Erstellt am: 5. 10. 2011 - 07:00 Uhr
Album der Woche: Feist - "Metals"
Ich glaub es war im Viererjahr, rund um die Veröffentlichung von „Let It Die“, da kam der Falter zur Londoner Tür hereingeplumpst, mit Leslie Feist auf dem Cover und einer Überschrift in Richtung: „Auf sie können sich alle einigen.“
Nun bin ich sicher nicht der einzige, der auf solche kühnen Behauptungen prompt mit vielleicht irrationalem, aber meine minimale Menschenwürde wahrendem Trotz reagiert, und falls meine Wahrnehmung von Feist unter diesem Reflex gelitten haben sollte, dann kann sie natürlich nicht das geringste dafür - selbst wenn all das, woran man nicht vorbei konnte, von "Mushaboom" bis "1234", meine Bedenken zu bekräftigen schien.
War das nicht genau das, was die Briten in einem ihrer liebstgeborgten Amerikanismen immer so gern „kooky“ nennen? Die Sorte bisschen unkonventionell, bisschen ausgeflippt, die in ihrem niedlich unbedrohlichen Bisschen-sein um Einsatz in Werbespots der bisschen unkonventionellen, bisschen ausgeflippten Art buhlt?
Es gibt Fälle wie Ellie Goulding wo die kooky Künstlerin schließlich als Partyband für die Prinzenhochzeit am logischen Ende dieser Reise ankommt, und es gibt solche wie Leslie Feist, wo man auch durch das kooky-Ding hindurch natürlich ahnt, wieviel mehr da dahinter ist.
Mit ihrem großartigen Album „Metals“ hat sie dies nun bestätigt und auch voreingenommene Ignorami meiner Art auf ihre Seite geholt.
Universal
Das heißt, ganz so falsch bin ich bisher auch nicht gelegen, schließlich war Feist sich nach ihrem Album „The Reminder“ längst selbst auf den Wecker gegangen. Daher, sagt sie, machte sie auch zwei Jahre Pause (was sie sich ironischerweise gerade wegen der kooky Werbespots leisten konnte), um so gründlich wie möglich jene „short-cuts“ des Schaugeschäfts zu verlernen, die sie nach ihrem Durchbruch in den Mainstream (allzu) professionell beherrschte.
Es galt, wie sie es bei unserem Interview in London formulierte, das „Muskelgedächtnis“ auszulöschen. Der eigenen Kehle die wohlerprobten Wege abzugewöhnen.
Ihre neuen Fährten suchte Feist in der Landschaft von Big Sur an der kalifornischen Küste, beflügelt von der literarischen Tradition einer Gegend, die einst Jack Kerouac, John Steinbeck und Henry Miller beheimatete, deren Werke sie sich für das Nachtkästchen zu den Aufnahmen mitnahm, aber dann aus Zeitmangel nicht las (den Film Celebration at Big Sur will sie dagegen nur entfernt vom Hörensagen kennen, ein echter Hippie ist sie also wirklich nicht).
Mary Rozzi
Als ich Feist vor zwei Wochen in London getroffen hab, saßen wir zusammen im zu einer Galerie ausgebauten Keller eines Hotels in Paddington, mit einem glänzenden Steinboden und hohen, bis auf die locker gestreuten Bilder kahlen Wänden.
Als beruflich deformierter Interviewer registriert man automatisch akustische Extrembedingungen, die das mit dem Auge verbündete Ohr, aber leider nicht das Aufnahmegerät auszublenden vermag: natürliche Feinde wie die Kaffeemaschine im Eck, der surrende Getränkeautomat oder die Adult-Contemporary-Beschallung aus dem Lautsprecher oben im Eck.
Andererseits muss man die Dinge nehmen, wie sie kommen, und überhaupt, sagte ich, erinnere mich der Raumklang an den von „Metals“ und klatschte zum Beleg auf meinen Schenkel, was ein beeindruckendes Echo erzeugte.
Feist, die mich ein oder zwei Augenblicke lang ganz offensichtlich für einen gefährlichen Irren hielt, zuckte zuerst zusammen und erklärte mir dann auf angenehm beruhigende Art, wie vollkommen daneben ich mit dieser Einschätzung lag:
Der für den Klang dieses Albums so hörbar wesentliche Ort, wo Feist „Metals“ aufgenommen hat, war nämlich sehr wohl ein hoher Raum, aber (im Gegensatz zu dem wild reflektierenden Gewölbe, in dem wir gerade saßen) einer aus warm klingendem Holz, mit großen Fenstern, oben auf einer Klippe samt Blick auf den Pazifik; üblicherweise das Atelier einer Malerin, die sich aber überreden hatte lassen, ihre privilegierte Schaffensstätte für eine Weile herzugeben.
Feist erzählte von den vielen Flightcases voll mit Studiozeug, die sie und Mocky, Chilli Gonzales und Konsorten über eine Ziegenweide zum Atelier der Malerin rollen mussten (während wohl die im gleichnamigen Song beschriebenen „Cicadas and Gulls“ dazu die Geräuschkulisse lieferten).
Dieses Bild ruraler Studioromantik hab ich seither vor meinem geistigen Auge, wann immer ich einen Song wie „Undiscovered First“ höre. Dieses Stampfen am Anfang, es könnten dumpfe Schritte sein oder auch eine Bass-Drum, dieser beinahe John Lee Hooker-artig brüchig mürbe Gitarrensound (wie überhaupt der Blues auf dieser Platte keine unwesentliche Rolle spielt), der spontan aus einer der herumliegenden Kisten geholte Schellenring, ganz weit weg vom Mikrophon, die monumental durch die Stille hereinbrechenden Bläser und schließlich dieser gewaltige, an einigen Stellen von „Metals“ als Metapher der Allgemeingültigkeit der geschilderten Befindlichkeiten auftretende Chor.
Die zusammenmontierte, aber nicht geloopte Gestalt der Rhythmen in Songs wie oben erwähnten oder – noch mehr - „A Commotion“ erinnert an die besten Zeiten von Kate Bush (ca. The Dreaming). Anderswo verrät die perfekte zyklische Struktur des songschreiberischen Meisterstücks „The Circle Married The Line“ eine geradezu an Joni Mitchell in voller Fahrt erinnernde kompositorische Selbstsicherheit.
Mary Rozzi
Wenn dann in „Bittersweet Melodies“ von „slow-dancing trees“ die Rede ist, während das Klavier die eher süße denn bittere Gesangsmelodie elegant mitträgt, kommen wir schon gefährlich nah an das Revier einer Norah Jones heran. Aber von allen Bobo-Dinner-Parties, auf denen ihr je landen solltet, wird es bei der, wo „Metals“ im Hintergrund läuft, immer noch die besten Wasabi-Erbsen zum Knabbern geben.
Von „Get It Wrong, Get It Right“ bis „The Bad In Each Other“ ist das alles getränkt mit gutwilligen aber abgeklärten Weisheiten über die zwischenmenschlichen Beziehungen der Über-Dreißig-Jährigen. Da wird nicht mehr leidenschaftlich verteufelt oder gerächt, sondern ebenso leidenschaftlich verstanden, hingenommen und die Hoffnung auf Besseres zugunsten einer resignativen Versöhnlichkeit sanft fahren gelassen. „A good man and a good woman bring out the worst in each other.“
Wie Feist selbst sagt, hat sie die Songs auf Metals „enger miteinander verknüpft“, um zu verhindern, dass einer davon sich herauspicken und „aufblasen“ lässt. Ich wage ja zu wetten, dass die Marketingmenschen trotz dieser Vorkehrungen und aller Ansätze zu mutwilliger neuer Sprödheit immer noch eine Verwendung für ihre immer noch seelenerwärmenden Sounds finden und mit Schecks vor ihrer Nase herum wedeln werden.
Sollen sie, ich dreh den Fernseher eh kaum mehr auf.