Bank finanziert, macht sich auch nicht wirklich gut auf einer Pressekonferenz zum OWS-Thema.
Christian Lehner
Christian Lehner
Auch private Parks sind öffentliche Einrichtungen
Immerhin hat sich der Oberbürger von New York gestern erstmals im Zuccotti-Park aka „Liberty Square“ blicken lassen. Gekommen war er mit einem zwiespältigen Angebot. Einerseits garantierte er den Demonstranten das Bleiberecht, das er zuvor mehrmals mit einem Ablaufdatum versehen wissen wollte. Andererseits knüpfte er das Versprechen an eine Bedingung: Das Camp sollte morgen Freitag zwecks Reinigung, also aus sanitären Gründen, vorübergehend geräumt werden. Der „Besitzer“ des Parks, die Immobilienfirma Brookfield Proberties dränge darauf. Fast täglich intervenieren die Geschäftsleute bei Bloomberg und Polizeichef Ray Kelly.
Dabei hat die Öffentlichkeit grundsätzlich ein Recht auf die freie Benutzung nicht nur des Zuccotti Parks: Wer sich bei einem Spaziergang durch Manhattan über die zahlreichen Springbrunnen, Parkbänke und Grünstreifen vor den Wolkenkratzern freut, ahnt kaum, dass diese urbanen Rekreationsräume weniger dem Altruismus von Unternehmen zu verdanken sind, sondern auf einem Deal zwischen der Stadt und den Wirtschaftstreibenden beruhen. Stiftet man auf dem privaten Grundstück der Firma einen öffentlichen Platz, darf der Wolkenkratzer zusätzlich um einige Stockwerke wachsen. Brookfield Proberties kann also nur bedingt Eigentumsrechte im Zuccotti Park geltend machen.
Christian Lehner
Christian Lehner
Räumung am Freitag? Und Gegenstrategien
Der Ball liegt also bei der City Hall und dem NYPD und die könnten jederzeit gegen die Demonstranten vorgehen, da die OWS-Besetzungsaktion gegen eine Reihe von Benutzungsauflagen der Betreibergesellschaft und Regeln der öffentlichen Ordnung verstößt – file under Parks & Recreation. So dürfen keine Parkbänke dauerhaft belegt werden. Die Verwendung von Schlafsäcken ist grundsätzlich verboten, ebenso die Lagerung von Privateigentum usw. Occupy Wall Street ruft nun über das gut organisierte Media-Center zu Sachspenden für die Reinigung des Liberty Squares auf. Besen, Wischmop, Müllsäcke - alles ist erwünscht. Im OWS-Parlament, der täglich abgehaltenen General Assembly, wurde beschlossen, den Vorschlag des Bürgermeisters zurückzuweisen und die Generalreinigung des Parks selbst in die Hand zu nehmen. Die Aktivisten fürchten wohl nicht zu Unrecht, dass die sanitären Begehrlichkeiten von Brooksfields und der Stadt bloß ein Vorwand sind, den Park öffentlichkeitsgerecht räumen zu lassen. Deshalb wird OWS nach der selbstverordneten Reinigungsaktion am Freitag um 6 Uhr morgens zum Schutz des Camps eine menschliche Mauer um den Park errichten.
Christian Lehner
Christian Lehner
Nach zwei friedlichen Protestwochen mit viel Zuspruch aus den Medien und der Ausweitung über das ganze Land, ja den Globus, könnte es am Freitag also wieder etwas ungemütlicher werden in dem mittlerweile weltberühmten Grünstreifen nahe des World Trade Center.Typisch aktionistisch jedenfalls die OWS-Reaktion auf die Ankündigung: wer bei der friedlichen Schutzwallaktion nicht verhaftet wird, ist dazu aufgerufen, mit „Kübel und Wischmop“ zur Wall Street zu marschieren und dort unter dem Motto #wallstcleanup „aufzuwischen“.
Christian Lehner
Am Samstag ist ein von Spanien ausgehender weltweiter Aktionstag geplant - auch mit Aktivitäten in Österreich (iniitiert u.a von Occupy Austria). In New York sollen der Times Square und der Tompkins Square Park im East Village besetzt werden. Wenn es jedoch zu keinem Kompromiss zwischen der Stadt und OWS kommt, droht der jungen Bewegung tags zuvor ihr Herz verloren zu gehen.