Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Fußball-Journal '11-107."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 10. 2011 - 10:00

Fußball-Journal '11-107.

Diese Schweizer immer, und sie dann auch noch als Vorbild hinzustellen! Vermutungen zu Marcel Koller.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einer ersten Einschätzung der Kür des neuen ÖFB-Teamchefs.

1

Vor ein wenig mehr als drei Wochen deutete der einen halben Meter gegenüber von mir sitzende, damals überraschend angriffslustige ÖFB-Sportdirektor, mit dem Finger auf mich und warf mir, in fast schon empörtem Ton vor, "die Schweizer" immer so gut zu finden, den Verband und seine klaren Strukturen, die überragende Jugendarbeit.

Ja, so wenig man mit vielen Schweizer Eigenschaften und Zugängen oft anfangen kann: da sind sie Vorbild. Der Schweizer Fußball-Verband steht seit Anfang der 90er da wie ein Einser, ein Römischer. In Punkto Konstanz, bei der Nachwuchsarbeit, der reibungslos funktionierenden Jahrgangs-Struktur, den aufeinander abgestimmten Trainer-Teams und ihren Plänen, der langfristigen Ausrichtung und der daraus resultierenden systematischen Verbesserung der A-Nationalmannschaft. Die wiederum auch die Vereins-Teams verbessert. Ja, hab ich dann sinngemäß gesagt, in diesen Bereichen ist die Schweiz Vorbild, defintiv.

2

Jetzt, gute drei Wochen später ist ein Schweizer neuer ÖFB-Teamchef. Auch aufgrund der Unterstützung von Sportdirektor Ruttensteiner.

Danach sah es damals, vor drei Wochen, nicht aus. Davon dass Ruttensteiner, der einzige moderne Hoffnungsträger eines hoffnungslos veralteten ÖFB bei der Teamchef-Bestellung ernsthaft mitplaudern könnte, konnte damals niemand ausgehen. Die Macht der peinlichen Provinzkaiser ließ das nicht zu. Die hatten sich auch schon auf eine "heimische" Lösung festgelegt, auf einen Coach, den man leicht kontrollieren konnte, mit dem die Boulevard-Medien zufrieden sein würden, und der niemand mit Anforderungen des modernen Fußballs belästigen würde.

Denn das mag die heimische Nomenklatura gar nicht: Anforderungen, Modernität etc. Hierzulande steht man auf Motivierer, auf Ex-Spieler, die es krachen lassen. Aufgrund dieser vorsintflutlichen Ideologie hatscht der heimische Kick auch so weit hinterher.

3

Vor drei Wochen war Franco Foda also praktisch fix.

Und bis auf eine kleine Minderheit an Analyse-Bloggern und renitenten Trotteln-mit-Kapperln, denen das zu wenig weitreichend, eine zu kleine Lösung war, fanden das auch alle gut so.

Nicht dass man damit nicht leben hätte können.
Ich habe das vor drei Wochen an diesem Sonntag schon gesagt: es ist nicht das beste aller Systeme, nicht die bemerkenswerteste aller Philosophien, die Foda im Tornister hat, aber er hat immerhin eine. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der nichts hatte; im Gegensatz zu den ÖFB-Nachwuchs-Coaches, die noch nicht allzu viel haben; im Gegensatz zu den Ex-Kickern und "Experten", die das gar nicht wollen.

4

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Ruttensteiner, der, nicht zuletzt durch seinen forschen öffentlichen Auftritt im Sport am Sonntag-Studio, an Profil gewonnen hatte, mischte den bis dorthin untätigen ÖFB ordentlich auf und plötzlich war eine Dynamik in Gang gesetzt. Das neue Dogma lautete: doch nicht die kleine, sondern die große Lösung. Ruttensteiner konnte die ÖFB-Granden davon überzeugen, dass es mittel- und auch kurzfristig gar nicht so lustig wäre, als ewiggestrige Bremser und peinliche Altherrenriege dazustehen. Und das würden sie, wenn ihre zögerliche und kompromissbereite Wahl wieder in die Hose gehen würde.

Also wurde der bereits fixierte Foda wieder in den Warteraum gebeten (es kam zupass, dass der plötzlich auch beim KSC in Deutschland im Spiel war) und man sprach mit echten Kandidaten, keinen Medien-Fiktionen wie Daum oder Rehhagel, sondern richtigen Trainern. Zuletzt war der Schwede Lagerbäck im Gespräch; aber nicht ernsthaft. Denn das neue inoffizielle (auch von Ruttensteiner in Szene gesetzte) Anforderungs-Profil für den neuen ÖFB-Teamchef sagt: bessere Deutsch-Kenntnisse als Brückner.

5

Marcel Koller war schon längst davor kontaktiert worden; ich schätze von Ruttensteiner selber. Mehr als eine Woche vor der TV-Diskussion tauchte sein Name schon auf, in "Insider"-Kreisen, wie es so schön heißt - und in einer konkreten Referenz.

Zitat aus Fußball-Journal '11-94 vom 3. 9. 2011:
Die Basis mit Akademien, Leistungszentren, der prinzipiellen Zusammenarbeit mit den größeren Klubs und Infrastruktur ist so halbwegs gelegt. Für die Umsetzung auf der obersten Ebene, dem Nationalteam braucht es jetzt einen Roy Hodgson, einen Mirko Slomka (die beide schon fast einen ÖFB-Vertrag hatten, dann aber ... wieder abgeschossen wurden), von mir aus einen Marcel Koller.
Es benötigt jemanden, der Bescheid weiß über echte Trainerarbeit und sich geistig nicht im vorigen Jahrtausend befindet wie Constantini oder auf Homer Simpson-Level wie die Trottelsager-Buam. Jemanden von außen, jemanden, der diesen ganzen Austro-Fußball-Grind noch nicht verinnerlicht hat und glaubt, dass das eben so sein muss, für immer.

6

Und noch ein Zitat, aus Fußball-Journal '11-97 vom 7. 9. 2011:

Punkt 9 - Installierung eines Teamchefs
Der neue Chefcoach der A-Nationalmannschaft kann sich nur durch ein sehr konkretes Anforderungs-Profil finden.
Er muss Potential für eine langfristige Bindung besitzen.
Er darf kein "Star" sein, sondern seine internationale Profilierung durch den ÖFB-Job erreichen wollen.
Er muss deutschsprachig sein.
Er sollte mit der österreichischen Realität ansatzweise vertraut, jedoch nicht durch zu lange Beschäftigung im Land bereist davon angegriffen sein.
Er soll also über internationale Erfahrung verfügen.
Er muss Fußball2.0-affin sein.
Er muss Stärken in Kommunikation und medialer Transparenz besitzen.
Er muss die modernen Methoden wissenschaftlicher, psychologischer und strategischer Trainingslehren verinnerlicht und bereits praktiziert haben.

7

Passt das auf Marcel Koller?

Ja, das Potential ist da.
Ja, er ist kein Star und er will sich profilieren.
Ja, er ist des Hochdeutschen mächtig.
Ja, das ist er als Ex-Coach in Deutschland definitiv.
Ja, die Stationen in Deutschland sind mehr als alle Austro-Kandidaten zusammen erreichen könnten.
Keine Ahnung - das wird sich erst herauststellen.
Ja, er ist ein anständiger Kommunikator.
Ja, sowohl verinnerlicht als auch praktiziert.

Ich behaupte hier nicht Koller schon geahnt zu haben (hab' ich nicht). Ich behaupte nicht mein Anforderungs-profil auf Koller hin verfasst zu haben (habe ich auch nicht).
Aber das passt recht gut.
Sogar ziemlich gut.

8

Und die säuerlichen Mienen der Mainstream-Medien, das Gestöhne des Boulevards, das Gezeter der alten Krankls und jungen Schinkels unterstützen die Richtigkeit dieser Entscheidung ebenso wie das Gebrabbel vom österreichischen Weg mit international zurecht unvermittelbaren heimischen Coaches.

Den heimischen Sumpf kann man nur mit einem von außen umgehen. Die Moderne kann nur ein Außenstehender reinholen in den altbackenen abgestandenen Guglhupf heimischer Provenienz und Provinzialität.

Heute ist der erste Tag, an dem das Imperium den Rückschlag beginnen wird. Heute ist der erste Tag von ungezählten an denen das hiesige Klüngel, an dessen Versagen der heimische Fußball seit jahrzehnten leidet, versuchen wird "den Neuen", den "Ausländer" abzusägen und madig zu machen.

9

Ich weiß auch nicht ob unter Koller alles plötzlich super klappen wird.
Ich gehe nicht davon aus, dass er das Wasser teilen und Manna regnen lassen kann.
Aber mit einer Person wie ihm und den entsprechenden von Willi Ruttensteiner auf den Weg gebrachten Unterstützung in Form einer klaren Umstrukturierung der ÖFB-Teams und ihrer Verantwortlichkeiten, ist zumindest erstmals seit ich denken kann, die Möglichkeit gegeben, dass sich etwas verbessert.

Der großen Sprung nach vorne, wie er der Schweiz ab Anfang der 90er gelungen ist, verlangt mehr als nur eine einzelne Personalentscheidung; und er dauert auch länger als eine Amtsperiode. Deshalb ist auch die Rolle des Sportdirektors bedeutender als die des Trainers.

10

Das hat Willi Ruttensteiner begriffen; und offenbar auch jenen begreiflich gemacht, die bislang wenig kapiert hatten.
Das ist ein Anfang.

Dass der ausgerechnet mit einem Schweizer passiert und dass das ausgerechnet mit einer Annäherung an das Modell des Schweizer Verbandes passiert, ist kein Zufall.

Auch wenn der nämliche Sportchef das bei diesem Vorfall vor drei Wochen noch weit von sich gewiesen hatte - und seiner Empörung über Leute, die dauernd die Schweiz als Vorbild zitieren, Ausdruck verliehen hat. Es war wohl eine bewusst gesetzte Notlüge, eine strategische Finte. Indem er das Gegenteil dessen behauptete, was er in Wirklichkeit selber meinte, erkämpfte er sich das Pouvoir, genau das umsetzen zu können. Meisterlich.