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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

11. 10. 2011 - 10:51

The drugs do(n't) work

Drogenkino abseits von "Trainspotting" und "Grasgeflüster". Eine kleine, persönliche Auswahl.

Aufputschen - Ausklinken - Abstürzen
FM4 über Drogen

11.10 in der Morning Show, in Connected und in der Homebase.

Ganzkörper-Therapie: "Requiem For A Dream" (2000) von Darren Aronofsky

Keine Gefangenen: Dieser Film entlässt einen betäubt, malträtiert, erschlagen. Die Geschichte von vier Menschen, die sich mit Hilfe diverser Substanzen aus ihrem tristen New Yorker Leben beamen wollen, wird als Amoklauf gegen den Körper erzählt. Darren Aronofsky saugt den Betrachter mit einem visuellen Feuerwerk rein, aber der slicke Stil ist nur ein Trick. Und wer erstmal in der Falle sitzt, dem schnürt "Requiem For A Dream" die Luft ab.

Requiem For A Dream

Artisan

Drifting around: "Drugstore Cowboy" (1989) von Gus Van Sant

Der visionäre US-Regisseur bricht mit sämtlichen Drogenfilmklischees, die es bis dahin auf der Leinwand zu sehen gibt. Ohne den Zeigefinger moralisch zu erheben, zeigt er Matt Dillon und Kelly Lynch als sexy Junkie-Pärchen, die konstant über dem Abgrund schweben, bis ihnen die Realität den Boden unter den Füßen wegzieht. Späteren verwandten Filmen wie "Trainspotting" weit überlegen, bringt Gus van Sant die Coolness und natürlich auch das Grauen rund um die verbotene Substanz so auf den Punkt wie ein Lou Reed mit seinen Songs. Alt-Junkie-Poet W.S. Burroughs hat einen Gastauftritt.

Der Jeffrey und die Folgen: "Get Him To The Greek" (2010) von Nicholas Stoller

Ein junger amerikanischer Plattenfirmentyp, gespielt vom großartigen Jonah Hill, muss das singende britische Drogenwrack Aldous Snow (Russel Brand) in drei Tagen nach L.A bringen. Im dortigen Greek Theatre soll der Altrocker sein Comeback feiern. Keine leichte Aufgabe, stellt sich schnell heraus. Wie die besten Judd Apatow-Produktionen ist auch dieser Comedy-Meilenstein mehr als nur irrsinnig lustig. Es geht um Sex, Drogen und Plüschwände, um Monogamie versus Polygamie, um das Ende des Musikbusiness, um Gründe am Leben zu bleiben und um den Spirit des Rock'n'Roll.

Get Him To The Greek

UIP

Komplexität ohne Lösung: "Traffic" (2001) von Steven Soderbergh

Ein Film, der Drogen-Perspektiven jenseits von Verdammung und Verherrlichung bietet. Steven Soderbergh reiht Vignetten zum heiklen Thema blitzlichtartig aneinander, probiert eine neue Art der Auseinandersetzung mit Sucht und der damit verbundenen Kriminalität. Erst gegen Ende, wenn sich ein paar Fäden zu viel aus dem fesselnden Patchwork verknüpfen, schleicht sich eine moralische Position ein. Dennoch ein Film, so komplex wie das echte Leben: Ideale und Sachzwänge, Geldgier und politische Interessen, persönliche und wirtschaftliche Verstrickungen prallen aufeinander.

The Downward Spiral: " Bad Lieutenant (1992)" von Abel Ferrara

Kaum jemand widmet sich dem Komplex "Sucht" so ehrlich und schockierend wie Regisseur Abel Ferrara, selbst eine wandelnde Koksleiche. Der ewige Regie-Rebell zeigt Harvey Keitel 1992 als drogensüchtigen, sexbesessenen, durch und durch korrupten New Yorker Cop am Rande der Selbstdestruktion. Dabei steckt hinter all den Exzessen ein katholisches Drama. Letztlich mündet der Leidensweg des abgefuckten Protagonisten in einem Sühneakt, der radikaler nicht sein könnte.

Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

constantin film

Dann sind wir Helden: "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981) von Uli Edel

Von seriösen Kritikern verspottet, zog dieser Film, frei nach dem gleichnamigen Tatsachen-Roman-Bestseller, eine ganze Generation von unbedarften Schulkindern in den Bann. Von Produzent Bernd Eichinger als wahlweise wüste Drugsploitation oder auch ultimativ-plakativer Abschreckungsstreifen angelegt, besticht "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" heute mit tollen Jungdarstellern, extrem desolaten Berlin-Bildern und dem genialen Soundtrack von David Bowie: "We will be heroes, just for one day!"

Rauschhafte Grenzerfahrung: "Enter The Void" (2010) von Gaspar Noé

Ein junger Bursche aus dem Westen finanziert sich seinen Aufenthalt in Tokio mit Drogengeschäften. Eine Polizeirazzia beendet dann mit einem Schuss alle kleinkriminellen Eskapaden. In einer schäbigen Toilette haucht Oscar sein Leben aus, der Film "Enter The Void" beginnt aber erst so richtig. Ausnahmeregisseur Gaspar Noé wagt den Versuch, eine Seelenreise zu visualisieren, mit allen Mitteln des psychedelischen Kinos. Kein normaler Film ist das, sondern eine beinahe dreistündige Grenzerfahrung. Ein knallbunter surrealer Rausch. Eine Hymne an Wärme, Energie und weibliche Spiritualität. Eine Todesreflexion abseits von Religion und billigen Esoterikklischees.

xx

Noch mehr Drogenkino:

"The Man With The Golden Arm" (1955) von Otto Preminger
Frank Sinatra erlebt auf den Spuren des hartgekochten Kultautors Nelson Algren den Höllenkreis des Heroin. Ein desolater Klassiker.

"Reefer Madness" (1936) von Louis J. Gasnier
Ein legendärer Anti-Marihuana-Aufklärungs-Schocker aus den Dreißiger Jahren, der später zum Lachschlager in einschlägigen Programmkinos wurde.

"Naked Lunch" (1991) von David Cronenberg
Eigentlich einer von Regisseur David Cronenbergs zähflüssigsten Filmen, der gegen Ende hin völlig entgleitet. Wer aber wissen will, welche Monstren (wortwörtlich) zu viel ungesunde Substanzen gebären, sollte zusehen.

"Psych-Out" (1968) von Richard Rush
Bizarres Trashmovie aus der Flower Power-Ära, das von Psychedelic-Rockern wie Monster Magnet kultisch verehrt wird. Der Mann, den die bunten Pillen auf einen höllischen Trip schicken, heißt Jack Nicholson.

"Fear & Loathing in Las Vegas" (1998) von Terry Gilliam
Johnny Depp als berüchtigter Autor Hunter S. Thompson in einem Delirium von Film, zwischen verstörendem Leinwand-Trip und überzogenem Manierismus. Groß: Benicio Del Toro, der auch in "Traffic" begeistert.

Don't bogart that joint, my friend: "Easy Rider" (1969) von Dennis Hopper

Peter Fonda und Dennis Hopper planen Ende der Sechziger ein gemeinsames Filmprojekt, das die Aufbruchsstimmung der Hippie-Ära einfangen soll. Dabei wird "Easy Rider" auch gleichzeitig zum Abgesang auf die Utopien von Love and Peace. Der verkiffte Abgesang auf die seligen Sixties endet mit Lynchjustiz, kaputten Träumen und einem LSD-Horrortrip. Wirkte abschreckend & anziehend für Generationen.

Tief unten: "Clean" (2004) von Olivier Assayas

Wer sich für Junkieschicksale nicht interessiert, bekommt hier zumindest traumwandlerisch schwebende Bilder und einen hypnotischen Soundtrack zu sehen und hören. "Clean" ist ein Film, der eine Ahnung vom Kino hat. Aber auch einer mit faszinierenden Darstellern, deren Präsenz die Leinwand ausfüllt: die wunderbare Hongkong-Ikone Maggie Cheung in der Hauptrolle der gestrandeten Sängerin, der große Nick Nolte als Vater ihres verstorbenen Mannes, die supere Beatrice Dalle ist auch dabei und Tricky in einem kurzen Gastauftritt. Sentimental, aber nicht rührselig, dunkel aber nicht pseudoabgründig, wirkt "Clean" wie ein Song von The Velvet Underground.

Clean

Canal+

Madchester Madness: "24 Hour Party People" (2002) von Michael Winterbottom

Eine filmische Liebeserklärung an Manchesters Subkultur, die um die Figur des legendären Impressarios Tony Wilson kreist. Steve Coogan spielt den Pop-Vordenker als irrwitzigen, hektischen, besessenen Visionär, der auch in den extremsten Situationen nicht seinen Humor verliert. Und extreme Situationen gibt es viele hier. Wir erleben den Tod von Ian Curtis, die Auflösung von Joy Division, die Gründung von New Order, den berüchtigten Danceclub Hacienda und die Drogenexzesse der Happy Mondays, wir folgen den Verbindungslinien zwischen Punk und Funk, Groove und Großstadt-Tristesse, Genie und Wahnsinn.

Out of reality: "A Scanner Darkly" (2006) von Richard Linklater

Philip K. Dicks gleichnamiger psychedelischer Kultroman erzählt von einer nahen Zukunft, in der Amerika zum Überwachungsstaat geworden ist. Undercover-Agenten machen Jagd auf die Dealer und Süchtigen einer knallharten Droge namens "Substance D". Richard Linklater, dem wir etliche Indie-Klassiker verdanken, bemühte sich lange um eine Leinwandadaption, die erstmals dem Spirit des Autors gerecht wird. Dank einer speziellen Animationstechnik, bei der Schauspieler wie Keanu Reeves, Winona Ryder oder Woody Harrelson via Computer in Trickfiguren verwandelt werden, besticht der Film mit atemberaubender Ästhetik. Inhaltlich versperrt sich das schwierige Buch aber trotzdem einer Verfilmung. Trotz einiger Längen aber ein sehenswertes Kino-Experiment.

A Scanner Darkly

Warner Bros