Erstellt am: 10. 10. 2011 - 17:50 Uhr
Aufputschen - Ausklinken - Abstürzen
Glaubt man aufgeregten Medienberichten, dann sind so genannte Legal Highs, synthetische Drogen in Form von "Spice" Kräutermischungen oder Badesalzen, der neueste Trend in Sachen Partydrogen. So beliebt, dass Gesundheitsminister Alois Stöger und Justizministerin Beatrix Karl derzeit erwägen, ein eigenes Gesetz zu schaffen, das die Legal Highs wieder zu Illegal Highs machen soll.
Drogen dienen nicht nur zu Spaßzwecken, sie erfüllen in der Gesellschaft viele weitere Funktionen: mit Amphetaminen kann man ewig wach bleiben und lernen, mit Kokain die selbstbewusstesten Präsentationen abliefern, oder ganz einfach nur die Zigarettenpause dazu nutzen, dem trägen Hirn ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
"Menschen nehmen meiner Ansicht nach aus zwei Gründen Drogen", sagt Birgit Bolognese-Leuchtenmüller, die an der Universität Wien unter anderem zu Medizin- und Drogengeschichte forscht, "einerseits ist das ein Faktor der Spaßgesellschaft, hat also einen gewissen Unterhaltungswert oder einen den Alltag überschreitenden Wert. Auf der anderen Seite - und das ist glaube ich der ernstere Drogenkonsum, weil dahinter ein Problem steht - haben in erster Linie die Leute eine Tendenz Drogen zu nehmen, die das Gefühl haben, sie kommen mit den alltäglichen Leistungsanforderungen nicht zurecht."
Bolognese-Leuchtenmüller betont, dass es dabei nicht um ein Übertreffen anderer gehe, sondern ganz einfach um das Aushalten des Alltags. Und das, so die Historikerin, hat ungeheure Parallelen zur Vergangenheit.
Drogen waren immer da
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Stern-Schwerpunkt "Die gedopte Gesellschaft"
Man kann nicht nur feststellen, dass jede Zeit ihre Drogen hat oder ihre jeweils spezifische Form des Drogengebrauchs, Bolognese-Leuchtenmüller weist auf Phasen in der Geschichte hin, in denen der Drogenkonsum weitaus verbreiterter und heftiger ist als heute. "Im 16. Jahrhundert etwa, damals gab es erstmals die Möglichkeit hochprozentigen Alkohol in Massen herzustellen. Der Tabak kommt nach Europa." Auch Laudanum, eine Opiumtinktur, deren Erfindung auf den Arzt und Naturforscher Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, zurückgeht, fand zu dieser Zeit in Europa seine große Verbreitung. Es war aufgrund seiner schmerzstillenden und beruhigenden Wirkung als Allheilmittel beliebt und wurde sogar Kindern verabreicht.
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…und zwar in allen Schichten
Dass jede soziale Schicht quer durch die Zeit ihre eigenen Drogen gehabt hätte ist so allerdings nicht haltbar. Historisch gesehen gibt es die Tendenz, dass Drogen, wenn sie massenhaft auftreten, zuerst einmal von der oberen Schicht verwendet werden und dann langsam in die unteren Schichten durchsickern. "Das Laudanum wird z.B. quer durch alle Schichten verwendet, das kann man an den Wirtschaftslisten der Herrscherhäuser genauso ablesen wie an jenen der einfachen Wirtshäusern", erklärt Bolognese-Leuchtenmüller
Auch Alkohol wurde schon immer in allen Schichten konsumiert. Nur dass der Alkoholkonsum beim Bürgertum nicht so deutlich sichtbar wird, wie das in der Arbeiterschaft der Fall ist, da er innerhalb des geschützten Rahmens des Heims und der Familie passiert. Grundsätzlich ist ein exzessiver Drogenkonsum mit dem Selbstbild des aufstrebenden Bürgertums als rational und fleißig nicht vereinbar. Deswegen wählt dieses als seine favorisierte Droge den Kaffee, der zum nüchternen Selbstbild passt, das sich über Leistung und Erfolg definiert.
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KünstlerInnen und Kulturschaffende wiederum hatten zu allen Zeiten eine deutlich höhere Tendenz, zu Drogen zu greifen, als andere Schichten. "Das ist ganz klar bei allem was als 'bewusstseinserweiternd' gilt, Haschisch oder Marihuana - und nicht erst seit dem 20. Jahrhundert - aber durchaus auch andere Mittel, Laudanum spielt immer eine Rolle. Alles was vermeintlich die Kreativität steigert."
Das Ideal der Nüchternheit kommt mit der Industrialisierung
Eine Einschnitt in der Drogengeschichte stellt die Industrialisierung dar: Hier vereint sich die Kultur des fleißigen Bürgertums mit der Industrialisierung und dem Kapitalismus, erstmals bildet sich so etwas wie eine Leistungsgesellschaft heraus.
"Das ist insofern eine Zäsur, als da eine Wirtschaftsform heranreift, die Nüchternheit im wahrsten Sinne des Wortes verlangt", so Bolognese Leuchtenmüller. Denn das Bedienen von Maschinen, die damit verbundene Zeitdisziplin und die Sicherheitsproblematik erlauben einen permanenten Rauschzustand einfach nicht mehr. Neben der Ernüchterung bildet sich auch eine kritische Sicht auf Drogenkonsum heraus, wie wir sie heute kennen.
Die Optimierung des Menschen
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Die Industrialisierung wirkt sich auch auf die Sicht des menschlichen Körpers aus: Dieser wird als Maschine gesehen, die es zu optimieren gilt. Zum Beispiel mit Hilfe der aufstrebenden Naturwissenschaften. Sie bringen immer neue Formen der Drogen hervor: Ab dem 19 Jahrhundert kann man zum Beispiel Amphetamine, Morphin bzw. Heroin und Aspirin herstellen.
Zunächst sind es vor allem Kriege, also Soldaten, bei denen leistungssteigernde Drogen gezielt eingesetzt wurden. "Kriege waren immer die Ereignisse, die den Drogenkonsum enorm befördert haben", sagt Bolognese-Leuchtenmüller. So läutet der Krimkrieg 1845 den Siegeszug der Zigarette ein und Kampfflieger putschen sich im Ersten Weltkrieg mit Kokain und im Zweiten mit Amphetaminen auf. Über die Soldaten erreichen diese Drogen nach dem Ende dieser Kriege nach und nach auch den Massenkonsum
Eine Pille für jede Lebenslage
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Die Zeit "Eine Pille für eine Eins"
Die Optimierung des Menschen geht heute weiter. Derzeit wird vor allem in den USA über die Freigabe von so genannten cognitive enhancing drugs, von Mitteln zur Leistungs- und Konzentrationssteigerung und für mehr Wachheit, diskutiert. Oft sind das Psychopharmaka, die eigentlich für andere Krankheiten entwickelt wurden. Die bekanntesten sind derzeit z.B. Ritalin, eigentlich ein Medikament gegen ADS, oder Donepezil, ein Alzheimer-Medikament. Besonders an US-Universitäten, unter JungwissenschaftlerInnen und Studierenden sollen dieses besonders weit verbreitet sein. Schätzungen sprechen von 7 bis 15 Prozent die sich für die Uni dopen und den Pharmafirmen zu Umsatzsteigerungen verhelfen, die mit steigenden Krankenzahlen nicht erklärbar sind.
Die Frage, ob sie damit auch an der Wiener Uni konfrontiert sei, verneint Bolognese-Leuchtenmüller. Überhaupt hält sie dieses Thema für aufgebauscht: "Ich bin mir nicht sicher, ob das alles wirklich stimmt", sagt sie. "Im Endeffekt ist aber natürlich jedes Medikament eigentlich eine Droge. Und ich glaube, dass Tablettenabhängigkeit das eigentliche Drogenproblem ist."
Denn die Medizin nimmt mittlerweile zunehmend die Funktion der Drogen ein. "Das ist natürlich legitim, denn die Medizin kann das", meint Bolognese-Leuchtenmüller. "Und man darf auch nicht vergessen, dass jede Droge zu einem gewissen Grad immer als Heilmittel verwendet wurde und wird." Die Grenze zwischen Medizin und Droge war immer schwammig.
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"Was trotzdem wirklich zu denken gibt, ist die hohe Bereitschaft von Leuten, für jede Lebenslage eine Pille zu schlucken", meint Bolognese-Leuchtenmüller. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Konsum ist vertraut, unauffällig und unverdächtig und oft auch von medizinischer Seite verordnet oder zumindest gebilligt.
Gelassener und kritischer Umgang?
Und hier kommt wieder die Komponente des "Das-Leben-Aushalten" ins Spiel. Also dass Menschen mit einem sehr harten Arbeitsalltag Medikamente bzw. Drogen nehmen, um diesen überhaupt aushalten zu können, und nach der Arbeit dann vielleicht wieder andere, um runter zu kommen. "Dieses Rauf und Runter scheint das Modell zu sein, nach dem Drogenkonsum heute funktioniert", so die Historikerin.
Ganz allgemein, sagt Bolognese-Leuchtenmüller, ist der Umgang mit Drogen heute vernünftiger geworden. "Was aber immer noch fehlt, ist ein gelassener und kritischer Umgang mit Drogen und Drogenkonsum", meint sie. Gelassen in dem Sinne, Drogenkonsum als menschlichen Faktor zu akzeptieren und nicht nur mit Drohungen und dem Ruf nach völliger Abstinenz darauf zu reagieren. Und kritisch zu hinterfragen, welche körpereigenen Alternativen es gäbe und wie man diese nützen kann.
FM4 über Drogen - Der Spezialtag
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FM4 über Drogen
11.10 in der Morning Show, in Connected und in der Homebase.
- Alle Infos und Texte unter fm4.orf.at/drogen
Auf FM4 nehmen wir morgen die aktuellen Entwicklungen zum Anlass um einen Tag lang über Drogen bzw. ganz generell den Missbrauch verschiedener Substanzen und den Kampf dagegen zu reden. Dabei thematisieren wir Legal Highs genauso wie Psyhopharmaka zur Leistungssteigerung, Partydrogen und nicht zu vergessen die am weitesten verbreiteten Sucht- bzw. Rauschmittel Alkohol und Nikotin.
Wir sprechen mit einem/r Expertin darüber, wie man mit Süchtigen im eigenen Umfeld umgehen kann, durchstreifen mit einem Sozialarbeiter Graz aus der Sicht eines Drogenabhängigen und fragen bei Peter Pelinka und dem UN-Hochkommisariat nach, ob der War on Drugs eigentlich überhaupt erfolgreich ist und wie die Politik ansonsten mit Drogen und Sucht umgehen kann oder soll.