Erstellt am: 7. 10. 2011 - 15:12 Uhr
Journal 2011. Eintrag 182.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Auf-fälligkeit angesichts der Nachricht vom Tod des Apple-Gründers Steve Jobs.
Siehe auch Jobs, Hope, Cash
Vorerst: mir ist Steve Jobs relativ egal.
Ich bete mein Smartphone nicht an und kann ohne iPod leben.
Ich bin weder Graphiker noch Apple-Apostel. Mir ist das Fluch-oder-Segen-Spiel im Medien-Duell mit Microsoft recht egal.
Ich bringe der Nerd-Kultur weder Verehrung noch Verachtung entgegen. Ich schätze die Entwicklungen der digitalen Vordenker nicht wegen ihrer Technik oder Ästhetik, sondern wegen des egalisierenden, politischen Potentials der dadurch entstehenden Kommunikations-Medien.
Jobs' öffentliche Erkrankung mitanzusehen hat mich nicht mehr oder weniger angerührt als jede andere öffentliche Ausstellung von Krankheit, Verfall und Tod.
Nun ist Steve Jobs gestorben und weil seine Entwicklungen bzw. Verkäufe weltweit Veränderungen bewirkt haben, gibt es globale Betrauerung und auf sehr Persönliches heruntergebrochene Reflexion. Wie immer in Todesfällen wird erst dann das gesagt, was eigentlich zu Lebzeiten opportun gewesen wäre, die Menschen sich aber nicht trauen.
Als sich Jörg Haider vor drei Jahren zu Tode chauffierte, brach neben den notwendigen Beschreibungen von Wirkung und öffentlicher Persona auch in Kreisen politisch stark Andersdenkender eine Nachdenklichkeit aus, die die 20 Jahre davor (das Erstarken des Systems Haider eben) umfasste. In einer wilden Mischung aus Abrechnung, Versöhnlichkeit, personalisierter Zuspitzung und mythsicher Zuschreibung quollen die indivuellen Erinnerungs-Hilfen und Tagebuch-Tools, vor allem in den neuen Medien, plötzlich über.
Im Fall von Jobs ist das, nach dem zwischenzeitlichen Aufstieg der Social Media, noch viel stärker: seine (öffentliche) Person dient als Timeline für die Entwicklungen des digitalen Zeitalters. Und da er der erste der großen Figuren ist, die abtreten, ist das für viele Digital Natives auch die erste Chance für eine innehaltende Rückschau - nicht so sehr auf die globale, sondern die ganz individuelle, persönliche Entwicklung.
Jobs' Tod ist also ein Trigger für Millionen von privaten Erstbegegnungen mit einer nach außen gebrachten Innensicht. Die soziale Dynamik, die bei normalen Todesfällen innerhalb des rituellen Vorgangs des Leichenschmauses passiert, vervielfacht sich ins Unendliche - individualisiert sich aber gleichzeitig wieder ins allerprivateste.
Diese Bekundungen haben also in mehrfacher Hinsicht Sinn: sie fördern die Introspektion, sowohl die private als auch die in Bezug auf die Technologie.
All das kann sich in vielfacher Hinsicht äußern, schlicht oder grell, es kann einen berühren oder nicht, annerven oder nicht - es bleibt allerdings ein soziales Menschenrecht.
Die Tugendwichtel sehen das anders.
Die Tugendwichtel weisen jeden, der sich öffentlich aus Anlass von Jobs Tod der Analyse (so nichtig und naiv sie auch sein mag) der letzten Jahre, vor allem in technologischer Hinsicht, widmet, darauf hin, dass man gefälligst Wichtigeres, Relevanteres, Korrekteres von sich zu geben habe, in jedem Falle Anderes als das rituelle Betrauern eines Entrepreneurs, eines Amerikaners, eines Nerds, eines gesellschaftlichen Gegners, eines Überschätzten, eines, der womöglich selber gar nichts erfunden habe etc.
Der Tonfall der Tugendwichtel ist pathetisch, sie rechnen die vielen Hunger/Kriegs-Toten auf, um auf die Abgebrühtheit und Ungerechtigkeit der Welt hinzuweisen.
Die Tugendwichtel sind in ihrer Arbeit erfolgreich: die meisten der Jobs-Betrauerer schämen sich dann. Denn natürlich wissen sie, dass der Tod des reichen Mannes, rein nadelöhr-himmelstechnisch, nicht so wichtig ist - so vorbildhaft Jobs Kampf gegen seinen Krebs die letzten Jahre auch war.
Die Jobs-Betrauerer kommen aufgrund dieses natürlichen Scham-Reflexes auch gar nicht auf die Idee die Tugendwichtel als das hinzustellen, was sie sind: diktatorische Denkvorschreiber und Geistes-Terroristen, Figuren aus dem Minitrue, neiderfüllte Trolle einer digitalen Bassena, die anderen Menschen ihre gefühlsbasierte Reflexion untersagen wollen.
Denn das ist das Fazit aller Tugendwichtel-Meldungen: dass eine derartige Huldigung, also der Konnex zwischen Jobs und persönlicher Betroffenheit, auszumerzen wäre.
Der Tugendwichtel wägt nicht ab, lässt nicht zu, debattiert nicht - er dekretiert. Seine Referenzen und Vergleiche sind destruktiv und wertlos, weil eine Debatte nicht sein Ziel ist, sondern die schlichte Mitteilung der Wertlosigkeit.
Die Legitimation zieht er aus dem Beifall anderer Tugendwichtel.
Denn sie sind viele.
Auf dem Ticket dieser Legitimation fahren im übrigen alle großen Medien-Manipulatoren, die Springer-Presse, die Kronen-Zeitung, Michael Jeannee hat sich in seinen Rundum-Racheschlägen gegen Sido auf diesen Auftrag durch eine moralische Mehrheit berufen.
Ein Tugendwichtel ist derjenige, der sich auf eine moralische Mehrheit beruft, in deren Namen er sich berufen fühlt Dekrete in Punkto Vorgangsweise zu verteilen.
Das unterscheidet den Tugendwichtel auch vom sogenannten Gutmenschen, der fast immer aus einer Minderheiten-Position argumentiert.
Ein PS noch: Greift man Tugendwichtel frontal an, fällt ihnen selten mehr, als die Wiederholung ihrer Moralkeulen ein. Manchmal weisen sie empört darauf hin, dass die sich zur Wehr setzenden Angreifer durch ihren Angriff auf die Meinung der Tugendwichtel ja auch selber welche wären. Was für ein Glück, dass mir Mehrheitsmeinungen immer egal waren...