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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

8. 10. 2011 - 09:32

Verlass die Stadt

Christina Maria Landerls Identitätssuche zwischen Flex und Fluc. Das literarische Pendant zu einem Ja, Panik-Song.

Sogar, wenn man aus einer österreichischen Kleinstadt kommt, hat man also das Recht, sich nicht willkommen zu fühlen. Schnell bemerkt man, dass die Wiener und Wienerinnen lieber unter sich sind. Man will sich nicht aufdrängen und bleibt allein; mit etwas Glück begegnet man bald anderen Provinzmenschen auf Studentenheimfesten und in gewissen Lokalen und hat somit Verbündete im Kampf um die Stadt oder eben: dagegen.

Als geborener Wiener muss ich verlegen zugeben: Christina Maria Landerl hat völlig Recht. Wien steht der österreichischen Bevölkerung von außerhalb skeptisch gegenüber. Und diese leichte, aber latente Provinzphobie wohnt in der Trafikantin und im Studienkollegen, mit dem man gemeinsam ins Flex geht, meist gleichermaßen. Ich glaube aber nicht, dass in dieser Causa primär die oft zitierte Arroganz der WienerInnen die größte Rolle spielt. Es ist das omnipräsente Gefühl von Bedrohung das von neuen und fremden Standpunkten ausgeht. Besonders die studentischen Enklaven bieten da natürlich genügend Munition für Aufregung und Irritation.

Verlass die Stadt

Schöffling & Co.

Für den/Die geborene/n WienerIn ist Wien nämlich auch Brünnerstrasse, der Spitz oder Aspern. Eine 30 Quadratmeterwohnung um 450 Euro auf der Westbahnstraße mit Dusche in der Küchenzeile, nimmt man sich nur aus Lo Fi-Boheme-technischen Gruppenzwang oder weil man in ein/en Mädchen/Buben aus Leonding verliebt ist.

Wien ist ein Taschenmesser

Nach einigen Jahren aber, wenn man sich außerhalb Wiens längst als Wienerin vorstellt, will man endlich dazugehören. Man will, man ist bereit, sich anzupassen, übernimmt gute und schlechte Eigenschaften der Stadt, lernt Souveränität und Ignoranz, lernt, unhöflich zu sein und sich nicht mehr einschüchtern zu lassen.

In dem vom Gustav-Song inspiriertem Buch Verlass die Stadt erzählt Christina Maria Landerl von einer Gruppe junger Leute, die es aus den verschiedensten Bundesländern nach Wien gespült hat. Und die hier nun an ihren alternativen Lebensideen basteln. Zum Beispiel Peter, der ein kleines Lokal betreibt oder Gudrun, die Electropop macht und in den einschlägigen Lokalitäten auftritt. Irgendwann bemerken sie, dass ihre Freundin Margot verschwunden ist. Margot, die für ihre ungestüme Wildheit bekannt war und die an ihrer Diplomarbeit an Ingeborg Bachmann gearbeitet hat. Die Freunde beginnen mit der Suche nach Margot, die sie quer durch Wien treibt. Von den Flaktürmen bis nach Kagran.

Christina Maria Landerl

Christina Maria Landerl

Alma Mater

Christina Maria Landerl verwebt den klassischen Pop-Roman mit Lyrik und es gelingt ihr, eine melancholische und gleichzeitig vergnügliche Meditation über Identitätsfragen. Dass sie, wie im Vorbeigehen, auch gleich ein konzentriertes Porträt der alternativen Kultur in Wien und Österreich ohne Klischees abliefert, ist bemerkenswert. Und nebenbei ist das Buch auch noch ein ausgezeichneter Wien-Stadtführer für Nicht-WienerInnen und WienerInnen gleichermaßen. Auch wenn sich die WienerInnen manchmal ein bisserl ärgern müssen. Aber daran merkt man, wie gut das Büchlein ist. Trotzdem bleibt Wien in dem Roman aber nur eine Kulisse und die Protagonisten könnten ebenso nach Identität suchend durch Berlin oder Krems jagen. Das literarische Pendant zu einem Ja, Panik-Song.

Sie wissen, dass man nicht von hier ist, dass man sich eingeschlichen hat; die Kellner im Kaffeehaus zum Beispiel, die wissen es, die sehen es einem an. Und sie lachen heimlich darüber, wie man seinen Mokka bestellt, dass man die Vokale ein wenig langzieht dabei und auf wienerisch macht.

Verlass die Stadt ist der erste Roman der 1979 in Steyr geborenen Christina Maria Landerl. Sie hat am Literaturinstitut Leipzig studiert, ist ausgebildete Sozialpädagogin und hat in den letzten Jahren für ihre Prosa schon eine Sammlung an Preisen aufgehäuft. Verlass die Stadt ist bei Schöffling & Co. erschienen.