Erstellt am: 15. 10. 2011 - 14:02 Uhr
Weniger ist nicht mehr
"The Less You Know, The Better" ist ein Zeitloch. Es führt von den 90er Jahren direkt in die Gegenwart. Ein Album, das so klingt, als wären fast zwei Jahrzehnte nicht geschehen. DJ Shadow war für mich in den 90er Jahren so wichtig, dass ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich das neue Werk ins Hier und Jetzt einbauen soll. Ist schon genug Zeit für ein Revival vergangen oder folgt Shadow nur seinem internen Kalender, der immer noch das Datum 1996 anzeigt?
Langer Rede kurzer Sinn: die Erwartunghaltungen sind hoch und ich messe DJ Shadow immer noch an "Endtroducing" und nicht an dem, was danach kam.
DJ Shadow ist bekannt dafür, dass keine Garage, kein Plattenladenhinterzimmer, kein Keller vor ihm sicher ist. Er ist unermüdlich auf der Suche nach Schwarzem Gold, die Zeit, um die Samples auf seinen Produktionen zu clearen, ist endlos.
plattencover von dj shadow
Shadow hat seine ersten LPs mit zwei Plattenspielern und einem MPC Sampler aus hunderten Samples komponiert. Die Art, wie er mit Samples umgegangen ist, war nicht nur rhythmisch dynamisch, sondern hat auch ein kompositorisches harmonisches Element in sich getragen, das die Schönheit seines ersten Albums "Endtroducing" auch für nicht eingefleischte Hip Hop-HörerInnen zugänglich machte.
Die nachfolgenden Alben waren Achtungserfolge. Shadow hatte das Rad bereits erfunden und das drehte sich nun weiter. Für James Lavelle produzierte er die Mo Wax Supergroup Unkle. Eine imaginäre Supergroup, die fünf Jahre vor den Gorillaz Hip Hop und Pop und ein Gefühl für Raum und Weite in Pop-Produktionen brachte.
DJ Shadows Liveshows waren immer ein Versuch, die technischen Möglichkeiten so auszuloten, dass auch ein Festivalpublikum, das nicht von Haus aus vor Begeisterung für seine Turntable Skills niederbricht, in seine Welt gezogen wird. Als ich ihn zum letzten Mal live sah, vor geschätzten zehntausend ZuseherInnen, da thronte er mit seinem Equipment in einer sich drehenden Kugel, auf die zur Musik synchronisierte Visuals projiziert wurden.
Im Lauf der Show mutiert diese Projektion zu einer Art magischer Kristallkugel, die uns das auf die Leinwand dahinter projizierte Leben und Sterben on Planet Earth zeigt. Wie die organischen Gewächse in den Projektionen morphen auch Shadows Tracks während der Show ineinander. Etwas, das an "Midnight in a Perfect World" erinnert, wird von einem ernsten Monolog (Marke Gott und/oder Hollywoodsprecher mit sonorer Stimme) überlagert. Der Beat mutiert zu DnB und jemand, der Zack de la Rocha sein könnte, beginnt, durch ein Megaphon zu schreien. Auf der Leinwand und der Kugel sind jetzt nicht mehr Genesis und wachsende Pflanzen, sondern Tod und Verderben (Marke abgeschlachtete Wale in einem Meer von Blut).
dj shadow
Man merkt, dass Shadow in den letzten Jahren viel Zeit und Gedanken darin investiert hat, wie man seine Musik live umsetzten kann, und das funktionierte auch an diesem Abend perfekt.
Tages darauf stellt sich DJ Shadow der Presse. Im Black Flag T-Shirt und mit einem Gesicht, als müsse er vor einem Haufen Analphabeten einen Vortrag über Kalligraphie halten, schlurft er herein.
Shadows Manager steht bei der Pressekonferenz neben mir. Die erste Frage kommt von einer jungen Dame aus der ersten Reihe und sie will von DJ Shadow wissen, warum er eigentlich ein Genie ist? Shadow macht ein Gesicht, als hätte er gerade eine Nierenkolik, sein Manger vollführt Würge- und Nehmt-ihr-das-Mikro-weg-Gesten und der Rest der Presseaudienz ist eine Farce zwischen Tragödie und Komödie. Manager vergräbt sein Gesicht in Händen und schüttelt den Kopf. Shadow versucht irgendwie zu vermitteln, dass Rückzug und Neuorientierung zentrale Impulse waren, als er in den kalifornischen Weinbergen saß und an "The Less you know, the better" arbeitete.
Er erzählt, dass er sich in ein ganz kleines Studio zurückgezogen hat, ohne Familien- und Freundesanhang, um sein Innerstes in der Isolation ans Tageslicht zu fördern. Soul Searching, die Lagen des Alltagsballast und medialen Flirrens um einen herum abbauen. Um zu verstehen, was einen bewegt und wichtig ist, einen Schritt hinaus gehen, um wieder eine Perspektiven zu haben.
Ein kluges Arbeitsprinzip. Die Frage, die ich mir in diesem Fall stelle ist allerdings, ob dabei etwas entstanden ist, das ich mitnehmen würde in meine Eremitage? Ein Album, das mich berührt, das ich mit meinem Denken und fühlen synchronisieren kann?
plattencover von dj shadow
Nein, leider nicht, keine Seelen-Resonanz. "The Less You Know, The Better" ist rocklastig, aber den Funk und die gebrochenen, und genau deshalb kickenden Dynamiken von älteren Shadow-Produktionen finde ich nicht. Ich fand DJ Shadow immer am erhabensten, wenn er melancholisch wird, wenn Pausen und Raum in seinen Kompositionen einen retardierenden Moment schaffen, einen Bruch erzeugen, den Lauf der Welt kurz zum Luft holen pausieren lassen. "I have been trying" führt mich ein paar Schritte entlang der Yellow Brick Road in Richtung Katharsis.
Aber leider sind die Melancholie-Einschübe auf "The Less You Know, The Better" gradlinig und ungebrochen, sodass ich nichts Individuelles in der Traurigkeit finde, sondern glatte tausendfach tradierte Blaupausen von Emotionen heraushöre. Bei der Nummer "Sad und Lonely" zum Beispiel, das uns in die melancholische Twilightzone der Seele führen würde, spüre ich gar nichts. Nein, noch viel schlimmer: Ich kann es mir sogar im Soundtrack zu einem Hugh Grant Film vorstellen, in dem der traurig in einem Kaffe in Nothing Hill sitzt.
Würde ich die "The Less You Know, The Better" in einer Bar spielen, in der U-Bahn hören oder im Hintergrund laufen lassen, wenn ich mich sozialen Vergnügungen hingebe? Ja, auf jeden Fall. Würde ich "The Less You Know, The Better" meinen Lieben ans Herzen legen? Als eine Option sehen, etwas zu hören, das mich überrascht oder berührt? Leider nein. Abwarten, ob DJ Shadow demnächst in die Gegend kommt, um ihn live zu sehen. Das wäre mein Vorschlag, wenn man einen Eindruck von der Brillanz des Typen erhaschen will.
plattencover von dj shadow
Das Album ist ziemlich rocklastig. So dominieren etwa in "Border Crossing" stark verzerrte Gitarren, was kombiniert mit dem elektronischen Schlagzeug fast schon an den Industrial Rock der Nine Inch Nails erinnert. Gastmusiker sind unter anderem Posdnuos von De La Soul und Talib Kweli. In "Stay the Course" rappen die beiden im Duett zu einem großartigen Basslauf, sogar eine Mundharmonika ist dabei.
"I've Been Trying" ist eine nette Akustikballade, irgendwo zwischen Johnny Cash und Pink Floyd. Da darf am Ende auch mal ein Zug vorbeirattern. Und in "Sad and Lonely" warnt die inzwischen verstorbene Folksängerin Susan Reed junge Mädchen vor Liebeskummer. Ein schlichtes, wunderschönes Stück, das an "Endtroducing" erinnert und irgendwie auch an Mobys "Play".
Eine tolle Stimme, Streicher und eine simple Klaviermelodie - das genügt. Stücke wie diese sind die Stärke von DJ Shadow, Rocknummern eher nicht. Sie wirken oft blutleer und einfallslos. Wer braucht schon eine gesampelte Imitation von mittelmäßigem Indierock? Auch "Tedium" klingt, wie der Titel vermuten lässt: schlicht langweilig. In einem Zwischenspiel behauptet eine Männerstimme: "More and more I have the feeling that we are getting nowhere." Ja, das stimmt, denkt man. Oder ist das schon Selbstironie? Man vermisst die Soundexperimente des Debüts und seine eigentümliche Atmosphäre.
plattencover von dj shadow
Die zweite Hälfte von "The Less You Know, The Better" überzeugt schon eher. In "Run For Your Life" herrschen Funk und Afrobeat. Und der Sänger im Hintergrund klingt fast wie James Brown. Experimenteller wird es beim längsten Song "I Gotta Rokk": Breaks, Händeklatschen und ein mächtiger Beat, der ständig von links nach rechts wandert, schneller und langsamer wird. Dazu sägende E-Gitarren, die vom einzigen Album der Heavy-Metal-Band Steeler stammen. Da nickt der Kopf zum Robot-Rock.
Das beste Stück ist "Scale It Back". Es wurde zusammen mit der schwedischen Band Little Dragon geschrieben, die spätestens seit "Ritual Union", ihrem kürzlich erschienenen dritten Album, kein Geheimtipp mehr sind. Es klingt wie aus dem Ärmel geschüttelt: der fantastische Gesang von Yukimi Nagano, ein paar Klavierakkorde und der schleppende Rhythmus des Jazz-Schlagzeugers Stanton Moore. Weniger ist eben manchmal mehr. Das gilt auch für jemanden, der 60.000 Platten im Schrank hat.