Erstellt am: 9. 10. 2011 - 20:04 Uhr
Fußball-Journal '11-112.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie das Fußball-Journal für 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einer Art Fortsetzung zum gestrigen Fußball-Journal '11-111. Österreichs alte Trainer-Kaste schafft sich selber ab.
Die Katze krabbelt langsam aus dem Sack.
Nach der leisen Aufwärtstendenz im Auswärtsspiel von Baku wagen sich sowohl einzelne (literate) Teamspieler, aber auch einzelne Medien-Vertreter vor und machen das, was sie einander davor nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt haben, öffentlich.
Der entscheidende Unterschied zwischen der Katstrophen-Ära Constantini und der Interims-Regentschaft Ruttensteiner ist, geben sie zu Protokoll, der einer klaren taktischen Vorgabe.
Erst die bringt im modernen Fußball die notwendige Ordnung und Stabilität, die es in weiterer Folge ermöglicht die entscheidenden Prozent herauszukitzeln, die mittlerweile den Unterschied zwischen provinziellem Hinterherzappeln und internationalem Erfolg ausmachen.
Zu dieser Vorgabe war das Team Constantini nicht imstande; ebenso wenig wie aktuell das Team Herzog/Baur oder die meisten Mitglieder der hoffnungslos im Privilegien-Honigtopf der vergangenen Erfolge festklebende Seilschaft, die von Herbert Prohaska aktuell so präzise vertreten wird.
Wie gesagt: all dies wusste man auch schon vorher.
Man traute sich darüber aber nicht offen zu reden - weil man mit jedem Widerwort seinen Job oder seinen Stammplatz losgeworden wäre; und im Fall der Medien, weil man schlicht zu feig für die Verbreitung der Wahrheit war.
Jetzt sind zarte Ansätze des Willens zur Wahrheitsfindung erkennbar.
Auch wenn sich die meisten Medien, allen voran der vollständig in die Seilschafts-Machinationen verbandelte Boulevard, immer noch schwertut seiner ureigensten Aufgabe nachzukommen und auf die alte Trainerkaste samt populären Kantinen-Stammgästen setzt. Weil es immer noch deren Gesichter sind, die für Auflage sorgen.
Umschnitt zu etwas scheinbar gänzlich anderem:
In der hierzulande aktuellen Ausgabe des vordersten Nachdenk-Magazins The New Yorker findet sich eine Coverstory mit dem Titel „Personal Best. Top athletes and singers have coaches. Should you?“, in der der Autor Atul Gawande, ein Chirurg, über die aktuelle Bedeutung des Coachings reflektiert. Er beginnt mit seinen Gedanken anlässlich einer harmlosen Blinddarm-Operation und kommt zum Schluss, dass die selbstherrliche Intransparenz eines anerkannten Glamourberufs wie des seinen gleichzeitig auch seine große Schwäche ist.
In jedem anderen Bereich würde er seine Leistung, seine Vorgangsweise, seine Methodik regelmäßigem Controlling unterziehen. Um das zu bebildern, hat der New Yorker neben die Cartoon-Zeichnung eines OP-Tisches samt Arzt einen bekapperlten Coach mit seiner Taktiktafel gestellt.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Vorstellung, sich bei einer Operation coachen zu lassen, bei vielen Kollegen des Autors nicht auf helle Begeisterung stößt - egal ob in den USA oder in Österreich. Sein Denkansatz ist aber höchst bemerkenswert.
Er geht davon aus, dass es nicht die amateurhafte Kopie des professionellen Dopings ist, die die Gesellschaft vom Sport übernehmen sollte, sondern die Präzision des Coachings.
Den Blinddarm-Patienten sterben lassen müssen
In Österreich könnte sich Atul Gawande da durchaus auf einige weltweit führende Sparten verlassen; um beim Sport zu bleiben: Beim ÖSV würde er Coaching-Bedingungen vorfinden, die (hypothetisch auf seine Bedürfnisse umgelegt) etwas bringen würden.
Müsste sich Gawande auf hiesige Fußball-Trainer verlassen, würde ihm wahrscheinlich sogar der Blinddarm-Patient wegsterben, weil das primitivste Handwerkzeug fehlt.
Und weil sich österreichische Fußball-Coaches nicht im Entferntesten für ihr Produkt verantwortlich fühlen. Sie beachten ihre Profession entweder als Erbhof (Prohaska-Schule) oder sehen sich als Opfer einer Verschwörung der Zu-Coachenden, weil die das ja gar nicht wirklich wollen (Gregoritsch-Schule).
Den Gedanke, der hinter Gawandes These steckt, wäre ihnen nicht einmal vermittelbar.
Wir leben in einem Zeitalter des Coachismus.
Das kann einen annerven, weil man es für übertrieben hält.
Das mag die Älteren, die derlei zu ihrer Zeit nicht genossen haben, mit Neid erfüllen.
Das mag bereits vorhandene Ängste vor neuen Entwicklungen und Technologien massiv schüren.
Im Spitzensport (und die Chirurgie ist auch nichts anderes als die gesellschaftliche Entsprechung des Spitzensports) gibt es aber keinen anderen Weg.
Österreichs Trainergilde wird sich dem Coachismus des 21. Jahrhunderts anpassen müssen, oder die Geschichte wird sie zermalmen.