Erstellt am: 3. 10. 2011 - 19:14 Uhr
Eine Fußnote der Geschichte
Joe Sacco zieht es immer wieder nach Palästina und Gaza. Bereits Anfang der 1990er Jahre bereist er Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete. "Er habe sich dazu gezwungen gesehen" ist seine wiederholte Antwort.
"Ich habe damals gerade begonnen, die Unterdrückung der Palästinenser etwas besser zu verstehen, ich war erschüttert und empfand einen beinahe physischen Drang zu handeln."
Hinzu kam das unangenehme Gefühl, dass er als amerikanischer Steuerzahler diese Unterdrückung mitfinanziert und dass das Thema sehr einseitig kommuniziert wird.
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Fußnoten
Comic-Journalismus auf FM4:
Am Montag, 3. Oktober, in FM4 Connected (15-19) und der FM4 Homebase (19-22)
2002/2003 reist er wieder für einige Monate nach Gaza. Er will zwei Massaker aufklären - in Chan Yunis und Rafah. Fußnoten in der Geschichte, wie er es nennt. Aber für viele sind diese Massaker der Ursprung des Hasses, der für viele heutige Ereignisse verantwortlich ist, meint Sacco. Und es sind Fußnoten die allmählich ganz zu verschwinden drohen.
Joe Sacco erzählt die Geschichte der Massaker chronologisch, und zeigt auch immer wieder auf, dass es unterschiedliche Erinnerungen daran gibt, schließlich ändern sich Erinnerungen ständig und die Massaker sind über 50 Jahre her. Also lässt er eine Situation oft von mehreren Leuten erzählen und lässt auch immer wieder Dokumente einfließen bzw. zeigt er die auch im Anhang.
joe sacco/edtion moderne
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Rafah, ist eine Stadt im Gazastreifen, die an Ägypten grenzt.
1956 fällt israelisches Militär in Rafah ein und treibt alle Männer zwischen 15 und 60 Jahren (Anm.: die Altersangaben variieren) auf den Schulhof. Dort wollen sie Soldaten und mutmaßliche palästinensische Kämpfer raussuchen.
Bereits auf dem Weg zum Schulhof werden viele Palästinenser wahllos erschossen. Auf dem Schulhof gibt es weiter Prügel, Misshandlungen und erneut viele Tote.
Die Öffentlichkeit erfährt fast nichts über die Massaker, einerseits durften die UN-Beobachter die Stadt eine Woche lang nicht besuchen andererseits ist in den Berichten des Militärs einiges verfälscht dargestellt worden.
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Augenzeugen
Joe Sacco will dieses Massaker aber möglichst genau rekonstruieren und interviewt viele Augenzeugen. Männer, die von Soldaten brutal misshandelt und angeschossen wurden und Frauen, die ihre Männer und Söhne verloren haben. Die Jüngeren verstehen nicht, warum Sacco diese alte Geschichte erzählen will. Schließlich haben sie heute genügend andere Probleme.
Denn während Sacco 2002/03 die Interviews führt, walzen israelische Bulldozer palästinensische Häuser nieder, wird von mehreren Seiten geschossen, gibt es Selbtsmordattentäter und Bush verkündet im TV den Krieg gegen den Irak: "Das Spiel ist aus".
Geschickt verstrickt Joe Sacco mehrere Erzählebenen: Sein Alltag im Gazastreifen, seine Recherchearbeit mit Abid, dem einheimischen Freund, der ihm Dinge übersetzt und erklärt, ihm bei der Kontaktaufnahme hilft und ihn zu Interviewpartnern führt.
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Sacco zeichnet also wie die beiden Interviews führen, wie sie in Gaza unterwegs sind, wie sie Leute besuchen, sich Notizen machen und fotografieren.
Dazwischen chronologisch die Geschichte der Massaker. Und über allem die ständige Angst und Hoffnungslosigkeit über dem Gebiet. Damals wie heute.
Joe Sacco mutet den LeserInnen sehr viel zu. Seine Texte sind ebenso wie seine Bilder sehr dicht und Sacco hat mittlerweile einen noch klareren Strich entwickelt.
Er weiß auch, dass er nicht objektiv ist und die Geschichte nur von der palästinensischen Seite erzählt. Aber bei Comic-Reportage geht es darum, persönliche Sichtweisen zu erzählen und Joe Sacco meinte mal er wolle nicht objektiv sein, sondern ehrlich.