Erstellt am: 12. 10. 2011 - 10:46 Uhr
Die nächste Krisen-Etappe
In den Wirtschaftsspalten der österreichischen Medien herrscht Aufregung: Nach langem Druck der Aufsichtsbehörden, Risikovorsorgen zu bilden, hat die Erste Bank am Montag angekündigt, nun etwas vorsichtiger zu bilanzieren. Der daraus erwachsende Bilanzverlust bedeutet, dass dieses Jahr keine Dividenden für die meisten Erste-Aktien ausgeschüttet werden. (Nebenbei bemerkt: Gänzlich ohne Dividenden geht es aber nicht ab: Wer stimmrechtslose Aktien, sogenanntes „Partizipationskapital“ der Ersten hält – und das ist nicht nur der Staat, der im Zuge der Bankenrettungsaktion 2008 auf diesem Weg der Bank Kapital zur Verfügung stellte – erhält trotzdem eine Ausschüttung. )
Die Erste Bank Ankündigung ist entgegen der vorherrschenden medialen Debatte weder ein Ausdruck besonderer Unfähigkeit der Bankleitung, noch ein heroischer Akt mutigen Bekennens unbequemer Wahrheiten. Sie ist vielmehr ein Ausdruck der Tatsache, dass die nächste Etappe der Krise anbricht.
Wie alles anfing
2008 wurde offensichtlich, dass sich die Banken in Europa und USA verspekuliert hatten, und sie wurden durch staatliche Intervention gerettet. Das kam teilweise so teuer, dass sich die Frage aufdrängte, ob sich nicht einige Staaten mit der Bankenrettung überhoben haben. Folglich breitete sich auf den Finanzmärkten, wo sich die Staaten regelmäßig Geld leihen, zunehmend Zweifel aus, ob sich manche der Staaten weitere Kredite werden leisten können.
Diese steigenden Sorgen und Zweifel der GläubigerInnen (Banken, Versicherungen und sonstige FinanzanlegerInnen) drückten sich in steigenden Zinsen für Staatsverschuldung aus. Als die Zinsen für die schwächsten unter den Euro-Staaten ins Unleistbare stiegen, beschlossen die anderen Euro-Staaten einen „Rettungsschirm“ aufzuspannen, um die Pleite einzelner Mitgliedstaaten zu verhindern.
Damit wollte man erstens verhindern, dass durch die Pleite in einem Land die Panik der GläubigerInnen auch andere Staaten in die Spirale „steigende Zinsen-unleistbare Schulden-drohender Bankrott“ hineingezogen werden. Zweitens sollten dadurch auch die (deutschen, französischen, englischen etc.) Banken, die zu den größten Gläubigerinnen der Krisenstaaten gehören, vor den Verlusten aus einem Zahlungsausfall staatlicher Schuldner bewahrt werden. Und drittens wurden damit auch Absatzmärkte für Exporte gesichert, denn die verschuldeten Südländer haben in der Vergangenheit Kredite vor allem dafür aufgenommen, um damit Waren und Dienste aus dem Norden der EU zu kaufen – Kundschaft, die man dort ungern verliert.
Zeit kaufen
Mit dem „Rettungsschirm“, der finanziell angeschlagenen Staaten (Griechenland, Irland, Portugal) Kredite von finanziell leistungsfähigeren Staaten verschaffte, sollte Zeit gekauft werden. Zeit, in der die betroffenen Staaten sparen sollten, um in Zukunft mit weniger Krediten auszukommen. Und Zeit, in der vielleicht die Dinge durch einen Zufall eine glückliche Wendung nehmen hätten können – Wirtschaft ist ja schließlich ein schwer vorhersehbares Geschehen, und die Sorgen der Finanzmärkte sind oft schnellem Wandel unterworfen. Und auch Zeit, in der die Banken Reserven aufbauen sollten, um für den Fall gerüstet zu sein, dass sie doch noch auf einen Teil der Forderungen an die Krisenstaaten verzichten müssen: 2013 würde der bestehende „Rettungsschirm“ durch eine neue Version ersetzt, in der dann Staatsrettungen auch mit Forderungsverzicht der GläubigerInnen kombiniert würden, so die EU-Ankündigung Ende 2010.
Doch alle drei Dinge, für die Zeit gekauft wurde, sind bisher nicht so recht aufgegangen. Den Ländern ist es nicht gelungen, sich aus der Krise herauszusparen. Die sorgenvolle (und spekulative) Aufmerksamkeit der Finanzmärkte hat sich nicht auf andere Themen verlagert, sondern droht immer weitere Länder in Krisenkandidaten zu verwandeln. Und die Finanzinstitute haben die bisherige Zeit nur genutzt, um große Mengen ihrer in Zweifel geratenen Staatsanleihen an die Europäische Zentralbank oder an besonders risikofreudige Finanzakteure zu verkaufen, aber einen ausreichenden Reserveaufbau im Bankensektor gab es nicht.
Das nächste Paket
Jetzt schnürt die EU bis Ende Oktober an einem weiteren Paket, um die Krise zu blocken. Was wird sie tun, was kann sie tun? Eine Variante wäre, weiter Zeit zu kaufen: Das hieße beispielsweise den „Rettungsschirm“ mit Beiträgen aus den zahlungskräftigen Mitgliedstaaten (darunter Österreich) oder durch Kredite der Europäischen Zentralbank, vielleicht auch mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds zu vergrößern, sodass auch weitere mögliche Krisenländer darunter passen.
Eine andere Variante wäre, den Versuch aufzugeben, alle Schulden zu garantieren, und den heiklen Schuldenschnitt durchzuführen – also die Gläubiger von Griechenland und vielleicht auch von anderen Staaten zu zwingen, auf einen Teil der Forderungen zu verzichten. Um diese Ausfälle für die betroffenen Banken verkraftbar zu machen, würden sie ein weiteres Mal vom Staat gerettet werden. Wobei die spannende Frage bleibt, ob die Rettung wieder wie 2008 mehrheitlich die Form einer Bewahrung bestehender Eigentums- und Geschäftsverhältnisse annimmt. Oder ob die Erfahrung der letzten drei Jahre - dass gerettete, aber unveränderte Banken Hindernisse für eine Neuordnung des Finanzmarkts sind – dazu führt, dass die Rettung in Form von Verstaatlichung zwecks Reformierung (Verkleinerung, Abwicklung, Umorientierung etc.) der Finanzinstitute stattfindet.