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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

11. 10. 2011 - 14:49

Einmal Crackhölle und retour

In "Portrait eines Süchtigen als junger Mann" erzählt Bill Clegg, wie er in die Drogensucht schlitterte und ihr wieder entkam. Eine wahre Geschichte.

Als Bill Clegg Anfang 30 war, hat er seinen Job als aufstrebender New Yorker Literaturagent aufgegeben, seinen Partner verlassen und innerhalb von zwei Monaten 70.000 Dollar ausgegeben. Das alles, um massenhaft Crack zu rauchen, und sich damit am Ende fast umzubringen. Überlebt hat er diese Zeit nur wie durch ein Wunder. Nach seinem Entzug hat er ein Buch darüber geschrieben.

Portrait Bill Clegg

Charles Runnette

Heute ist Bill Clegg seit sechs Jahren clean.

Die zärtlichste Liebkosung und die kälteste Hand

Crack ist eine Droge mit großem Suchtpotential.
Schon einige Erstkonsument/innen sind gefährdet, stark abhängig zu werden. Es wirkt euphorisierend, steigert Aufmerksamkeit, Energie und sexuelles Verlangen. Folgen des Rauschs sind unkontrollierbares Zittern, Bluthochdruck, Paranoia und Psychosen. Eine Überdosis führt zum Herzstillstand.

Hinter seinen Augen kehrt so etwas wie Frieden ein. Der Frieden wandert von seinen Schläfen hinunter zur Brust, in seine Hände und überall hin. Er durchtost ihn - wie ein wundervoller Hurrikan, der mit Lichtgeschwindigkeit tobt. Es ist die wärmste, zärtlichste Liebkosung, die er je erlebt hat, und als sie nachlässt, die kälteste Hand. Das Gefühl fehlt ihm schon, ehe es ganz weg ist, und er möchte es nicht nur wiederhaben, sondern er braucht es.

Bill Clegg fasst die Wirkung von Crack in eindringliche Worte. Doch vermutlich kann keines davon auch nur annähernd beschreiben, wie stark er das Verlangen nach der Droge verspürt haben muss. Es ist mächtiger als alles in seinem Leben. Kein Erfolg im Job und nicht die Liebe seines aufopfernden Freundes können gegen den Rausch ankommen. Auch wenn Bill lange versucht, sich das einzureden.

Irgendwann kippt die Lage. Er kündigt per Mail, marschiert aus der gemeinsamen Wohnung, und mietet sich stattdessen in verschiedenen Manhattener Hotels ein, lässt täglich seine Dealer kommen, und hat ungeschützten Sex mit Callboys und anderen Junkies. Diese Odyssee wird etwa zwei Monate dauern, sein Verhalten immer exzessiver. Denn nie, nie kriegt er genug.

Es ist nicht genug da

Nur 20 Minuten nach der letzten Pfeife ist jedes Mal alles schlimmer als zuvor. Sein Zittern ist nur mit literweise Wodka zu kontrollieren. Paranoia und Todessehnsucht werden seine ständigen Begleiter.

Bill Clegg hat seinen Weg durch die Drogenhölle aufgeschrieben, weil er der Versuchung auch heute noch jeden Tag aufs Neue widerstehen muss. Er weiß, dass sich die Erinnerung an die schlimmste Phase seines Lebens nie zu weit entfernen darf. "Ich möchte diesen Zustand der Verzweiflung, des Terrors und den Wunsch zu sterben niemals vergessen", sagt er im Interview. "Denn wenn ich das tue, glaube ich wahrscheinlich, dass ich mir ruhig einen Drink oder eine Crackpfeife genehmigen darf. Aber ich habe bewiesen, dass ich das nicht kann."

Beschämende Geheimnisse

Die Ursachen für Cleggs Abhängigkeit sind vielfältig: Als Kind hat er ein traumatisches Blasenproblem. Er kann den Druck nicht kontrollieren und beim Pinkeln brennt es wie Glassplitter. Jeder Gang aufs WC wird für ihn zu einer Tortur, denn wenn er muss, kann er zunächst gar nicht, bis er schließlich fast explodiert, und im Moment der Erleichterung Wände, Fußböden und sich selbst bespritzt. Sein autoritärer Vater weiß nicht besser mit der Situation umzugehen, als sich darüber lustig zu machen, und immer wieder zu drohen, sein Geheimnis zu verraten.

Später wird es seine Homosexualität und die schleichende Drogensucht sein, die er vor der Außenwelt zu verbergen sucht.

Aufputschen - Ausklinken - Abstürzen
FM4 über Drogen

11.10 in der Morning Show, in Connected und in der Homebase.

Bill Clegg schreibt die Passagen seiner Kindheit und Jugend in der dritten Person, und bald zeichnet sich ein durchgehendes Muster ab. Seit er denken kann, ist er bemüht, den Schein zu wahren: Schon als Fünfjähriger putzt er die Sauereien am Klo auf, als Erwachsener wird er hunderte Male vor dem Spiegel stehen, um die Spuren einer drogenschweren Nacht aus seinem Gesicht zu wischen. Die beständige Angst durchschaut zu werden, treibt ihn nur noch weiter in den Teufelskreis:

Ich bin cracksüchtig, und weiß es (...), aber für alle anderen bin ich ein zuverlässiger, anständiger Kerl mit einer vielversprechenden Firma und einem tollen Freund. (...) Und es ist, als gäbe es jede Woche ein Mittag- oder Abendessen oder einen Anruf, bei dem meine Tarnung auffliegen kann und ans Licht kommt, dass ich nicht annähernd so intelligent und belesen und geschäftsgewandt bin und nicht annähernd so gute Beziehungen habe, wie die Leute anzunehmen scheinen.

Für alle, die noch da draußen sind

Buchcover Portrait eines Süchtigen als junger Mann von Bill Clegg

S. Fischer Verlag

"Portrait eines Süchtigen als junger Mann" ist in der Übersetzung von Malte Krutzsch im S. Fischer Verlag erschienen.

Rettungsaktionen von Familie und Freunden weist Bill ab, sämtliche Therapien und Entziehungskuren schlagen fehl. Zuletzt hat er 20 Kilo abgenommen und sieht mit Anfang 30 aus wie ein alter, kranker Mann. Das letzte Hotelzimmer betritt er mit Crack um 4000 Dollar, zig Flaschen Wodka und mehreren Packungen Schlaftabletten. Wäre es keine wahre Geschichte, man könnte nicht glauben, dass ein Mensch diese Selbstzerstörung überleben kann. Dass er es doch schafft, grenzt an ein Wunder.

Sechs Jahre später und endlich clean ist ihm sein Buch eine Mahnung, es nie mehr soweit kommen zu lassen. Gleichzeitig hofft er, anderen damit helfen zu können. "Für alle, die noch da draußen sind", lautet seine Widmung, und gebetsmühlenartig wiederholt er in allen Interviews:

"Wenn sich nur einer an irgendeinem Punkt meiner Geschichte wiedererkennen kann - egal ob als Zwölfjähriger beim Trinken am Dach des Elternhauses, oder viel später inmitten meiner Cracksucht - sieht er, wo das hinführen kann. In meinem Fall zu einem Selbstmordversuch und dazu, alles zu verlieren. Und wenn dieser jemand dann vielleicht rechtzeitig aussteigt, hat sich das Buch ausgezahlt."