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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

10. 10. 2011 - 13:59

Animationsprogramm

Mit einem Aufgebot bekannter Gesichter der österreichischen Unterhaltungsbranche hat David Schalko "Wie man leben soll" verfilmt. Sonderlich lustig ist das dennoch nicht.

Wie das Michelin-Manderl sähe Charlie Kolostrum schon aus, sagt seine Mutter zu ihm. Denn am fein gedeckten Esstisch vor versammelter Verwandtschaft begehrt der dickliche Twentysomething Nachschlag. An Stelle eines weiteren Stücks Gugelhupf von Tante Erni setzt es einen Tagtraum: Er wolle ab sofort Sex mit anderen Frauen, nicht nur mit Freundin Claudia, erklärt er allen im Geiste. Die Mutter nimmt ihre riesigen Ohrringe ab und stellt ohne mit der Wimper zu zucken fest: “Der Charlie: Bier saufen, Gugelhupf fressen, sonst macht er nix.“

Charlie (Axel Ranisch) und Claudia (Stefanie Reinsperger) liegen im Bett und sehen fern

Luna Filmverleih

Persiflage

David Schalko hat Thomas Glavinics‘ Verkaufsschlager “Wie man leben soll“ über das pubertäre Leben eines übergewichtigen Maturanten und fortsetzend Studenten in Wien verfilmt. Den Roman hielt nicht nur die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl für „ziemlich komisch“, denn Glavinic setzte dem Ratgeber-Boom für besseres Leben und Lieben die Geschichte eines Anti-Helden entgegen. Inklusive der obligatorischen, doch ins Skurrile gedrehten Merksätze. Der Film nun persifliert Szenen privaten Lebens, bekannt aus den Film- und Fernsehwelten der Achtziger und Neunziger Jahre. Und zwar mit einem Feuerwerk an visuellen Einfällen. In einer Minute erinnert er an alte Werbeclips, in der nächsten findet sich Charlie im Wohnzimmer der "lieben Familie" wieder. Bloß Schenkelklopfer bietet „Wie man leben soll“ kaum – ich würde sagen: keine. Und das trotz seines Aufgebots an bekannten österreichischen Kabarettisten.

“Wie viele Menschen passen in einen Film“, fragt man sich angesichts des Plakats. Lizzy Engstler und Roberto Blanco spielen sich selbst, der Kriminalpsychologe Thomas Müller hat einen Gastauftritt und auch die Drehbuchautoren David Schalko und Thomas Maurer wollten vor die Kamera. Selbstverständlich bekam auch Autor Thomas Glavinic einen Zwei-Minuten-Auftritt. Und so stapft Charlie Kolostrum (gespielt von Axel Ranisch) Szene für Szene an einem nach dem anderen vorbei. Kolostrum, der die Vorstufe der Muttermilch im Namen trägt, lebt in erster Linie von Großtante Ernis Hausmannskost und den Fünftausendern, die sie ihm mit einem verhätschelnden Streifen über die Wange zusteckt.

Großtante Ernestine (Bibiana Zeller) deutet Daumen hoch in ihrer Küche

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Das Bisschen Handlung vorwärts treibt Robert Stadlober als selbsterklärter Freund von der Uni. Er verleitet den lethargischen Charlie zu Oralsex und zu einem Swingerpärchen (im Whirlpool und auf der Rattanchouch im abgedunkelten Wohnzimmer: Maria Hofstätter und Josef Hader); zum Keilen um Spenden nach Deutschland und zum Luftröhrenschnitt an seiner Freundin. Als eine dritte, Kolostrum nahe stehende Person unerwartet zu Tode kommt, wird die Polizei aufmerksam.

Mit Montagen und Collagen

Regisseur Schalko hält sich inhaltlich an die Romanvorlage. Das allererste Bild ist ein Insert: „Ein Film von David Schalko“. Diese Warnung wäre doch nicht nötig gewesen. Immerhin ist seine Vorliebe für Querverweise und die rasante visuelle Umsetzung von Sachverhalten seit der „Sendung ohne Namen“ hierzulande unverkennbar. Die Ästhetik von Videoclips bedient Schalko auch in „Wie man leben soll“, doch nicht fortwährend. Leider schießt sich die Erzählweise ins Knie. Genau studiert hat Schalko Fernsehwerbung und Serien. Die Maturafeier ist inszeniert wie ein Wiener Ableger von Beverly Hills 90210, bis hin zum Maggi am Tablett mit den Leberknödelsuppen in der Mensa hat die Ausstattung fortwährend ganze Arbeit geleistet.

Hilde (Maria Hofstätter) und Leo (Josef Hader) in Bademänteln

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Bis ins Detail durchkomponiert ist jede Einstellung. Man wollte die Optik dieser Jahre eigentlich in Fotoalben verwahrt wissen: „Langweilig, spießig, gemütskrank und verklemmt“ heißt es an einer Stelle, doch genau in diesem Ambiente der späten Achtziger in Österreich suhlt sich der filmische Rückblick. Die Handlung selbst zieht an einem vorbei und bleibt belanglos wie die historische Entwicklung Österreichs für Charlie Kolostrums Geschichte. Nur, weil der Bummelstudent beim VSStÖ abhängt, kümmert ihn Jörg Haider noch lange nicht. Kolostrum hält sich an Funny van Dannens Zeilen vom Fressen und Ficken, das Saufen überlässt er seiner Mutter. Der Soundtrack stammt zum überwiegenden Teil von Florian Horwath. Damit kehrt zumindest auf Tonebene Ruhe ein.

Charlie (Axel Ranisch) fühlt sich stark

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Showreel

"Wie man leben soll" läuft seit 7. Oktober 2011 in den österreichischen Kinos.

Überbordend von Jump Cuts, Montagen und Collagen ist Schalkos Filmsprache. Eine Westernmelodie erklingt zum Showdown von Charlies erster Beziehung, in Zeitlupe entfernen sich die Körper im Streit voneinander. Titelblätter der Kronenzeitung wechseln in Sekunden, die Jahre vergehen und Charlie ist in den Neunzigern angekommen. Das Jahrzehnt von 1996 an wird in schönen Collagen in wenigen Minuten abgehandelt, für die Gina Müller verantwortlich zeichnet. Für die Animation war das Wiener Studio Friendly Fire zuständig.
Die meisten Tricksereien jedoch sind handgemacht. Schalko wirft mit visuellen Ideen um sich und covert Genres - allein in einem Tempo, das viele Szenen verpuffen lässt.

Emily Cox vor gemaltem Himmel

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"Wie man leben soll" ist sehenswert. Unterhaltsam ist der Film jedoch nur bedingt.