Erstellt am: 13. 10. 2011 - 10:51 Uhr
Balthazar: "Applause"
Es wirkt schon ein wenig großspurig, wenn man als Band seinen Erstling mit einem Titel wie "Applause" etikettiert. Balthazar geizen offensichtlich also nicht mit Selbstbewusstsein, aber wenn man aus dem Land kommt, aus dem auch die weltbesten Pommes Frittes herkommen, darf man den Mund schon einmal zu weit aufmachen.
Balthazar, eine Band, von der man noch nicht viel gehört hat, stellen unser Album der Woche, das sich die nächsten sieben Tage zur genaueren Betrachtung am Plattenteller dreht.
Athos Burez
Belgien ist nicht unbedingt ein musikalisch dicht beschriebenes Blatt. Nicht mehr und nicht weniger interessant als vielleicht die Schweiz, Dänemark oder eben Österreich. Und außer einer Hand voll Aushängeschildern wie dEUS, Soulwax/Too Many DJs, Das Pop und die ein bisschen in Vergessenheit geratenen K's Choice würde einem spontan nicht viel und kaum aktuelle Exportware einfallen. Vielleicht hat man es als junge belgische Band eben nicht so leicht? Schon einmal vom "besonderen belgischen Lebensgefühl" gehört? Nein? Kein Wunder. Kopfsteinpflaster, zuckerlsüße Mittelalterbauten, eventuell noch das Modemekka Antwerpen - das verbindet man mit Belgien. Aber als Musikhauptstädte würde man Brüssel, Antwerpen oder Gent nicht unbedingt bezeichnen.
Die Crux mit der Herkunft
Die Welt scheint jedenfalls nicht auf belgische Bands gewartet zu haben. Nur so lässt sich erklären, dass das Debüt von Balthazar, das eigentlich schon im Frühjahr 2010 in Belgien und den Niederlanden erschienen ist, erst jetzt in unseren Plattenregalen gelandet ist.
Charmed
Während das Album 2010 als bestes belgisches Album angepriesen wurde, hat man über die Grenzen hinaus nur über Blogs mitbekommen, dass es da eine neue Band gibt, die man sich einmal anhören könnte. Gut, dass PIAS auf die Band aufmerksam geworden ist und dem Tonträger eine zweite Chance gegeben hat - nun darf auch der europäische Rest daran teilhaben.
Und wenn sich PIAS einer Band annimmt, dann ist das natürlich ein kleiner Ritterschlag. Da steht man eingereiht neben James Blake, Cloud Control und den fantastischen Girls im Plattenregal.
Da dürfen sich Balathazar durchaus euphorisch selbst beklatschen mit ihrem Album, auf dem elf vielseitige Lieder zu finden sind. Und das Unwort "vielseitig" ist in diesem Falle nicht nur eine gut gemeinte Worthülse.
Die Eels & das Lied, das Portishead nie geschrieben haben
Einerseits stammen von Balthazar Lieder wie "This is a Flirt", ein gut geölter „four to the floor“-Haderer, der die Band im vergangenen Jahr schlagartig bekannt gemacht hat. Dann gibt's auf dem Debüt wiederum Stücke wie "Morning", ein Song bei dem man erst beim zweiten hinhören bemerkt, dass es sich doch nicht um einen neuen Track der Eels handelt, so vertraut erscheint einem der Basslauf.
Dann gibt's Lieder wie "Wire", in denen sich die Verantwortlichen anscheinend von einer Leichtigkeit à la Phoenix anstecken lassen haben: Man cruist in einem schnellen Wagen an irgendeiner Küste entlang, die warme salzige Luft umweht einen, und im Auto auf der Gegenspur flitzt vielleicht Metronomy im türkisen Cabrio an einem vorbei.
Und dann ist da noch das Lied, das Portishead leider selbst nie geschrieben haben, "Blues for Rosann": Ein dunkelbunter Moment, da zwirbeln sich Gitarrenseiten ins Fleisch, da betört ein sanfter Basslauf, da werden große Streicherarrangements aufgefahren, die aus dem Bogen des einzig weiblichen Balthazar-Mitglieds Patricia Vanneste stammen.
Das ist kein Zufall, ist doch die Band Portishead eine der großen Vorbilder der Bandgründer, Sänger und Gitarristen Maarten Devoldere und Jinte Deprez, die auch eine Ausbildung am Musikkonservatorium vorzuweisen haben. "Trip Hop ist gut zum Beats lernen!" Ohne Zweifel.
Und so oszilliert hier eine junge Band in vielen Zwischenwelten. Manchmal ein Stück zu heftig, denn ein wenig mehr Fokussierung auf einen roten Faden hätte dem Album nicht geschadet. Jedes der Lieder ist an und für sich sehr schön, doch zwischen lässig am Indie-Dancefloor herumrutschen, im abgedunkelten Zimmerchen langsam in die innere Depression anfackeln und lässigen 90er- Jahre-Slackerposen re-animieren, liegt hier ein Zeitsprung von nur ein paar Minuten. Da fühlt man sich etwas überfordert, mit diesem Wechselbad an Stimmungen.
Die Band selber entschuldigt das mit ihrer Jugendlichkeit: Man hätte den eigenen Stil noch nicht so ganz gefunden. Böse sein kann man den Anfang-Zwanzigern da nicht und "Applause" ist halt irgendwie auch wie das kleine, goldene Bettelarmband von der Oma: Hier wurden liebevoll viele kleine, kostbare Einzelteile zusammengetragen und dann in einem finalen Akt an eine gemeinsame Kette gelötet - übrigens von Norwegens Top Produzent Ynge Leidulv Sartre, der unter anderem den Alben der Kings of Convenience und Röyksopp den finalen Schliff verliehen hat.
Liebe, Leid und Langeweile
Inhaltlich spielen sich alle Lieder dort ab, wo die einzelnen Bandmitglieder gerade so im Leben stehen. Liebe, Leid und die Langweile sind die Themen. Man ist kein Teenager mehr, aber vom Erwachsensein eben auch noch ein Stück weit entfernt. Da wird davon gesungen, wie einem die Liebe ausgelaugt zurücklässt, und dass man nicht weiß, was oder wen man eigentlich will: „We'll get older, we'll get bored out of our mind. What we're looking for we can't define.” (aus "Hunger at the Door")
Damit treffen sie den Nerv vieler Menschen auf Augenhöhe.
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Balthazar, das ist Musik, die das Rad zwar nicht neu erfindet und vielleicht ist hier auch nicht unbedingt ein Lebenswerk geschaffen worden - aber durch einen regnerischen Herbst bringt uns die Platte allemal.
Applaus bitte!